Geheimauftrag für Sax (1). H. Georgy

Geheimauftrag für Sax (1) - H. Georgy


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      „Nur allein der Mensch vermag das Unmögliche. Er unterscheidet, wählet und richtet; er kann dem Augenblick Dauer verleihen.

       Er allein darf den Guten lohnen, den Bösen strafen,heilen und retten, alles Irrende, Schweifende nützlich verbinden.“

      

      (Goethe, „Das Göttliche“)

      H. Georgy: „Geheimauftrag für „Sax“: Die Stahlmann-Verschwörung“

      Kapitel 1: Italien.

       Norditalien, Friaul-Julisch Venezien, bei Paluzza nördlich von Tolmezzo am Fuße der Karnischen Alpen. Ein einsamer und wenig bekannter Landgasthof etwas abseits der Hauptstraße zwischen Cleulis und Timau, separate Berg-Ferienhütte „La Motta“, 9. Mai 2014, 3:20 Uhr nachts Ortszeit. Sprich: Am Ende der Welt zu nachtschlafender Zeit.

      Unter der dünnen Bettdecke zeichneten sich die deutlichen Konturen zweier halbschlafender Gestalten ab. Die eine erschien groß, muskulös und trainiert, die andere etwas kleiner, zusammengerollt in Fötusstellung.

      Die kleinere Gestalt bewegte sich gerade ein wenig und löste sich sanft aus der Umarmung, die sie gefangen nahm. Sie schob die Bettdecke beiseite und blinzelte etwas in das durch die Scheiben hereinfallende Mondlicht. Rote Haare, kurz geschnitten, nach hinten nur halslang; ein volles, herzförmiges Gesicht mit einer etwas zu robusten Nase, aber ansonsten hübsch geformt, blau-gesprenkelte, ungewöhnliche Augen. Auf dem rechten Schulterblatt saß ein handtellergroßes Tattoo in Form eines tiefblauen Halbmondes, dessen sich zum Vollmond vollendenden Konturen in karmesinrot die dämonische Fratze eines Teufelswesens darstellten. Beinahe eine Analogie zur Szenerie.

      Das einzige, was sie an Kleidung trug – wenn man es so nennen wollte, als sie nun vorsichtig aufstand - war ein feingliedriges, enges Goldkettchen an ihrem linken Handgelenk. Ihre Brüste waren eher klein, aber wohlgeformt wie ihr gesamter Körper. Sie mochte um die dreißig Jahre jung sein, nicht mehr als einsfünfundsechzig groß, schien insgesamt recht sportlich trainiert und turnte beinahe mit katzenhafter Geschwindigkeit durch den nur halbdunklen Raum.

      Der Mann im Bett bewegte sich nun auch leicht, als habe er einen angenehmen Traum, wachte aber scheinbar nicht auf. Sein recht längliches, ovales Gesicht glänzte im hereinfallenden Licht des abnehmenden Halbmondes. Sein Atem blieb ruhig und gleichmäßig, auch als er sich bewegte.

      Die Lippen des Mannes waren voll und dunkelrosa, wie der Mund eines berufsmäßigen Blasmusikers. Er schien beinahe im Schlaf etwas zu lächeln – vielleicht die unterbewusste schöne Erinnerung an die letzte halbe Nacht.

      Der stoppelige Dreitagebart, den der trug, war keine Erscheinung der Anstrengungen der letzten Tage, sondern gehörte zu ihm wie ein Deckmantel, ohne ihn allerdings älter zu machen. Das im Laufe der letzten Jahre etwas schütter gewordene dunkelblonde Haar zeigte an den Ansätzen ein kaum merkliches grau, die Farbe auch seiner Augen.

      Ein Blick in sein Gesicht oder auf seine Hände hätte das Alter nicht verraten, es mochte zwischen vierzig und fünfundvierzig Jahren zählen, aber das konnte täuschen, denn trotz seines mitunter anstrengenden und gefährlichen wirklichen Berufes hatte er sich noch ein recht jugendliches Aussehen bewahren können.

      Man hatte ihm früher öfter nachgesagt, dass er vom Gesicht her entfernt dem Boxer Henry Maske ähnlich sähe, aber das hatte er stets von sich gewiesen. Die einzige Gemeinsamkeit war, wie er selbst fand, die Geburtsregion im brandenburgischen Fläming, zwischen Potsdam und der Lutherstadt Wittenberg.

      Auf der Nachtkonsole neben seiner Betthälfte lagen eine Armani-Gleitsicht-Sonnenbrille mit den lichtreaktiven Zeissgläsern und ein blattgoldenes Etui mit bis zu zwanzig „St. James´“-Zigarillos, einer besonders starken Perique-Marke, der Tabak nur mäßig gestreckt und in Pflaumensaft gegoren, die er bevorzugte.

      Ihr Tabak wächst nur an einem bestimmten Ort im US-Staat Louisiana an den Ufern des Mississippi und sein Rauch erinnerte ihn immer sehr an seine Zeit als konsultierter Verbindungsmann zum FBI in den Südstaaten der USA. Das Geheimnis des Tabaks liegt darin, dass vor der Ernte ein Teil der Blätter entfernt wird, um den Nikotingehalt zu erhöhen. Die Zigarillos sind in Europa nur sehr schwer zu bekommen, und er ließ sie eigens importieren. Aber in letzter Zeit rauchte er tatsächlich seltener, weil ihm der Arzt bei der letzten Fitnessprüfung ernsthaft von übermäßigem Tabakkonsum abgeraten hatte.

      Daneben befand sich auf der Konsole noch ein zum Zigarilloetui passendes Dunhill-Feuerzeug mit den eingravierten Initialen „G.F.“ und dem Zusatz „in Liebe, Susanne“ in verspielt-verschnörkelten Buchstaben. Und eine angebrochene Pariser-Packung.

      Günter Freysing, in gewissen Kreisen auch als BND-Agent „Sax“ bekannt, wartete, bis das „Mädchen“, eigentlich ja mehr eine junge Frau, in der Ecke angelangt war, an der es am Abend zuvor ihre Kleidung verloren hatte, bevor seine Hand vorsichtig über das Bett, aber noch unter der Decke, zu der Schublade tastete, die sich in der Nachtkonsole befand. Die Augen hielt er dabei geschlossen, um weiterhin den Eindruck des Schlafenden zu vermitteln.

      Das „Mädchen“ zog sich nun vor dem Fenster schnell an, was auf einen heimlichen Beobachter sehr aufreizend wirken musste, und schnappte sich dann eine schmale, bordeauxrote Aktentasche. Sie lag auf einem der Sessel, die das spärliche Mobiliar dieses Raumes beinahe komplettierten.

      Günter Freysing hatte nun die Schublade leise aufgezogen. Darin lag eine Heckler & Koch Pistole des Typs P 30 V2, Kaliber 9mm, in der alle bekannten Detektoren abweisenden Kunststoffausführung. Eine grauschwarze, tödliche Waffe mit überzeugender Durchschlagskraft, wie es der Waffenmeister des BND genannt hatte, der für die technische Ausrüstung der Agenten des aktiven Dienstes zuständig war. Die Griffschalen der Waffe waren speziell für Freysings rechte Hand gefertigt. Obwohl er sie in den Jahren seit ihrer Einführung als Dienstwaffe nur sehr selten benötigt hatte, war sie für ihn ein treuer Freund geworden.

      Das „Mädchen“ verschwand gerade mit der Aktentasche durch den offenen Durchgang in den Nachbarraum. Günter Freysing ignorierte die Pistole und griff stattdessen nach dem kleinen, viereckigen Kästchen mit drei Tastknöpfen, das sich ebenfalls in der Schublade befand.

      Dann stand er geräuschlos und behände auf, um dem Mädchen, selbst splitternackt, zu folgen. Körperlich war er in ausgezeichneter Form, wie der alljährliche Leistungstest unlängst ergeben hatte. Außer der Lunge vielleicht.

      Sie hatte beinahe die schwere Holztür erreicht, die nach draußen führte, als er es mit einer kurzen Bewegung seiner Hand zum Dimmschalter im Wohnraum von einem Moment zum anderen beinahe taghell werden ließ.

      Erschrocken und überrascht zugleich drehte sich das „Mädchen“ rasch um, ohne wirklich in Panik zu verfallen.

      Sie war unzweifelhaft eine gute Schauspielerin und erinnerte, wenn auch nur sehr entfernt, an eine jüngere Version von Franka Potente zu der Zeit, in der diese durch den Film „Lola Rennt“ von Tom Tykwer bekannt geworden war.

      Ihre kleinen Brüste zeichneten sich deutlich unter dem enganliegenden Kostüm ab. Auch in ihrer scheinbaren Panik wirkte sie sehr sexy; es war aber nichts im Vergleich zu dem Anblick des 1,91 Meter großen, nackten, durchtrainierten Freysing, der sich ihr bot. Sie musste unwillkürlich schmunzeln.

      „Mach wenigstens einen falschen Schritt, damit ich leichter von dir loskomme“, zitierte dieser einen, wie er fand passenden, alten Trennungsspruch.

      „Versteh´ mich nicht falsch Gunny, die Nacht mit dir war nochmal wunderschön, aber ich muss jetzt leider gehen!“ säuselte sie neckisch. Sie sprach es englisch, so wie die Abkürzung für „Gunnery Sergeant“, aus.

      „Dagegen wäre nichts einzuwenden, aber die da“ – er deutete auf die Aktentasche in ihrer Hand – „solltest du doch besser hier lassen, oder?“

      Ihr Blick erhaschte kurz das verräterische Objekt ihrer Begierde, bevor sie wieder zu ihm


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