Computerdiktatur. Roy O'Finnigan
erholt haben und reagieren können, hinterlassen Sam und Vilca einen nachhaltigen Abschiedsgruß, von dem sie sicher noch ein paar Tage etwas haben werden.
Ihre Schritte sind fast nicht zu hören, als sie die Straße hinunter Richtung Ortsausgang laufen.
Todesstrafe
Sam und Vilca kommen spät abends in den Bunker zurück. »Na endlich«, sagt Paul, dem sie als Erstes begegnen. Vilca schaut ihn irritiert an. »Du wusstest doch, dass wir aufgehalten wurden. Wir haben doch über Funk Bescheid gegeben.«
»Ja schon, sagt Paul. Trotzdem habe ich mir nach all den Überfällen Sorgen gemacht.«
»Zum Glück gab es keine weiteren Zwischenfälle. Habt ihr uns noch was vom Essen übriggelassen?«, fragt Sam. »Ich habe Hunger wie ein Bär.«
»Es ist noch genug da«, ruft Urs aus dem Gemeinschaftsraum des Bunkers. »Ihr müsst es euch nur aus der Küche holen.« Während er das sagt, kommt ihnen Aya entgegen und verdreht die Augen. »Urs hat mal wieder seinen sozialen Tag. Ihr müsst müde sein. Geht schon mal rein, Paul und ich bringen euch was zu essen.«
Urs brennt darauf, die Abenteuer von Sam und Vilca in allen Einzelheiten zu erfahren. Die Stelle mit den Tarnmänteln interessiert ihn ganz besonders. »Ha, sie funktionieren also.«
Sam spielt den Beleidigten. »Natürlich funktionieren sie. Ich habe sie schließlich gebaut.«
Urs lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. »Daran besteht für mich kein Zweifel. Aber, dass jemand in weniger als einen Meter Abstand an einem vorbeiläuft und trotzdem nichts bemerkt, ist fantastisch.« Urs grinst vor Freude über das Ganze Gesicht.
Danach wird es still. Schließlich unterbricht Paul das Schweigen. »Und wie geht’s jetzt weiter?«
»Tja«, sagt Sam. »Ich fürchte, früher oder später müssen wir herausfinden, was wir machen wollen. Wir haben das jetzt lange genug vor uns hergeschoben.«
»Ich will zurück nach Berlin«, sagt Vilca unvermittelt. »Ich will nicht in diesem Bunker versauern.«
»Hier haben wir aber alles, was wir brauchen. Das reicht für die nächsten 50 Jahre«, sagt Sam vorsichtig. »Du hast doch gesehen, wie angespannt die Lage allein schon in den umliegenden Dörfern ist. In Großstädten wie Berlin wird sie noch viel schlechter sein.«
Vilca bekommt Unterstützung von Urs. »Ich halte das auf Dauer auch nicht aus. Wenn wir konzentriert brainstormen, finden wir vielleicht eine Lösung, wie wir das alles hier unbemerkt nach Berlin bringen können.«
Aya wirft ihm einen skeptischen Blick zu. »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass wir Vorräte für die nächsten 50 Jahre heimlich da hinbringen können? Selbst wenn, stell Dir vor was passiert, wenn das rauskommt. Auf das Horten von Lebensmitteln in dieser Größenordnung steht die Todesstrafe.«
Sam muss unwillkürlich in die Richtung ihrer Vorratskammer blicken. »Du hast Recht Aya, aber es spielt keine Rolle, wo die Vorräte aufgehoben werden.«
Aya wird blass. Ihr wird bewusst, dass sie de facto bereits im Konflikt mit dem Gesetz stehen. »Wir müssen mit den Behörden reden. Die sollen das Zeug abholen. Ich habe keine Lust, deswegen hingerichtet zu werden«, sagt sie entschieden.
Urs schüttelt den Kopf. »Einfach so alles weggeben? Und wovon sollen wir dann leben? Du hast doch die Leute in den Dörfern gehört. Das Letzte, was die brauchen, sind noch ein paar mehr zum Durchfüttern.«
Aya sieht etwas verunsichert aus. »Sie werden uns doch sicher einen fairen Anteil lassen, oder?«
Das Schweigen in der Runde spricht Bände. Schließlich wird es von Sam durchbrochen. »Nach allem was wir bisher wissen, ist mir da zu viel Willkür im System. Erinnert euch daran, was die beiden Bauern sagten. Das System von Arbeitssoll und Zuteilung ist undurchsichtig. Keiner versteht es. Weiter ist da die Sache mit der Stadt, in der Vilca und ich waren. Dort haben die Polizei und die lokalen Banden zusammengearbeitet. Aya hat recht. Wir müssen mit den Behörden sprechen. Aber hier ist mir das zu unsicher. Ich schlage deshalb vor, wir nehmen mit Berlin Kontakt auf.«
»Mit der Regierung?«, fragt Paul. »Wen willst du denn da anrufen? Ich weiß, du kennst eine Menge Leute, aber das sind doch alles Politiker. Denen kann man nicht trauen.«
»Stimmt«, sagt Sam trocken. »Mit denen zu sprechen wäre mir aber auch nicht im Traum eingefallen. Ich habe eher daran gedacht unsere guten Kontakte zur Cyberterror-Abwehr, zu nutzen.«
Wir fahren nach Berlin
Die Freunde brauchen fast zwei Tage, bis sie einen Kontakt herstellen können. Am Ende gelingt ihnen eine Verbindung über Satellit in der VR mit ProxyClobber. Sie sitzen auf der Veranda einer netten Strandbar an einem karibischen Strand mit schneeweißem Sand und der obligatorischen Palme. Deren Aufgabe ist es, waagrecht aus dem Boden zu wachsen, um dann über dem Wasser in die Höhe zu schießen. »Natürlich können wir Leute mit euren Fähigkeiten hier brauchen«, sagt der Agent. Im wirklichen Leben heißt er Werner Hofer. »Hier hat sich seit dem EMP einiges verändert. Am Anfang war alles Chaos aber mit Hilfe der Programme zur Analytischen-Entscheidungs-Beratung haben wir die Lage schnell unter Kontrolle bekommen.«
Seine Begeisterung scheint keine Grenzen zu kennen. »Ich sage euch, es ist unglaublich, wie effizient diese Programme sind, wenn man sie lässt. Das hätten wir schon viel früher machen sollen. All das Getue mit Demokratie, Diskussion im Parlament und Politiker entscheiden lassen, kostet nur Zeit und macht das ganze Regieren ineffizient. Jetzt werden die Entscheidungen von den ANEBs direkt umgesetzt. Das hat weltweit Milliarden Menschen das Leben gerettet.«
»Die Analytischen Entscheidungs-Beratungsprogramme treffen jetzt die Entscheidungen?«, fragt Phire ungläubig.
»Ja. Die Programme haben Zugang zu allen Daten, die irgendwo auf der Welt gespeichert sind oder gesammelt werden. Und was nicht automatisch erfasst wird, geben wir per Hand ein. Aber das ist vernachlässigbar.«
»Moment mal« wirft Phire ein. »Ist die Überwachungselektronik nicht durch den EMP zerstört worden?«
»Das ist ja das Fantastische daran« ereifert sich ProxyClobber. »Das Zeug ist so winzig, dass fast nichts davon kaputt gegangen ist.«
»Sonderbar«, meint CycloneB, wird aber von dem grimmig blickenden Arnold unterbrochen. »Das heißt, es gibt überhaupt keinen Datenschutz mehr«, platzt dieser dazwischen.
»Das ist auch gar nicht mehr nötig«, sagt ProxyClobber unbekümmert. »Die Daten bekommen doch sowieso nur noch Computer zu sehen, da die Menschen die Entscheidungen nicht mehr nachvollziehen müssen.«
»Ah ja«, sagt CycloneB trocken. »Und die Demokratie habt ihr gleich mit abgeschafft!«
»Ich weiß gar nicht, was ihr habt. Ohne die ANEBs würde immer noch Chaos herrschen. Gut, ich gebe zu, es hat ein paar Umstrukturierungen gegeben. Wir arbeiten jetzt alle zusammen, um die Befehle der ANEBs effizient umzusetzen.«
»Befehle?«, fragt Zero. »Du meinst wohl Entscheidungen.«
Ohne eine Antwort von ProxyClobber abzuwarten, stellt Arnold eine weitere Frage. »Wer ist wir?«
»Na wir alle«, sagt ProxyClobber. Die Politiker, die Parteien, Beamte, Militär, Polizei, Richter, Geheimdienste, Ministerien, Behörden. Das System einfach.«
Dann wechselt er plötzlich das Thema. »Ihr müsst nach Berlin kommen. Ich sagte schon, dass wir Leute mit euren Fähigkeiten brauchen. Ich bin mir sicher, es wird euch hier gefallen. Der Bunker ist doch so abgelegen, da wollt ihr bestimmt nicht bleiben. Wir werden euch in zwei Tagen abholen und hierher bringen. Bis dahin habt ihr Zeit, eure Sachen zu packen und euch reisefertig zu machen.«
CycloneB findet, das Ganze beunruhigend aber jetzt ist die Katze aus dem Sack. ProxyClobber weiß von ihrer letzten Begegnung, wo ihr Bunker ist, und mit diesem Treffen ist nun auch bekannt, dass sie noch am Leben sind.