Transasia. Von Karachi nach Beijing. Ludwig Witzani
müssen, um uns die Durchfahrt zu erkaufen. Doch nichts davon geschah. Wortlos wendete Ali den Wagen und fuhr nach Karachi zurück.
Mir dämmerte, dass ich hereingelegt worden war, denn der Taxifahrer musste von Anfang an gewusst haben, dass mit einem ausländischen Touristen auf dem Rücksitz kein Durchkommen möglich sein würde. Deswegen hatten auch die anderen Taxifahrer, die ich gefragt hatte, redlicherweise abgewunken.
Trotzdem verlangte Ali am Ende der Fahrt vor dem Hotel in Karachi den vollen Tagespreis. Gierig blickte er auf meine Bauchtasche, in der sich die Dollarnoten befanden und hielt gebieterisch die Hand auf. Ich gab ihm die Hälfte des vereinbarten Preises und war gespannt, welchen Tanz er nun aufführen würde. Erwartungsgemäß schaltete er sofort auf maximale Empörung, fuchtelte mit den Armen vor mir herum und schrie, dass ich ihn betrügen wolle. Schnell waren wir von einer Männergruppe umgeben, die dem Geschehen mit Interesse folgte. Es war ein Querschnitt der gleichen Gestalten, die mit mir am ersten Morgen in Karachi Tschai getrunken hatten, diesmal aber in anderer Stimmung. Wieder spürte ich die enorme Maskulinität, die von ihnen ausging, und als es immer mehr wurden, drehte ich mich um und verschwand im Inneren des Hotels. Zurück blieb eine wütende Menge.
Damit war die Angelegenheit aber noch nicht ausgestanden. Als ich frisch geduscht wieder in die Eingangshalle des Hotels herunterkam, stand Ali mit einigen seiner Kumpels an der Rezeption und forderte von Herrn Ibrahim die Begleichung der Tagesrechnung. Der Hotelbesitzer stand hinter seinem Tresen, sagte kein Wort und schaute Ali an, als wäre er ein Wurm, was dessen Emphase sichtlich beeinträchtigte. Ich trat hinzu und erklärte, dass ich für einen Bruchteil des Tages den halben Tagespreis und eine volle Tankfüllung finanziert habe und dass das genug sei.
Herr Ibrahim übersetzte meine Darstellung in Urdu, wobei er langsam und gesetzt sprach wie ein Lehrer, der aufgeregte Kinder beruhigen will. Nach dieser Erklärung herrschte einen Moment Ruhe. Alis Gefährten wiegten die Köpfe hin und her, als rechneten sie den Sachverhalt durch, kommentierten das eine oder andere und zogen sich schließlich wieder auf die Straße zurück. Nur Ali blieb mit verkniffenem Gesicht am Tresen stehen und schien zu überlegen, wie er mir das Geld doch noch abpressen konnte. Schließlich ballte er die Fäuste und stieß einen Fluch in meine Richtung aus, den ich zwar nicht verstand, aber von dem ich mir aber denken konnte, was er bedeutete.
Wutentbrannt verließ er das Hotel und begann im Kreis seiner Taxifahrerkollegen ein neues Palaver über meine vermeintlichen Betrügereien. Ohne weiteres würde ich das Hotel nicht mehr verlassen können.
„Sollen wir die Polizei rufen?“ fragte ich Herrn Ibrahim.
Die Polizei zu rufen, sei das Falscheste, was ich machen könnte erwiderte der Hotelbesitzer. Falls es sich um Bekannte dieses Taxifahrers handelte, könnten sie meinen Pass und mein Geld beschlagnahmen und mich ins Gefängnis stecken. „Was dann mit Ihnen geschieht kann niemand wissen. Sie wären nicht der erste Ausländer, der in Karachi spurlos verschwindet.“
Das waren schlechte Nachrichten, doch Herr Ibrahim wusste Rat. Er wählte eine Nummer, sprach leise ins Telefon und legte auf. Eine halbe Stunde später beobachtete ich vom Fenster meines Zimmers im vierten Stock, wie ein schwarzer Van neben dem Taxistand vor dem Hotel hielt. Zwei großgewachsene Männer in dunkler Kleidung stiegen aus, blickten sich kurz um, zeigten mit dem Finger auf Ali und winkten ihn herbei. Auf der Stelle leerte sich der Kreis um Ali, als hätte er eine ansteckende Krankheit. Sofort trottete der glatzköpfige Taxifahrer zu den beiden Dunkelgekleideten und nahm dabei die Haltung eines Schülers an, der in jedem Augenblick ein paar Ohrfeigen erhalten könnte. Soweit ich erkennen konnte, nickte er immerzu zu dem, was ihm einer der beiden Männer sagte. Dann dreht er sich um, stieg in sein Taxi und fuhr davon. Auch die beiden großgewachsenen Männer stiegen wieder in ihren SUV und fuhren davon. Die aufgebrachte Menge zerstreute sich und verfiel in die übliche Lethargie.
„Wer war das?“, wollte ich von Herrn Ibrahim wissen.
„Die Nachbarschaftspolizei“, war die kurze Antwort.
„Offiziell oder inoffiziell?“ fragte ich.
„Weder noch - sondern effektiv“, gab Herr Ibrahim zurück und verschwand in der Küche.
Trotz der heiklen Erfahrungen dieses Tages wollte ich meinen Plan, zur Nekropole von Makli zu reisen, nicht aufgeben. Zu diesem Zweck besorgte ich mir noch am gleichen Nachmittag in einem Textilgeschäft in der Nachbarstraße einen Shalwar Qamiz in gedeckten Farben. Da ich einen Bart trug und dunkle Haare hatte, hoffte ich bei oberflächlicher Musterung in meinem Shalwar Qamiz als Einheimischer durchzugehen.
Pakistanischer Busfahrer bewahrt die Übersicht
Derart ausstaffiert fuhr ich am nächsten Morgen zum Leo Market in der Innenstadt von Karachi und erwarb für umgerechnet 50 Cents ein Busticket nach Thatta. Obwohl ich meine Fototasche über der Schulter trug, erregte ich keinerlei Aufmerksamkeit und hatte genügend Muße, meine Umgebung zu betrachten. Die pakistanische Busse waren farbenfroh wie Karnevalswagen und in ihrem Innern streng nach Geschlechtern getrennt. Der hintere Teil des Busses war bis zum letzten Platz mit grimmig dreinblickenden Männern gefüllt. Vorne konnten es sich die Damen mit den Kindern bequem machen Da sage noch mal einer, der Islam sei eine ungalante Religion. Mit strengem Dienstgesicht überprüfte der Busfahrer vor dem Start, ob sich nicht doch irgendwo ein pakistanischer Jüngling in sitzender Haltung näher als einen halben Meter an eine pakistanische Frau herangearbeitet hatte. Nein, es war alles in Ordnung, und es konnte losgehen.
Wieder dauerte es eine geraume Zeit, bis der Bus das Einzugsgebiet der Stadt verlassen hatte. Ich saß auf einem Fensterplatz und beobachtete das gleiche wie gestern: Staub und Enge, Schutt und Dreck. Meine Verkleidung schien auch im Bus Niemandem aufzufallen, ganz abgesehen davon, dass ohnehin die meisten Männer gleich nach der Abfahrt des Busses in ein komatöses Dösen verfielen.
Im vorderen Teil des Busses waren fast alle Frauen verschleiert, wenngleich auf unterschiedliche Weise. Manche ließen nur die dunklen Augen frei, die eine oder andere zeigte gar an den nachlässig geschürzten Rändern ihres Tschadors eine Locke. Andere aber reisten komplett inkognito und saßen komplett verhüllt in schwarz aufrecht auf ihren Sitzen. Erst bei genauerem Hinblicken erkannte ich eine Rüschennaht in Augenhöhe, die ihnen eine grobe Orientierung in ihrer Umgebung ermöglichte. Das Ausmaß an Verhüllung hatte jedoch wenig mit Scheu oder Zurückhaltung zu tun. Die grellsten Farben prangten auf den Gewändern der völlig verschleierten Frauen, und man gewann sehr schnell den Eindruck, dass sich unter der Totalverhüllung ganz gut schimpfen ließ.
Neben den auf unterschiedliche Weise verhüllten Müttern tummelte sich eine große Kinderschar in den Gängen und an den Fenstern. Mit der natürlichen Grazie kleiner Prinzessinnen drückten die kleinen Mädchen ihre weißen, sauberen Hüte auf ihre dunkel gelockten Haare, wischten sich den Staub von ihren winzigen Schuhen und achten sorgfältig darauf, dass ihre goldgrünen Shalwars nicht zerknittern. Leider machten die Knaben neben ihren liebreizenden Schwestern keine gute Figur, nicht zuletzt deswegen, weil sie auf Geheiß der sparsamen Eltern zu Frisören geschickt worden waren, die ihnen die Köpfe nach alter Landessitte gründlicher abrasiert hatten, als je ein Schaf im Sindh geschoren worden war. Nun liefen sie herum wie glatzköpfige kleine Banditen, und fast hatte man das Gefühl, sie wollten sich für diese Verhunzung durch nervtötendes Gehabe revanchieren.
Kleiner Racker, kurzgeschoren
Jedenfalls entwickelte sich ein muslimischer Knabe, der wie ein trotziger Zwerg vor seiner rot verschleierten Mutter hockte, schon in einem frühen Stadium der Busfahrt zu einem regelrechten Erziehungsproblem. Schier unerschöpflich mit immer neuen Einfällen seine Mutter oder seine beiden Schwestern zu nerven, begann er auf seinem Sitz hektisch hin und her zu rutschen, herumzuquengeln und schließlich mit seiner kleinen Knabenfaust in immer kürzeren Abständen auf das gewaltige Mutterknie zu hämmern, nicht ohne dafür von seinen beiden hübschen Schwestern mit einer Mischung aus Bekümmerung und Missfallen gemustert zu werden. Als auch das Hämmern nichts nützte,