Seine Sensible Seite. Amalia Frey

Seine Sensible Seite - Amalia Frey


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Romane hatten sich ziemlich gut verkauft und ich hatte für das nächste Buch einen saftigen Vorschuss erhalten. Auch verdiente ich mir nebenher mit dem Schreiben einer Kolumne in der Berliner Zeitung und mit meinen geliebten Lesereisen etwas hinzu. So hielt mich mein Stolz guten Gewissens von weiteren Subventionen meiner Eltern ab.

      Woolf stolperte nun ebenso verpennt wie ich ins Badezimmer. Mehr als offensichtlich hatte er mich nicht erwartet, das zeigten mir sein schockierter Gesichtsausdruck und seine riesige Morgenlatte – wie sie wohl bei fünfzehnjährigen Jungs normal war.

      Rückwärts entfernte er sich aus der Tür und verschwand in seinem Zimmer. Ich lächelte amüsiert, putzte zu Ende, und als ich das Bad verließ, rief ich: »Ich bin in der Küche und mache uns Frühstück.« Was ihm so viel bedeuten sollte, wie: »Keine Sorge, wir werden niemals darüber reden.«

      Ich hatte keine Ahnung, ob er schon mit jemandem schlief, oder ob er sich für die erste Liebe aufsparen wollte. Und ich hatte wenig Talent dafür, mit ihm über Sex zu reden.

      Als ich in seinem Alter war – eigentlich viel früher – und gerne etwas über die menschliche Fortpflanzung gewusst hätte, war Dad mit den Fingern in den Ohren aus dem Zimmer gerannt und hatte gesungen: »Lalalala – meine süße kleine brave Tochter, lalalala!« Es sollte wohl witzig sein, wirkte aber eher traumatisierend auf mich. Und es verfehlte seine Konsequenz nicht: Ich sprach mit meinen Eltern, besser gesagt mit meiner Mutter nur noch einmal über Sex und das nicht freiwillig.

      Da war ich 22 und schleppte David, nachdem er mich etwa 25.000-mal darum gebeten hatte, zum Vorstellungsbesuch bei ihnen an. Ma war von Haus aus schlank und sportlich. Dazu ein Augenaufschlag, der besungen wurde. Sie wusste schon immer die Männer für sich zu gewinnen. Als meine Eltern sich kennenlernten, war Fio 21 und Kellnerin im Domhotel. Rex war da schon 34 und verknallte sich auf den ersten Blick in sie. Nach der ersten Liebesnacht war er rettungslos verliebt und leitete alles in die Wege, sie zu sich nach Westberlin zu holen.

      »Austen, du beherrschst das Element Mann genauso gut wie ich«, hatte sie mir gesagt, als die Männer etwas ferner von uns durch unseren großen Garten in Grunewald schritten.

      »Oh, Ma sei bloß still!«

      »Nutz das, binde ihn an dich. Was glaubst du, wie ich einen so reichen Mann bekommen habe?«

      »Ma bitte ...«

      »Ganz genau, ich BIN so gut! Und das bist du auch, ich sehe es, wie er dich ansieht ...«

      Ich ließ sie stehen. Und die Erinnerung an dieses Gespräch hätte ich zu gerne verdrängt.

      Während ich die Kaffeemaschine befüllte, riss mich das Schrillen meines Telefons aus meinen Erinnerungen. Meine beste Freundin Danni: »Austen Schätzchen, es ist furchtbar!«

      »Bianca oder Benjamin?«

      »Beide! Bianca nervt mich schon wieder wegen des Schrankes, und außerdem will sie mir die Reparatur von der Waschmaschine berechnen. Sie sagt, das war Nini. Natürlich kommt sowas exakt einen Tag, nachdem Ben sie mal wieder betrunken angerufen und ihr erzählt hat, wir wären wieder zusammen. Da hat sie ihm gesagt, dass sie sich vor einen Zug wirft, wenn das passiert.«

      Es war gar nicht so leicht, ihr zu folgen bei all dem Leid, das ihre Psycho-Exen ihr bereiteten. Danni war in den letzten fünfzehn Jahren immer mal mit Bianca und dann wieder mit Benjamin zusammen gewesen. Von Letzterem hatte sie zwei Kinder, Nini und Charlie.

      Nachdem sie sich über die beiden ausgeheult hatte, gelang es mir, sie zu beruhigen: »Danni, schließ die Augen. Atme ein und atme aus. So und nun ganz ruhig. Woran denkst du jetzt?«

      »Dass ich Bianca den Hals umdrehe, wenn sie Nini das nächste Mal anschreit.«

      »Okay, wir wiederholen das.« Ich brachte sie dazu, endlich ruhig zu atmen, und schon flossen die Tränen. »Warum such ich mir immer solche Arschkrampen, Austen? Sogar unter den Lesben finde ich die Flachwichser.«

      Ich kannte Danni nun seit vier Jahren, seitdem sie von Marzahn hier ins Nachbarhaus in die Borkumstraße gezogen war. Und es war keine Woche vergangen, in der sie nicht mindestens mit einem von den beiden Streit hatte. Mal weigerte sich Benjamin Unterhalt zu zahlen oder holte die Kinder nicht wie versprochen von der Schule ab, dann drohte Bianca wieder mit Selbstmord, wenn Danni nicht zu ihr zurückkäme, oder hatte irgendeine Krankheit, neuerdings sehr beliebt: Brustkrebs.

      »Du weißt, was ich darüber denke«, sagte ich ihr.

      »Ja ... dass ich es mal mit jemand anderem versuchen sollte, als mit denen, von denen ich weiß, dass sie scheiße sind.«

      »Nein, ich meine den Schritt davor.«

      »Sich selber lieben ist schwer. Und Single sein eh. Bei dir sieht das so einfach aus.«

      Ich lachte kalt. »Das lernst du auch noch.«

      Meine beste Freundin hatte erst vor ein paar Monaten aufgehört, mit ihren Exen zu schlafen und übte sich in einem Selbstfindungsprozess. Den Sex hatte sie aufgegeben, doch das Drama behalten. So ist es, sobald starke Gefühle im Spiel sind. Aber sie hielt ihren Job nun schon seit fast einem Jahr – ein Rekord. Und durch das regelmäßige Einkommen wurde sie von Spielsucht-Benjamin und Tankstellen-Besitzerin Bianca freier, denn früher hatten diese ihr immer für die Kinder aushelfen müssen. Und an all diesen Vernunftentscheidungen ihres Lebens hatte ich mit meinem Rat und meinen freundschaftlichen Taten einen großen Anteil gehabt.

      Danni trocknete die Tränen, gestand mir, dass sie sich auf dem Klo versteckt hatte und ihre Chefin sich sicher schon fragte, wo sie steckte. »Danke fürs Gespräch.«

      »Nicht dafür, wir reden später, wenn ich bei Sascha war, ja?«

      »Frau Bestsellerautorin. Ich freu mich drauf.«

      Mit diesen Worten legte sie auf, und ich schnaufte. So viel Aufregung vor meinem dritten Kaffee!

      Im nächsten Moment kam Woolf in die Küche und blickte auf den gedeckten Frühstückstisch, den ich während des Telefonats vorbereitet hatte.

      »Hi, hast du wohl geruht?« Ich lächelte möglichst unschuldig, um ihm noch einmal klarzumachen, dass wir über die Szene vorhin nicht zu reden brauchten.

      »Hi, thanks. Und du wohl nicht, dass du schon auf den Beinen bist?«

      »Doch, doch. Sascha erwartet mich um 10:00 Uhr in der Charité, dann gehen wir erstmal die wichtigsten Punkte durch.«

      »Und Nanas Buch ruht jetzt echt?«, fragte er und schäumte sich Milch auf.

      Ich wartete, bis der Krach zu Ende war, und entgegnete dann: »Ja, ich will mich auf eine Sache konzentrieren, damit alles richtig gut wird.«

      »Hört, hört! Wir werden erwachsen.« Woolf grinste und goss sich den Milchschaum in die hohe Tasse, um etwas von meinem extrastarken Filterkaffee nachzuschütten. Ich soff das Zeug an arbeitsreichen Tagen wie Leitungswasser.

      Wir setzten uns an den Tisch und bestrichen unsere Brotscheiben mit all den feinen Sachen, die ich im Kühlschrank gefunden hatte.

      »Ich treffe mich morgen Nachmittag mit David«, erklärte ich irgendwann.

      »Ich weiß«, entgegnete Woolf.

      Die beiden telefonierten seit der Trennung regelmäßig, und ab und zu trafen sie sich auch. Dass ich Schluss gemacht hatte, lag anderthalb Jahre zurück, und offenbar war meine Wut auf David inzwischen verflogen. Es war diese ganz erwachsene Art gewesen, sich von jemandem loszusagen: Beide liebten einander noch sehr, wussten aber, dass die Unterschiede zu groß waren und sich eine gemeinsame glückliche Zukunft ausschloss. Es hatte sich gut angefühlt, diese Entscheidung zu treffen, dennoch litt ich wie ein Hund. Meinen Schmerz in ein Buch zu packen, das ich vor einem halben Jahr rausgebracht und wofür ich einen fetten Bonus kassiert hatte, half recht gut über mein Leid hinweg. Wie David mit der Trennung umgegangen war, wusste ich nicht. Wir trafen uns erst auf der Buchpremiere. Die Freigabe über die an ihn angelehnte Romanfigur hatte ich über seine Anwältin eingeholt. Ich sag ja: Alles


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