Eine feine Gesellschaft – Marder Misties zweiter Fall. Kirsten Klein

Eine feine Gesellschaft – Marder Misties zweiter Fall - Kirsten Klein


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Wann hatte Mama, eine erfahrene Jägerin, schon mal ein Wildkaninchen erbeutet? Und er muss sich jetzt nicht mal diese Mühe machen, sondern bekommt es serviert. Sogar sein Name steht auf der Schüssel, wie Sophia ihm erzählt hat.

      Aber das ist Mistie egal. Trotz aller Verschiedenheiten zwischen ihm und Lady, die sich im Alltagsleben herauskristallisieren, sind sie sich in einem Punkt stets einig: Äußerlichkeiten sind unwichtig. Auf das Innere kommt es an!

      Im Nu sind die Schüsseln leer. Sophia fühlt sich von zwei Augenpaaren ins Visier genommen. „Verstehe, ihr wollt einen Nachschlag.“

      Die Chihuahua-Hündin wedelt mit ihrem über den Rücken geringelten Schwänzchen und fiept. „Fein Sophia, ganz fein!“ Dann zu Mistie: „Siehst du, manchmal kapiert sie doch etwas.“

      Bevor die junge Frau pariert, äugt sie abschätzend zur Tür, ist mit zwei Schritten bei der Anrichte und füllt beide Näpfe erneut, ohne dabei die Tür aus den Augen zu verlieren. „Aber pssst“, hebt sie verschwörerisch den Zeigefinger. „Sammy darf nichts davon mitkriegen.“

      Erstaunt blickt Mistie zu Lady. „Sammy ist scharf auf unser Kaninchenragout?“ „Ach was“, beruhigt sie ihn. „Der mag doch gar kein Fleisch. Ist dir das noch nie aufgefallen?“

      „Jetzt wo du es sagst.“

      „Er meint nämlich, ihr könntet zu dick werden“, erklärt Sophia und stellt die Näpfe auf den Boden. „Aber das ist ja ganz mageres Fleisch.“ Verschmitzt lächelnd schaut sie zu, wie die beiden sich darüber hermachen. „Bleibt aber unser Geheimnis.“

      Gleich glänzen die Schüsseln so sauber, als kämen sie aus der Spülmaschine. „Jetzt reichts’s aber wirklich“, mahnt Sophia, als der Marder seinen ohnehin langen Hals noch länger reckt, hinauf zur Anrichte. Schwups – schon hockt er darauf, spaziert zum Spülbecken und leckt am Wasserhahn herum.

      „Ach so – das hab ich ganz vergessen“, äußert Sophia zögernd. Angst, dieser Situation unangemessen, durchzieht ihre Worte, während ihre Blicke sich an zwei noch leere blaue Näpfe klammern. Zitternd ergreifen ihre Finger einen davon und halten ihn unter den Hahn. Mit der anderen, nicht minder zitternden Hand, drückt sie den Hebel hoch und starrt wie gebannt auf das ausströmende Wasser, während der Napf in ihrer Hand zu wackeln beginnt. Zwischen Mistie und Lady springen irritierte Blicke hin und her.

      Sammy tippt gerade die ersten Ziffern einer Telefonnummer ein, um dem besorgt wartenden Frauchen des Katers mitzuteilen, dass er alles gut überstanden hat, als ein markerschütternder Schrei ihn innehalten lässt. Gleich drei Stufen auf einmal nehmend, sprintet er die Treppe zur Küche hinauf, sieht Sophia kreidebleich vor der Anrichte stehen.

      Sie starrt auf ihre bloßen Füße in den blutroten Sandalen und gewahrt, wie diese von Wellen umspült werden. Glänzend im einfallenden Morgenlicht, nehmen sie Anlauf, lecken schon an ihren Schienbeinen, erreichen die Knie und fluten höher, höher, höher...

      „Sophia! Schau zu mir, Sophia!“ Nur gedämpft, wie aus unendlicher Ferne, dringen Sammys Stimme und Ladys hohes Gebell an ihre Ohren. Aber sie kann den Blick nicht abwenden von den tosenden Wellen, von den Schaumkronen darauf, die jetzt ihre Brust erreicht haben und neuen Anlauf nehmen. Im nächsten Augenblick werden sie über ihrem Kopf zusammenschlagen. Darin rauscht es, als wären sie schon eingedrungen in Mund, Nase, Augen und Ohren. Am Hals fühlt sie etwas Feuchtes, presst ihre Lippen aufeinander, wagt nicht mehr zu schreien.

      Ladys Gebell und Sammys Stimme – beides ist untergegangen. Gleich wird auch sie ertrinken. Die nächste Welle reißt Sophia hinab in eine schwarze Tiefe, die ihre Gedanken zu ersticken droht.

      Doch es erfolgt kein Aufprall. Stürzt sie noch immer, dem unendlich tiefen Meeresgrund entgegen?

      „Sophia!“ Wie durch dicke Wattewolken dringt Sammys Stimme zu ihr, durchdringt das Rauschen in ihrem Kopf. Allmählich verdeutlichen sich ihre Gedanken. Sammys verschwommene Gesichtszüge nehmen Konturen an, direkt vor ihren Augen.

      Wie kann er ihr so nah sein? Ist er ihr in die Tiefe hinab gefolgt? Unhörbar formen Sophias Lippen seinen Namen.

      „Prinzessin, alles ist gut, alles gut.“

      Während sie sich von Sammy halten und wiegen lässt, verebbt allmählich das Rauschen in ihrem Kopf. In Scherben auf den Küchenfliesen erkennt sie die Überreste des blauen Wassernapfs. Durch die ausgelaufene Pfütze tappen Lady und Mistie zu ihr und lecken ihr beruhigend übers Gesicht.

      Der Marder hat eine nasse Schnauze. Das erinnert Sophia an ein Gefühl. Vorhin, das Feuchte an ihrem Hals... Er muss zu ihr auf die Anrichte gesprungen sein. Sie lächelt, noch kraftlos, aber es ist immerhin ein Lächeln. Allerdings wird es sogleich ausgelöscht durch die Erkenntnis, dass ein von der Anrichte gefallener Napf mit ein bisschen Wasser eine dermaßen extreme Panikattacke in ihr auslösen konnte.

      „Sophia, Prinzessin, so kann es nicht weitergehen“, vernimmt sie Sammys besorgte Stimme und vergräbt schluchzend ihr Gesicht in seiner Halsbeuge.

      2

      Wenn sie sich auf die Hinterpfoten stellt, kann Lady von dem mit rotem Leder bezogenen Sitzpolster des Stahlrohrstuhls aus knapp über die Kante des Glastisches hinwegschauen, zu der jungen Frau, die wie gebannt auf etwas stiert. Das kennt Lady von Sophia. Die hat auch so ein Gerät, worauf man mit den Fingerkuppen herumklappern kann. Auf der darüber aufragenden Wand erscheint dann ein helles Flackern, oft auch verschiedenste Geräusche. Ja, sogar sämtliche Tiersprachen nachahmen, ohne auch nur im entferntesten nach ihnen zu riechen, kann dieser Laptop, wie die Menschen das merkwürdige Ding nennen. Mistie war es anfangs sehr unheimlich – wie so vieles in der Villa.

      Doch daran denkt Lady jetzt nicht. Weitaus mehr beschäftigt sie die Überlegung, wie sie diese junge Frau dazu bringen könnte, ihr die Tür zu öffnen. Weil ihr nichts Besseres einfallen will, beginnt sie endlich zu jaulen. Immerhin – die Sekretärin schaut auf. „Du musst noch warten. Dein Frauchen ist noch nebenan, beim ‘Chef’.“

      Klingt seltsam, wie sie das sagt, denkt Lady. Gerade so, als hielte sie nicht besonders viel von ihm. Lady ist beleidigt. Für wie blöd hält diese Tippse sie? Natürlich weiß sie, dass Sophia dort drüben ist, schräg gegenüber von diesem Zimmer! Außerdem ist Lady sauer, stinksauer! Welch eine Unverschämtheit, dass sie hier warten soll! Sophia müsse während der Therapie loslassen, auch ihren Hund, hat dieser sogenannte Psychotherapeut gesagt. Pah! Lady glaubt ihm kein Wort, hat gerochen, dass der lügt!

      Ihr reißt der Geduldsfaden. Sie springt vom Stuhl, läuft zur Tür und kratzt bellend daran herum. „Aufmachen, sofort aufmachen! Ich will zu meiner Sophia!“

      „Pscht!“, zischt die Sekretärin und erhebt sich. Als Lady ihre warme Hand über sich spürt, will sie eine Lefze hochziehen und ihre spitzen, weißen Reißzähne zeigen, überlegt es sich aber anders. Sie wittert nämlich keinerlei Anflug von Angstschweiß, fühlt sich im nächsten Moment auch schon beherzt ergriffen und auf eine Decke am Boden gedrückt. „Der ‘Chef’ hat Angst vor Hunden, ich nicht!“, belehrt die Sekretärin sie mit erhobenem Zeigefinger.

      Aha, denkt Lady. So ist das also. Von wegen ‘loslassen müssen während der Therapie’. Angst hat der, vor ihr. Deshalb darf sie nicht mit in sein Zimmer.

      Inzwischen widmet sich die junge Frau längst wieder dem Computer. Lady muss einsehen, dass sie in ihr einen schwer erziehbaren Brocken vor sich hat. Hier ist psychologisches Vorgehen gefragt. Die Erfahrung hat sie gelehrt, in derartig ausweglos anmutenden Situationen ihr Äußeres einzusetzen. Lady weiß zwar nicht genau, warum, aber dem können nur wenige Menschen widerstehen. Mal testen, ob dieses Exemplar wirklich so resistent ist, wie es sich gibt. Tapp, tapp, tapp, über das auf Hochglanz polierte Parkett trippelt die Kleine auf die Sekretärin zu und baut sich erwartungsvoll vor ihr auf. Dann legt sie das Köpfchen kokett schräg in den Nacken und attackiert ihr Opfer mit ihrer bei Menschen wirksamsten Waffe, dem unwiderstehlichsten Augenaufschlag.

      Doch die Sekretärin scheint völlig auf den Bildschirm fixiert zu sein. Lady beginnt zu fiepen, zunächst leise,


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