Geheimauftrag für Sax (1). H. Georgy

Geheimauftrag für Sax (1) - H. Georgy


Скачать книгу
Schiffsglocke, halbwegs wertvolle Kopien historischer Seeschlachtgemälde, einen Muster-Wandteppich aus einfachem Material mit einer Unzahl verschiedenster kurz abgeschnittener seemännischer Seilknoten, ein über dreiviertel der Decke des Raumes gespanntes Netz mit allerlei künstlichem Meeresgetier darauf und als Höhepunkt eine Art Wintergarten, dessen bifokale Fenster jeweils in der Mitte eine runde, bullaugenähnliche, verstärkte Optik auf den rückseitigen wasserpflanzenlastigen Gartenabschnitt boten. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten.

      Der einzige Gegenstand, der nicht zu dem Interieur passen mochte, war ein länglicher, orange-roter Football, der, mit unleserlichen Unterschriften versehen, seinen Platz in einer Halterung auf dem Sideboard gefunden hatte, und einem Wimpel der „Hamburg Blue Devils“ daneben.

      Zwei zugeschlagene Magazine zu der Sportart lagen in der Mitte des Raumes auf dem Couchtischchen, das zusammen mit einer ausladenden Polstergruppe den meisten Platz im Zimmer einnahm.

      „Kitsch as Kitsch can!“ stieß Freysing für sich selbst hervor.

      Derjenige, der ihm die Tür geöffnet hatte, wies ihn mit einer Geste an, auf dem großen blauen Rundsofa Platz zu nehmen, das in dieser Umgebung wie ein großer Kahn wirkte. Niemand hatte es bisher für nötig befunden, ihn nach Waffen zu durchsuchen, was zweierlei bedeuten konnte: Entweder, man war ihm nicht wirklich feindlich gesonnen, oder aber man wollte ihn in Sicherheit wiegen und glaubte dabei nichts befürchten zu müssen.

      Eine Frau erschien, groß, schlank, milchkaffeebraun, tiefschwarzes langes Haar, glatt nach einer Seite hüftlang herunter gekämmt, nicht wesentlich jünger, aber wesentlich jünger wirkend als die „Dame“, die ihn mit hierher gebracht hatte. Sie trug einen Sari, hatte exotische Gesichtszüge mit hohen Wangenknochen, sprach aber ein völlig akzentfreies Deutsch mit leicht nordischem Einschlag.

      „Sie haben sich nach Willy erkundigt!“ ertönte leise ihre angenehme Stimme, weich wie Butter, dabei dem Serben, der gewartet hatte, mit einem Kopfnicken bedeutend, das er gehen könnte. Ihre Worte waren eine Feststellung.

      Als sie ihm gegenüber in einem Sessel Platz nahm, die langen Beine parallel S-förmig leicht schräg gestellt, setzte sie einen amüsierten Blick auf, wie um zu sagen: „Was will denn einer wie du von Willy?“. Sie meinte allerdings wohl den Kapitän, Wilhelm Novotny, der hier wohnte. Er entgegnete erst mal nichts und wartete, dass sie aus der Deckung kam.

      „Entschuldigen Sie die etwas unförmliche Einladung, die Helga und Milo ihnen überbracht haben.“ fuhr sie fort. „Und kommen Sie nicht auf dumme Gedanken, Vaclav ist in der Nähe, und er kann grob werden, wenn es sein muss.“ setzte sie nachdrücklich, aber nicht im Geringsten ängstlich, hinzu.

      In der Tat hatte er nach seiner Ankunft im Hamburger Hafen an ein paar Stellen gezielte Fragen gestellt, die ihn schließlich in die St.-Pauli-Bar geführt hatten. Es war nicht einfach gewesen aufgrund der dortigen Menschenmassen des gerade stattfindenden Volksfestes, aber schließlich halbwegs zielführend.

      „Darf ich rauchen?“ fragte er, um Zeit für eine Legendenbildung zu haben.

      Als sie nickte, nahm er eine „St. James´“ aus seinem Etui und zündete sie sich mit dem „GF“-Feuerzeug aus seiner Tasche an, später den Ascher neben den Zeitschriften auf dem Couchtischchen nutzend, der die Form eines alten Rettungsbootes und die Aufschrift „Rette sich wer kann“ besaß. Er bot ihr keine davon an; sie machte allerdings auch keine Anstalten, um eine zu erbitten.

      „Also?“ fragte er ungeduldig.

      „Also – was?“ entgegnete sie. „Ich dachte, sie seien hier, um mir ein paar Fragen beantworten zu können. Wo zum Beispiel ist Willy?“

      Freysing machte ein erstauntes Gesicht.

      „Eigentlich hatte ich erwartet, ihn hier persönlich anzutreffen!“ sagte er mit fester Stimme. Er war tatsächlich schon sehr überrascht. Es hatte bisher keine Informationen darüber gegeben, dass Novotny verschwunden war.

      „Ich bin vor vier Tagen von einer kleinen Reise wiedergekommen. Er war nicht da. Zunächst habe ich mir keine Sorgen gemacht - da er aus dem Dienst ausgeschieden ist, kann er ja mit seiner Zeit machen, was er will. Aber seine sämtliche Kleidung hängt im Schrank, und es gibt auch keine Nachricht.“

      „In welcher Beziehung stehen Sie denn zu ihm?“

      „Ich kümmere mich um das Haus, wenn er auf See ist. Und das kann – konnte - manchmal sehr lange sein. Als er vor kurzem von der aktiven Marine weg ist, war er dann natürlich öfter hier. Wir sind Freunde. Gute Freunde. Und manchmal auch etwas mehr. - Ich heiße Lena, Lena Palmer. Und Sie?“

      Günter Freysing hatte sich inzwischen seine Geschichte zurechtgelegt.

       „Freysing. Mit Ypsilon. Aber nennen Sie mich Günter. Ohne „Ha“. Ich bin sein Neffe.“ behauptete er dreist. „Wir haben uns etwas Sorgen gemacht.“

      „Wir? - Komisch. Von Familie hat er eigentlich nie etwas gesagt. Und wir haben uns, wenn er hier war, sehr viel über Privates unterhalten. Außer…“ Sie unterbrach sich, so, als habe sie schon zu viel gegenüber dem Fremden preisgegeben.

      „Das ist richtig.“ sagte Freysing vorsichtig, seine Legende vertiefend, um mehr aus ihr heraus zu bekommen. „Wir hatten quasi keinen Kontakt. Meine Familie wohnt in der Nähe von München. Zu den üblichen Festtagen war er meistens auf See. Keine Treffen. Mal ein Telefonanruf vor Ostern oder Weihnachten mit den Wünschen für Frohe Festtage, das war eigentlich alles, was mich mit Onkel Willy verband. Aber vor kurzer Zeit rief er mich an… das war schon allein ungewöhnlich“, log er ungeniert. Er überlegte einen Moment weiter.

      „Und?“, forderte Sie ihn auf weiter zu sprechen.

      „Er klang… verwirrt. Bestürzt. Er wirkte betrunken und faselte etwas von einem Unfall. Ich habe dann mal versucht, ihn telefonisch zu erreichen, aber ohne Erfolg. Schließlich habe ich mir etwas Urlaub nehmen können, um mal nach dem Rechten zu sehen. War nicht einfach.“ spann er die Legende weiter. Sie musste nur für die Dauer dieses Gesprächs halten.

      Lena nickte und wartete auf Weiteres.

      „Nein. Jetzt Sie! Sie sagten, er habe nie über Familie gesprochen. Außer…?!“

      „Ja. Vor einiger Zeit hat er hat etwas erfahren, das ihn ein wenig aus der Bahn geworfen hat. Danach hat er viel getrunken…“. Sie stockte, offenbar wollte sie darüber nicht weiter sprechen.

      „Und das war?“ – Freysing hatte das Gefühl, gleich überrascht zu werden.

      Sie überlegte einen Moment, schien aber dann zu der Überzeugung zu gelangen, dass ihr Gegenüber vertrauenswürdig sei und ernsthaft besorgt war.

      „Er hat einen Sohn!“

      Das war eine Überraschung! Wenn auch nicht unbedingt eine weiterhelfende.

      „Nein!?“ sagte Günter Freysing deshalb schnell so erstaunt wie schockiert.

      „Doch! Er hat es erst vor nicht allzu langer Zeit überhaupt erfahren. Das Ergebnis eines Techtelmechtels in Schottland, als er noch Offiziersanwärter auf einem Minensuchboot war. Das muss Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger Jahre gewesen sein. Eine interessante Zeit damals. Nato-Doppelbeschluss, Demos…“. Sie schien geistig in Erinnerungen ihrer frühen Jugend zu schwelgen.

      Günter Freysing rechnete sich aus, wie alt der Sohnemann des Kapitäns inzwischen sein mochte.

      „Okay, er hat also überraschend einen Sohn. Das freut einen, das bestürzt einen, oder es lässt einen kalt, je nachdem – aber es wirft einen doch nicht so aus der Bahn.“

      „Normalerweise nicht.“

      „Und bei Onkel Willy war es nicht normal? Was ist denn mit der Mutter?“

      „Schottischer verarmter Landadel. Hat sich wohl mehr schlecht als recht durchs Leben geschlagen und ziemliche Entbehrungen auf sich genommen, um den Kleinen groß zu ziehen. Aber sie war wohl einerseits zu stolz, um nach dem Vater ihres Kindes zu suchen, andererseits hatte sie nicht die Möglichkeiten.“


Скачать книгу