Seine Sensible Seite. Amalia Frey
würden, woraufhin wir gar nicht mehr versuchten, an uns zu arbeiten oder etwas zu retten. Immer öfter kratzte ich ihm den Rücken wund, weil ich meine Wut irgendwo auslassen musste. Mehr und mehr wurden seine Berührungen ruppig, seine Schläge auf meinen Arsch zu hart. Wir wollten einander verletzten, ehe wir unsere Körper teilten. Außerhalb des Schlafzimmers konnte ich ihm gar nichts mehr recht machen. Er maulte nur noch, ich meckerte zurück. Der Groll wurde stärker. All das verdrängte die Liebe, und auf unheimliche Weise verstärkte es die Lust. Wir verwechselten das zärtliche Kuscheln unserer verschwitzten Leiber, die süßen Nichtigkeiten, die wir einander ins Ohr flüsterten, das Lächeln in den intimsten Momenten ... Wir dachten, es war Nähe.
»Lass uns hierhergehen«, sagte David und riss mich aus meinen Gedanken. Er deutete auf ein Straßencafé zu unserer Linken. Mit Schwung setzte er sich mir gegenüber, zog sein Jackett aus und legte es über die Lehne. War er auch dünner geworden, so blieb er doch ein verdammtes Eye-Candy.
Dann ließ er mich reden. Über Woolf, über Projekte, über Dannis Dramen, über mein Training für den Berlin-Marathon, an dem ich nächstes Jahr teilnehmen wollte. Er stellte Folgefragen, reichte mir ungefragt seinen Keks vom Kaffeetassenrand. Sogar nach meinen Eltern und meinen Großeltern mütterlicherseits, die ganz in der Nähe von Dad und Ma in einem Luxus-Pflegeheim wohnten, erkundigte er sich.
Meine Eltern hatten sich zur Ruhe gesetzt. Ihr Bauunternehmen wurde inzwischen durch eine Gesellschaft verwaltet, sie selbst waren seit Jahren weg von der Bildfläche in ein hübsches großes Haus am Bodensee verschwunden. David wusste all das und wirkte nach wie vor interessiert am Schicksal seiner Ex-Schwiegereltern in spe. Er schien immer noch der süße, liebe Typ zu sein, in den ich mich vor so vielen Jahren volle Granate verknallt hatte. Doch er war nun der süße liebe Verlobte einer anderen.
Ich kannte sie nur von Fotos. Jasmin. Sie war etwas kleiner als ich und weiß, aber in unserer Körperfigur ähneln wir einander. Ich wusste auch, dass sie rotblonde Naturlocken hatte, die sie glättete und aufhellte. Sie war Anfang zwanzig. All das hatte mir David erzählt, nachdem er ein halbes Jahr mit ihr ausgegangen war. Damals tat es noch weh, so dass ich ihn unterbrach und bat, mir frühstens mehr zu erzählen, wenn es ernst zwischen ihnen würde. Nur drei Monate später verlobten sie sich. Jasmin wollte Kinder, Halbtagsstelle, für ihn backen, Häuschen im Speckgürtel, einen Hund, Rotarymitgliedschaften – all diese Dinge, die Davids Traumfrau wollen sollte. Nun hatte er sie. Ich traute mich nicht zu fragen, ob er glücklich war. Zum einen, weil es mich so oder so nichts mehr anging, zum anderen, weil ich nicht sicher sein konnte, ob er ehrlich zu mir wäre. Er sah mich noch immer so an wie früher. Als wir eingespielt waren, die erste Verliebtheit abgeklungen war. Als ich als Kassiererin gejobbt hatte und er den Wochenendeinkauf bezahlen musste. Da hatte Woolf auch noch nicht bei mir gewohnt.
Wir saßen voreinander, plauderten und spürten wohl gleichzeitig, dass der Groll aufeinander vorüber war. Es hatte ein Ende, einander zu begehren. Wir lächelten uns schüchtern an, dann trank David sein Glas Wasser mit einem Zug aus, um mir fest in die Augen zu sehen.
»Austen … ich muss dir etwas sagen.«
Was kam jetzt? Seinem Blick nach zu urteilen, das klischeehafte Verbot seiner Verlobten, mich wiederzusehen. Ich gluckste stumm in mich hinein. Doch leider kam exakt das. Er verwendete sogar die Wortkonstellation »Meine Verlobte möchte«, anstatt sie Jasmin zu nennen, »dass wir den Kontakt einschlafen lassen. Es ist ihre Bedingung, ansonsten wird sie die Verbindung lösen.«
Diesmal gluckste ich laut, und es klang genauso panisch, wie ich mich fühlte.
»Und wie denkst du darüber?«, fragte ich zaghaft.
»Natürlich macht es mich traurig, anderseits hat sie recht. Wir beide sollten uns nicht wiedersehen, wir haben kein gemeinsames Leben mehr.« Er klang dabei so verdammt sachlich wie eh und je, wenn er argumentierte. Selten hatte er sich in Streitgesprächen zu Gefühlsausbrüchen hinreißen lassen. »Du und Woolf ward mein Ein und Alles. Aber nun habe ich Jasmin und werde mit ihr meine Zukunft aufbauen.«
»Du willst auch Woolf nicht mehr sehen?«
»Nicht gar nicht. Aber ich denke, für meine Rolle als Vater ...«
»Ihr werdet schon Eltern?«
»Die Hochzeit ist in ein paar Wochen. Wir haben die Verhütung bereits abgesetzt.«
Gott, wieso blieb er so verdammt gefühlskalt?
»Sag es Woolf bitte selbst«, entgegnete ich so gefasst wie möglich.
»Das habe ich bereits.«
Diese Männer und ihre Heimlichtuerei! Vielleicht war es gut, dass David sich endgültig aus unserem Leben verabschiedete. So hatte Woolf ihn nicht unmittelbar als männliches Vorbild vor der Nase und ich hätte eine Chance noch Einfluss zu nehmen, ehe er auch so ein Eisklotz würde.
Dann bezahlten wir sehr schnell und umarmten uns zum Abschied. Seltsam, ihn zu drücken. Gewohnt reagierte mein Körper mit dem Gefühl der Heimeligkeit, doch dieser Mann gehörte mir schon lange nicht mehr. Bald würde er unwiderruflich durch ein gemeinsames Kind an eine andere Frau gebunden sein. Eine, die ihm all das gab, wozu ich nicht bereit gewesen war. Immer noch nicht war und niemals sein würde. Es war gut, ja es war gut.
Aber warum spielten sie im Radio ausgerechnet jetzt „Someone Like You“?
Als ich heimkam, lief Woolf mir aus seinem Zimmer entgegen, als habe er auf mein Schlüsselklappern gelauert.
»Du bist ja zu Hause«, stellte ich überflüssigerweise fest.
»Hi«, hauchte er liebevoll und musterte mich, ehe er genauso unnötig nachfragte, »du hast dich also mit David getroffen?«
»Ja, du Verräter, habe ich.«
»Wir dachten beide, es sei besser, wenn er es dir sagt.«
»Ach, ihr Schweinehunde, dachtet ihr das?«
»Brauchst du eine Umarmung?«
»Ja, du dumme Socke, brauche ich.«
Woolf lächelte endlich und nahm mich in den Arm. Er war mittlerweile fast so groß wie ich, seine sehnige Brust und seine festen Arme fühlten sich natürlich bei weitem nicht mehr so kuschelig und niedlich an wie einst. Als er noch mein kleines Wölfchen gewesen war. Er drückte mich fester an sich, es beruhigte mich ungemein. Dann säuselte er: »David will von seiner Frau gebraucht werden, und du brauchst niemanden. Du willst einfach nur Menschen in deinem Leben, aber du brauchst sie nicht, und das ist auch gut so.«
»Woher du das nur wieder hast, Klugschwätzer. Als ob ich dich nicht bräuchte.«
Er sah mich an. »Und ich dich. Aber du brauchst keinen, der gebraucht werden will.«
»Was brauche ich dann?«, fragte ich. Wenn er mich schon analysierte, dann richtig.
»Zu dir passt jemand, der dich reizt. Nicht auf die Art, wie David und du euch immer gestritten habt. Sondern einer, mit dem du wachsen kannst.«
»Also echt, Wölfchen. Du hast dich wohl in zu vielen Foren rumgetrieben, um dir diese Weisheit anzufuttern.«
»Wann wirst du mich endlich nicht mehr so nennen?«
»Keine Ahnung.« Ich zog meine Schuhe aus und tappte ins Wohnzimmer. »Wenn du erwachsen bist?«
»Falls du es genau wissen willst«, sagte er daraufhin beleidigt, »das hab ich nicht aus dem Internet. Ich hab viel über unsere Eltern nachgedacht in letzter Zeit.«
Ich fiel mit dem Arsch aufs Sofa und blickte ihn erstaunt an.
Er fuhr fort: »Die streiten sich auch andauernd und landen dann immer zusammen im Bett, ohne etwas zu schlichten.«
»Hör auf, Ma und Dad lieben einander.«
Dass ich der Meinung war, Dad hätte aufgrund dieser Streitereien nach der Pleite schließlich den krassen Herzinfarkt bekommen, verschwieg ich.
»Sehr lieben tun sie sich, ja. Genau wie du und David früher«,