Computerdiktatur. Roy O'Finnigan

Computerdiktatur - Roy O'Finnigan


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haben die Ordnungskräfte die Lage doch nicht so gut im Griff, wie es bei ihrem Besuch in dem Dorf vor ein paar Tagen schien. Zumindest in dieser Gegend nicht. In den Städten mag es anders aussehen. Sam fragt sich, wie es wohl Urs, Aya und Paul gerade ergeht.

      ***

      Die sind soeben unbehelligt in der Kleinstadt angekommen. Der Ort ist ähnlich bewacht, wie tags zuvor das Dorf. Aber mit einer Flasche Wein für jeden Wachposten lässt sich das Problem der »Aufenthaltsgenehmigung« schnell aus der Welt schaffen. Da sie nicht wie Vilca und Sam aufgehalten werden, sitzen Urs, Aya und Paul bereits im Wirtshaus. Just haben sie die zweite Flasche Schnaps angebrochen. Bei ihnen am Tisch sitzen ein ehemaliger Bankangestellter, eine ehemalige Versicherungssachbearbeiterin und einer, der Busse fuhr, als es noch welche gab. Zuletzt hatten alle drei in Vollzeit bei der Ernte geholfen. Im Moment sind sie vollbeschäftigte Brennholzsammler.

      Das einzig wirklich neue für unsere Freunde ist der Erlass, der Jeden verpflichtet all seine elektronischen Geräte abzugeben. Egal ob sie funktionieren oder nicht.

      ***

      Sam und Vilca bekommen keine Gelegenheit, mit der Bevölkerung zu reden. Der Wachtposten am Ortseingang lässt sich zuerst bestechen und übergibt sie dann der Polizei. Wenigstens werden sie nicht gleich eingesperrt, sondern erst einmal vernommen. Die vernehmenden Beamten teilen sich das klassisch auf. Einer stellt die Fragen, der andere tippt akribisch die Antworten ins Protokoll. Dafür benutzt er eine wahrhaft antiquierte Schreibmaschine. Sie wollen praktisch alles wissen, was die vermeintlichen Gesetzesbrecher von Geburt an gemacht haben. Nachdem die beiden eine Weile ausweichende oder halbwahre Antworten geben verliert Vilca die Geduld und unterbricht den Fragesteller mitten im Satz:

      »Jetzt reicht’s. Wir sind auf dem Weg hierher drei Mal überfallen worden. Wir möchten Anzeige erstatten.«

      Der Dicke mit der Halbglatze und der randlosen Brille sieht Vilca überrascht an. »So, sie möchten Anzeige erstatten. So geht das nicht. Gegen Sie liegt eine Anzeige wegen Landfriedensbruch vor. Das ist heutzutage eine sehr ernste Angelegenheit.«

      »Landfriedensbruch? Das ist doch Unsinn«, ruft Vilca empört. »Der letzte Überfall auf uns war keine 15 Minuten von hier. Gehen sie doch mal raus aus der Stadt, Richtung Nordosten. Dort finden sie echte Landfriedensbrecher.«

      Der Dicke denkt eine Weile nach und erhebt sich dann. »Sie warten hier, bis ich wieder zurück bin.«

      Es dauert fast eine Viertelstunde, bis er wieder in das Büro zurückkommt. Wortlos setzt er sich an seinen Platz. »Wir fahren fort mit dem Protokoll für die Anzeige wegen Landfriedensbruchs. Danach können Sie ihre Anzeige erstatten.«

      Nun verliert auch Sam die Geduld. »Wir haben bereits alles gesagt, was es zu sagen gibt.«

      Der Dicke mustert Sam ausdruckslos. »Wie sie meinen. Der Form halber mache ich Sie darauf aufmerksam, dass die Verweigerung der Aussage zu ihrem Nachteil sein kann.«

      Nachdem Sam und Vilca beharrlich schweigen, gibt der Beamte schließlich nach. »Herr Schwerte, vermerken Sie im Protokoll, dass die Beschuldigten die Aussage verweigern.«

      So gern die Polizeibeamten die Daten für den angeblichen Landfriedensbruch sammelten, so widerwillig nehmen sie Vilcas und Sams Anzeige auf. Während Vilca die Überfälle schildert, bemerkt Sam, dass der vorher so eifrig tippende Beamte, weder die Schreibmaschine benutzt, noch sonst sich irgendwelche Notizen macht.

      Kurz, bevor Vilca mit ihrer Schilderung am Ende ist, öffnet sich die Tür und ein schlanker, großgewachsener Beamter betritt den Raum. Seine Rangabzeichen weisen ihn als Polizeidirektor aus. Hinter ihm folgt eine Person in den Raum, die Sam und Vilca schon einmal gesehen haben.

      »Isabella, sind das die beiden?«, fragt der Polizeidirektor, an seine Begleiterin gewandt. Er hat eine hohe Stimme, die nicht so recht zur Körpergröße passen will.

      »Ja, das sind die beiden.«, sagt die Frau. Sie haben uns überfallen und ausgeraubt. Gleich hier um die Ecke, auf der Jägerhöhe, haben sie uns im Gebüsch aufgelauert.«

      Sam und Vilca verschlägt es die Sprache. Sie sehen sich an und beide wissen sofort, was hier gespielt wird. Sam zwinkert seiner Freundin zu und dann greifen sie blitzschnell an. Nach wenigen Sekunden liegen die drei Staatsbediensteten und die Räuberhauptfrau bewusstlos auf den Boden. Jetzt, wo sie am Boden liegt, fragt sich Sam, wie er diese Frau je für einen Mann halten konnte.

      Das Ganze läuft so rasch ab, dass die vier Polizisten vor der Tür nicht mehr helfen können. So schnell sie in den Raum stürmen, so schnell werden sie schlafen gelegt. Keiner ist flink genug, seine Waffe zu ziehen.

      Sam späht auf den Gang hinaus, findet ihn verlassen vor.

      »Bis jetzt scheint noch kein Alarm ausgelöst worden zu sein.«

      »Das ist doch die Höhe, flüstert Vilca empört. Die sind ja durch und durch korrupt.«

      »Genau«, stimmt Sam ihr zu. »Ich bin überzeugt, die Show dient nur dem Zweck, Reisende um ihre Lebensmittel und alles anderen zu bringen, was von Wert für die Menschen hier sein könnte. »Am besten verschwinden wir so schnell wie möglich aus der Stadt.«

      »Erst einmal müssen wir aus der Polizeistation heraus. Vorzugsweise unbemerkt«, erinnert ihn Vilca an die Prioritäten.

      »Es wird Zeit, dass wir unsere Gadgets unter realistischen Einsatzbedingungen testen. Mal sehen, ob sich die Mühe gelohnt hat«, flüstert Sam, enthusiastisch, endlich die Wirkung seiner Erfindungen zu beweisen.

      Beide schwingen ihre Mäntel um sich und setzten die Kapuzen auf. Kurz darauf aktivieren sie die Tarnung und sind kaum mehr zu sehen. Perfekt sind die Tarnmäntel nicht. Die winzigen LED Elemente auf dem Stoff können immer nur den Hintergrund aus einem Blickwinkel darstellen. Wenn mehrere Kameras Personen aus verschiedenen Richtungen erfassen, müssen sie sich entscheiden, in welche Richtung sie unsichtbar sein wollen. Für alle anderen werden sie dann mehr oder weniger sichtbar. Deshalb halten Sam und Vilca sich in dem Gang so nah wie möglich an der Wand. Sie nützen die Tatsache, dass Wände in der Regel aus jeder Richtung ziemlich gleich aussehen.

      Am Ende des Gangs ist der Raum, in dem die Polizisten ihre Wanderstäbe und Rucksäcke deportiert haben. Die Tür ist verschlossen, aber mit ihren Nanobots gelingt es sie geräuschlos zu öffnen. Während Sam auf dem Gang Wache hält, holt Vilca ihre Ausrüstung aus dem Zimmer. Dann machen sie sich auf den Weg zum Ausgang. Als sie mitten auf dem Gang sind, hören sie jemanden die Treppe hochkommen.

      »Mist«, flüstert Sam. »Die Treppe, die zum Ausgang führt. Gerade jetzt.«

      Vilca sieht sich um. »Hier, wir stellen uns vor die Tür, da haben wir seitlichen Sichtschutz durch den Türrahmen.«

      Es funktioniert. Die Polizeibeamtin geht nicht mal einen halben Meter entfernt an ihnen vorbei, ohne sie zu bemerken.

      Die beiden wollen gerade weitergehen, als sie Schritte von der anderen Seite hören. Diesmal ist es ein Polizeibeamter. Der Zufall will es, dass er in den Raum möchte, vor dessen Tür Sam und Vilca stehen. Sein Pech. Er erhält einen gezielten Schlag aus dem Nichts gegen die Schläfe. Sam fängt ihn auf und lässt ihn geräuschlos zu Boden gleiten.

      Währenddessen ist Vilca bereits Richtung Treppe unterwegs. Sam fällt auf, dass seine Freundin selbst in Bewegung kaum zu sehen ist. Nur weil er weiß, dass Vilca Richtung Treppe unterwegs ist, kann er an den Schlieren und Verzerrungen vor ihm erkennen, wo sie sich gerade befindet.

      Am Fuß der Treppe stellen sie fest, dass der Ausgang bewacht ist. In dem Empfangsraum neben der Eingangstür sind vier Polizisten. Da die Tür geschlossen ist, gibt es keine Möglichkeit, unbemerkt nach draußen zu kommen.

      »Wie gehen wir vor?«, haucht Vilca. »Warten bis jemand die Tür öffnet oder einfach raus stürmen?«

      Sam überlegt kurz. »Lass uns so schnell wie möglich raus stürmen. Mit den Tarnmänteln können sie uns kaum sehen. Bis sie reagieren, sind wir zumindest draußen. Wenn sie erst die bewusstlosen Polizisten entdecken und Alarm schlagen, riegeln sie bestimmt alles ab.«


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