Eine feine Gesellschaft – Marder Misties zweiter Fall. Kirsten Klein
einrichten lassen. Die ist einem spätbarocken Schlösschen nachempfunden, und zwar in Hamburgs Nobelgegend, dem Falkenstein in Blankenese. Dass er finanziell so gut wie gar nichts dazu beitragen konnte, stört ihn immer noch ein bisschen.
Weitaus stärker belastet ihn jedoch der Verlust ehemaliger Patienten. Nicht etwa der geheilten! So sehr sie ihm auch im Laufe der Zeit ans Herz wuchsen, denen wollte er nach erfolgreicher Behandlung nur noch beim Joggen im Wald oder anderswo begegnen.
Nein, Sammy trauert um potentielle Patienten, die künftig zu ihm gekommen wären in seine ehemalige Praxis in Berlin-Kreuzberg, die oftmals das einzige Lebensglück ihrer Menschen darstellten. Wie oft hatte er nicht schon beide Augen zugedrückt und weit weniger als üblich für eine Behandlung verlangt. Ein zufriedenes geheiltes Tier und das Leuchten in den Augen einer Rentnerin mit schmalem Geldbeutel oder eines Obdachlosen – das war ihm stets der schönste Lohn.
Ob die jetzt noch Hilfe fanden für ihre Tiere? Sammy hat allen Grund, es zu bezweifeln.
Und wie verhält es sich hier? Nicht etwa, dass es in Hamburg keine hilfsbedürftigen Tierhalter gäbe, aber von denen findet offenbar keiner den Weg zu ihm, in diese super Nobelgegend.
Seufzend nimmt Sammy das Scalpell, wendet sich dem Kater zu und setzt den ersten Schnitt.
Dass diese blöde Klappe beim Zufallen immer so klappern muss!
Na ja, sei froh, ermahnt sich Mistie. Sophia hat sie extra für dich einbauen lassen, die erste Marderklappe weit und breit! Welcher seiner Artgenossen kann schon mit einer eigenen Haustür aufwarten, noch dazu an so einem Palast?
Der Marder blickt sich um, vernimmt das leise Klirren von Sammys Op.-Besteck hinter der nur angelehnten Praxistür. Ihn schaudert bei dem Gedanken, er könnte da drin auf dem Tisch liegen, ist erleichtert, dass Sammy ihn offenbar nicht bemerkt hat. Dadurch könnte vielleicht Lady auf ihn aufmerksam werden. Der will er jetzt am allerwenigsten über den Weg laufen, hat noch die Nase voll von ihrer letzten Standpauke.
Aber Lady scheint mit Sophia unterwegs zu sein, stellt Mistie fest, als er die Marmortreppe hinaufhoppelt. Das muss er ausnutzen, obwohl sein Magen knurrt. Nichts wie ab in sein Turmzimmer und unter die kuschlige Decke!
Ja, sogar ein eigenes Zimmer mit einem eigenen Bett darin besitzt er jetzt, kaum zu glauben. Seine Artgenossen im Wald glauben es ihm auch nicht, sträuben sich wahrscheinlich dagegen, aus purem Neid. Ha, wer hätte gedacht, dass Mamas Jüngster es mal so weit bringen würde – erst einen eigenen Benz, dann einen Luxusliner und jetzt als Krönung im nobelsten Wohnviertel eine Villa, prachtvoll wie ein Schloss!
Okay, er teilt sie mit Lady, Sophia und Sammy, ist schließlich nicht geizig, wie beispielsweise sein großer Bruder, nur ehrgeizig.
Apropos großer Bruder – der gibt jetzt mächtig mit ihm an, gerade so, als hätte er auf dem Luxusliner Sophias Ex Anton und dessen Komplizin dingfest gemacht. Die wollten Ladys Sophia im Meer ertränken.
Pah! Soll er ruhig damit angeben, das glaubt ihm sowieso keiner, nicht mal eine Maus. Nein, keiner kann Mistie seinen Ruhm stehlen. Immer mehr Singvögel komponieren Lieder darauf und verbreiten sie in Wald und Flur.
Tja, so könnte eigentlich alles wunderbar sein. Genüsslich rollt Mistie sich unter der Decke zusammen. Eigentlich. Wenn nur Lady nicht so streng mit ihm wäre, kommandiert ihn fast so herum wie ihre Sophia. Aber das geht zu weit, das kann sich ein Marder nicht bieten lassen! Nein, wenn sie nur noch einmal wagt, ihn zusammenzustauchen, wird er ihr gehörig Bescheid stoßen, sie seine Zähne spüren lassen, sie...
Allein der Gedanke daran vertreibt alle Müdigkeit aus Mistie. Er wird, er wird... Ja, er wird ihr sagen, was für ein rücksichtsloses kleines Biest sie ist!
Dass seine Gedanken laut werden, merkt Mistie erst, als ihm die Decke weggezogen wird und er Ladys nicht minder wütendes Gesicht direkt auf sich gerichtet sieht. „Was bin ich? Sag das noch mal!“
Mistie duckt sich unter ihrem starren Blick. „Ich meinte doch gar nicht dich, hab doch nur geträumt, von diesem biestigen Köter, den wir manchmal im Wald treffen." Wie heißt der noch gleich? Es fällt ihm nicht ein.
„Hexi“, hilft Lady ihm auf die Sprünge und fährt wutentbrannt fort: „Und das soll ich dir glauben, du Herumtreiber, du! Lügst mich doch dauernd an! Erst vorgestern warst du wieder die ganze Nacht unterwegs, wahrscheinlich mit irgendeinem Marderflittchen! Gib’s zu, gib’s wenigstens zu!“
Mistie weiß nicht, was er sagen soll. Wäre ja schön, wenn’s tatsächlich so wäre, gesteht er sich insgeheim ein. Als Marder fühlt er sich nun mal zu weiblichen Mardern hingezogen. Zu dumm nur, dass er selbst den doofsten Mardermädchen suspekt ist. Wie sagte doch erst kürzlich eine: ‘zu hündisch’. Klar, wie sollte er auch nicht nach Hund riechen, wenn er täglich mit einem zusammen ist?
„Ich hetze durchs Unterholz vor lauter Sorge um dich, lasse meine arme Sophia hilflos im Wald stehen und warten, während du hier faul rumliegst und...“
„Ich bin doch gerade erst nach Hause gekommen“, erhebt Mistie Einspruch und stockt, weil er merkt, dass er seine Worte nicht unbedingt klug gewählt hat. „Na also, du gibst es also zu, dass du dich die ganze Nacht herumgetrieben hast!“, triumphiert Lady auch sofort. Mistie hat noch ihre vorletzte Äußerung im Ohr: “...vor lauter Sorge um dich,...“ Ach, das lässt doch gleich seinen Frust abflauen. Klar, sie ist ein Biest, aber ein süßes! Beschwichtigend will er ihr übers Näschen lecken, doch heute gibt sich die kesse Hündin damit nicht zufrieden. „Versprich mir erst, dass es nie wieder vorkommen wird“, verlangt sie.
„Ja mein Schmatz! Natürlich, meine Herzallerliebste“, beteuert Mistie überstürzt, ohne zu bedenken, dass er so etwas besser nicht versprechen sollte. Denn – bei aller Verhundlichung, die er seit seiner Bekanntschaft mit der Chihuahua-Hündin durchlebt –, ist er halt doch immer noch ein Marder. Und Marder hält es nachts nun mal nicht in ihrem Bau, selbst wenn dieser Bau eine noch so super tolle Villa ist.
Aber Lady will es offenbar glauben, lässt sich jetzt doch von ihrem Freund übers Näschen lecken.
„Mistie, du Schlingel! Liegst hier, während wir dich überall suchen!“
Beide Tiere horchen auf und sehen Sophia in der Tür stehen. Der Marder kennt sie inzwischen gut genug, um zu verstehen, dass der Tadel in ihrer Stimme nicht wirklich ernst zu nehmen ist, kann die Erleichterung auf ihrem Gesicht lesen. „Was ist, ihr Turteltäubchen, habt ihr keine Lust auf Frühstück?“
Die beiden wechseln einen vielsagenden Blick. Menschen können manchmal wirklich ausgesprochen dumme Fragen stellen.
Schwer zu sagen, wessen Magen am lautesten knurrt, als Hündin und Marder zwischen Sophias Füßen hindurch rasen, sich auf der Treppe schier überschlagen und anschließend über die Küchenfliesen schlittern.
Ehe Sophia sie auch nur betreten kann, hockt Mistie schon auf der Anrichte, schnappt sich ein paar köstlich saftige Brocken aus seiner Keramikschüssel und genießt einen jener seltenen Momente, in denen er froh ist, kein so ungelenkiger Hund zu sein. Mitfühlend lässt er was zu Lady herunterfallen.
„Sieh nur“, meint Sophia zu Sammy, der hinter ihr in der Tür erscheint. „Er teilt sein Futter mit ihr.“
Nachsichtig lächelnd umfasst sie der junge Mann. „Aber Prinzessin, was du schon wieder in die Tiere hineininterpretierst. Das ist ihm im Übereifer einfach über die Kante gerutscht.“
So sehr sie Sammys Fachwissen anfangs auch geschätzt hat, so sehr geht er Sophia allmählich damit auf die Nerven. Leicht gereizt macht sie sich von ihm los und stellt beide Futterschüsseln auf den Boden, worauf sich Hund und Marder sofort darüber hermachen. Sammy behauptet, nach seinem Patienten sehen zu müssen und verzieht sich.
„Hast du das eben mitgekriegt?“, fragt Mistie schmatzend seine Freundin. „Klar“, schmatzt die zurück. „Ich beobachte das schon seit geraumer Zeit mit wachsender Besorgnis.“
Sophia beäugt die beiden mit zweifelnden Blicken von der Seite. Sollte Sammy doch Recht gehabt haben? „Nicht streiten, es ist