Computerdiktatur. Roy O'Finnigan

Computerdiktatur - Roy O'Finnigan


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haben sie zwei Tage, Zeit sich vorzubereiten.

      ***

      Ein Militärkonvoi, bestehend aus mehreren LKW, Begleitfahrzeugen und mindesten einhundert Soldaten, kommt pünktlich nach zwei Tagen an. Sogar zwei Panzer haben sie dabei.

      »Wie bitte?«, fragt Sam ungläubig den Major, der den Konvoi anführt. »Sie besetzen meinen Bunker und benützen ihn als Militärstützpunkt?«

      »Der Bunker ist hiermit beschlagnahmt«, sagt der Offizier in befehlsgewohnten Ton. »Er ist jetzt Eigentum der Armee der Vereinigten Staaten von Europa.«

      Sam verschlägt es die Sprache. Bevor jemand Urs daran hindern kann, legt dieser los. »Moment mal. Was geht hier vor? Sie können hier nicht einfach das Privateigentum von Bürgern beschlagnahmen. Das ist gegen jedes Gesetz. So war das nicht abgemacht. Ich möchte auf der Stelle ihren Vorgesetzten sprechen.«

      Der Major bleibt unbeeindruckt. »Die Gesetze, die Sie meinen, gelten nicht mehr. Wir haben Ausnahmezustand. Die Armee kann jederzeit und überall beschlagnahmen, was sie für notwendig hält, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrecht zu halten oder wieder herzustellen. Und im Falle dieses Bunkers halten wir es für notwendig. Sie können gerne meinen Vorgesetzten sprechen. Wenn Sie in Berlin sind.«

      Urs beginnt zu kochen. »Nein, ich möchte ihn sofort sprechen. Bevor wir ihn nicht gesprochen haben, gehen wir hier nicht weg.« poltert Urs nur mühsam beherrscht los.

      »Ich habe Anweisung, Sie unverzüglich nach Berlin zu bringen. Entweder Sie verlassen den Bunker freiwillig und kommen mit als unsere Gäste oder als unsere Gefangenen. Mir ist das egal.«

      Um den Worten ihres Vorgesetzten Nachdruck zu verleihen, greifen die Soldaten demonstrativ zu ihren Waffen und entsichern sie.

      Aya hat Urs die ganze Zeit über beobachtet. Sie weiß, wann es bei ihm so weit ist, dass er explodiert. In so einer Situation kann ihr Freund durchaus durchschlagende Wirkung entfalten. Aber selbst wenn sie die 20 Soldaten im Gemeinschaftsraum hier unten überwältigen, warten oben immer noch die restlichen 80. Deshalb legt sie ihm entschlossen die Hand auf den Arm und schüttelt energisch den Kopf.

      »Lass gut sein Urs«, sagt Sam. »Es hat keinen Zweck, mit diesen Befehlsempfängern zu diskutieren. Wir werden das in Berlin klären.« Dann wendet er sich an den Major. Bevor er spricht, mustert er ihn demonstrativ von oben bis unten. Der Offizier hat breite Schultern, ist durchtrainiert, ein paar Zentimeter größer als Sam und trägt eine Uniform mit Tarnmuster. Seine kurzgeschorenen Haare hat er mit einem grünen Barett bedeckt. »Ich protestiere offiziell gegen die Beschlagnahme meines Bunkers«, sagt Sam. »Gemäß Gesetz steht mir eine Bestätigung zu, dass der Bunker enteignet wurde«, ergänzte er.

      Der Major mustert Sam genauso, wie dieser ihn vorher begutachtete. Dann greift er in seine Tasche und händigt ihm einen Briefumschlag aus. Der ehemalige Besitzer des Bunkers verzichtet darauf den Umschlag zu öffnen. Er seufzt resigniert, blickt nacheinander seine Freunde an und verlässt wortlos den Raum.

      ***

      Während der Fahrt nach Berlin grübelt Sam die ununterbrochen darüber, was er falsch gemacht hat. Er sitzt mit Vilca und Paul in einem leicht gepanzerten, geländetauglichen PKW des Militärs und macht sich Vorwürfe. Was hatte er sich dabei eigentlich gedacht, einfach jemanden von der Cyberterror-Abwehr anzurufen und zu glauben, dass sie ihm alle Wünsche von den Augen ablesen und in ihren Kreis aufnehmen würden? Natürlich muss die Regierung Leute mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten unter ihre Kontrolle bringen. Er schimpft sich einen Idioten, weil er nicht vorher daran gedacht hatte.

      Schließlich reißt Vilca ihn aus seinen trüben Gedanken. Sie kennt ihn zu gut und weiß genau, was in seinem Kopf vor sich geht. »Mach Dir keine Vorwürfe. Früher oder später wären wir sowieso entdeckt worden.«

      »Wahrscheinlich«, bestätigt Sam. »Aber wir hätten uns Zeit lassen sollen, um uns besser vorzubereiten. Dann hätten wir eine Verhandlungsposition gehabt.«

      »Meinst du?«, fragt sie ihn. »Es ist doch klar, dass es mehr oder weniger so enden muss. Selbst ohne die Enteignung des Bunkers hätten sie darauf bestehen müssen, dass wir die Lebensmittel, unsere Computer und sonstige Ressourcen hergeben.«

      Sam wirft seiner Freundin einen dankbaren Blick zu, sagt aber nichts weiter. Seine Stimmung verdüstert sich umgekehrt proportional zur Entfernung vom Ziel. Er hat ein schlechtes Gefühl.

      In Berlin werden sie gleich auf die ihnen zugewiesenen Zimmer im Zentralgebäude des Geheimdienstkomplexes gebracht. Sam staunt über die Größe und luxuriöse Einrichtung. Vilca und er haben eine Suite bekommen und er nimmt an, dass das für Urs und Aya ebenso ist.

      Man hatte ihnen gesagt, dass es um 19 Uhr ein festliches Abendessen geben würde, und dass sie ihre Garderobe entsprechend des Anlasses auswählen sollen. Falls sie der Meinung sind, nicht über die geeignete Ausstattung zu verfügen, könne ihnen gerne geholfen werden, lässt man sie wissen. Sie haben also eine gute Stunde, um sich frisch zu machen.

      »Erst beschlagnahmen sie unseren Bunker und dann geben sie uns solche Zimmer«, sagt Sam zu Vilca, die sich im Bad auszieht, um zu duschen. Einen Moment lang sieht sie ihn nachdenklich an. »Ich nehme an, die wollen etwas von uns.«

      »Die haben doch schon alles«, erwidert Sam.

      »Wirklich?«, fragt Vilca und sieht ihn mit einem Du-weißt-genau-wovon-ich-spreche-Blick an, über den nur Frauen verfügen.

      Sam beschleicht eine dunkle Vorahnung. Wenn es das ist, was er befürchtet, befindet er sich in einer Zwickmühle. Dann fällt ihm auf, dass sie weder von Werner Hofer, noch von sonst jemand offiziell begrüßt wurden. Unwillkürlich beginnt er, sich Gedanken um mögliche Fluchtwege zu machen. Die Fenster ihrer Suite führen in einen Innenhof. Sie sind zwar nicht vergittert, aber selbst wenn es aus dem sechsten Stock nach unten schaffen, können sie von dem Innenhof aus nicht einfach aus dem Gebäude spazieren. Sie brauchen auf jeden Fall einen Plan, den sie auch noch untereinander abstimmen müssen.

      Ein Klopfen an der Tür unterbricht für einen kurzen Moment seine trüben Gedanken. Jemand bringt ein Bündel mit Abendgarderobe und legt es auf das Bett. Er beachtet den Boten kaum sondern gibt sich augenblicklich wieder seinen Grübeleien hin.

      »H-hm«, räuspert sich Vilca.

      »H-HMMMMMM«, wiederholt sie lauter.

      »Sam?«

      Erst jetzt reagiert der Erfinder. Überrascht stellt er fest, dass Vilca das Bad verlassen und eines der Kleider angezogen hat. Lasziv steht sie im Raum und nutzt den seitlichen Schlitz, um ihm einen exklusiven Blick auf ihre Beine zu gewähren. »Na, wie gefalle ich dir?«, fragt sie und zieht einen Schmollmund.

      »Sternchen, du siehst fantastisch aus. Neben dir verblasst selbst die Sonne. Vilca quittiert das Kompliment mit einem zufriedenen Lächeln. Der Erfinder fühlt sich ermutigt, nimmt sie in die Arme und blickt ihr tief in die Augen. Aber Vilca schüttelt den Kopf. »Hilf mir bitte mit den Haaren«, sagt sie.

      Gemeinsam flechten sie ein kompliziertes Muster. Sam hat seiner Freundin schon oft dabei geholfen. Als Dank erhält er einen dicken Kuss, mehr nicht. »Du hast noch elf Minuten, um dich fertigzumachen«, verkündete sie und zeigt in Richtung Dusche. Nur ungern trennt sich Sam von dem Anblick ihrer einzigartigen Frisur.

      Das Abendessen wird in einem Saal im Stil Ludwig des XIV serviert. An den Wänden hängen goldumrahmte Spiegel, von den Decken Kronleuchter und zu ihren Füßen liegt ein echtes Holzparkett. Es knarrt bei jedem Schritt so ehrwürdig, dass man ihm ein Alter von 400 Jahren gerne zugesteht. Die festliche Tafel ist für neun Personen gedeckt.

      Sam und Paul tragen einen klassischen Anzug so, wie es für einen solchen Anlass erwartet wird. Beide verzichteten auf optischen Applikationen. Im Gegensatz zu Urs halten sie von solchen Dingen nicht viel. Dieser stellt das Kontrastprogramm in einer umgekehrten Farbkombination und auffälligen Extras.

      Die Freunde müssen nicht lange warten, bis sie ihren Gastgeber kennenlernen. Er braucht sich nicht vorzustellen. Es ist einer der bekanntesten und beliebtesten Talkmaster


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