Ssabena - Wilde Wege zum Seelenheil. Imme Demos

Ssabena - Wilde Wege zum Seelenheil - Imme Demos


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ist mal hier und mal nicht hier, seine Sachen sind hier. Ich weiß nicht, wann er kommt. Wie bist du hereingekommen?“

      „Durch das Küchenfenster.“

      „Es war zu. Wie hast du es aufgemacht?“

      „So!“, er machte eine geheimnisvolle, hebelartige Bewegung und guckte wie ein Zauberer.

      „Warum hast du nicht vor der Tür gewartet?“

      „Ich wollte eben rein.“

      „Woher kommst du?“

      „Aus dem Gefängnis.“

      „Wie aus dem Gefängnis …?“

      „Ja, wirklich, ich komme gerade aus dem Gefängnis. Heute ist mein erster freier Tag. Ich fühle mich wie neugeboren“, er strahlte übers ganze Gesicht.

      „Wie lange warst du drin?“

      „Ein Jahr --- viel Zeit.“

      „Was hast du denn verbrochen?“

      „Ist nicht wichtig“, abwehrend hob er seine Hände, drehte das Gesicht beiseite. „Keine Angst. Ich habe niemanden umgebracht oder vergewaltigt. Ich bin okay.“

      Er sah extrem konzentriert aus. Sein Körper bestand aus geballten Muskelpaketen. „Wieso hast du solche Muskeln?“

      „Willst mal anfassen?“ Stolz hob er einen Arm in die Luft.

      Ich ging zu ihm und fasste einen der vorstehenden Muskelstränge an. „Boah, die sind ja hart wie Stein.“

      Er zog seine Hosenbeine hoch, streckte mir seine Wade hin. „Schau hier! Die Beine auch. Ich habe alle möglichen Muskeln trainiert. Weißt du, wenn du so lange in einer Zelle hockst, dann musst du dir schon was einfallen lassen, um nicht verrückt zu werden. Ich habe Sport gemacht. Jeden Tag habe ich stundenlang Liegestütze und so Sachen gemacht, was man eben in einem kleinen Raum machen kann. Du kannst jeder Zeit mit deinem Körper spielen, verschiedene Muskeln anspannen, auch im Sitzen, auch im Liegen, anspannen, entspannen, anspannen, entspannen. Ich musste mich einfach beschäftigen, sonst wäre ich durchgedreht. Jetzt bin ich topfit, mein Körper und mein Geist.“

      „Willst du einen Kaffee?“

      „Nein danke, ich muss jetzt los. Ich komme ein anderes Mal wieder.“

      „Dann wartest du aber bitte, bis ich komme und gehst durch die Tür.“

      „Mach ich. Lehitra’ot, bye.“

      Ich beschloss, Tel Aviv zu erkunden.

      Eine einsame Straße, die Arawa, führte von Elat etwa zweihundert Kilometer schnurgeradeaus Richtung Norden. Die Wüste berauschte mich nach wie vor. Ich konnte es kaum fassen, ich durchquerte tatsächlich mit meinem eigenen Auto den Negev, fuhr wie in Trance, befreit von allem. Konnte ich mich denn nur in der Wüste frei fühlen?

      Als sich die Straße teilte, trieb es mich spontan rechts ab Richtung Totes Meer. Mal sehen, was es damit auf sich hat.

      Auf dem Vorplatz parkte nur ein einziges Auto. Im Wagen zog ich mich um, stieg im Bikini aus und ging hinunter ans Wasser. Das Tote Meer breitete sich ruhig vor mir aus. Die andere Uferseite, nicht weit entfernt, gehört Jordanien. Etwas war hier anders als sonst. Der Sound. Von dem Pärchen, das sich weit hinten leise unterhielt, konnte ich jedes Wort vernehmen. Die Stimmen waren unglaublich präsent. Diesen Effekt kenne ich aus Musikstudios, wo man die Präsenz einer Stimme hervorheben kann. Live habe ich das noch nie gehört. Die Welt klingt hier anders als überall woanders. Wir befinden uns in einem Tal am Wasser unterhalb des Meeres-spiegels. Das Tote Meer ist der tiefste Punkt der Erde.

      Ehrfürchtig machte ich einen Schritt ins Wasser. Warm. Langsam ging ich vorwärts. Als das Wasser bis unterhalb meiner Knie stieg, konnte ich nicht mehr weitergehen. Trotz meines Körpergewichts wollte das Wasser meine Füße nicht bis auf den Grund lassen. Der hohe Salzgehalt gab dem Körper Auftrieb. Ich strengte mich richtig an, um vorwärts zu kommen, doch das Wasser drängte die Beine wieder an die Wasseroberfläche, sodass ich schließlich hinfiel. Nun lag ich. Der Bauch hing nach unten, Hände und Füße ragten aus dem Wasser. Den Kopf hielt ich hoch. Je tiefer ich meine Hände unter Wasser tauchte, umso mehr Auftrieb bekamen meine Ellenbogen. Drückte ich meine Füße unter Wasser, kam mein Po hoch. Der ganze Körper ist nicht unter Wasser zu kriegen, nur einzelne Teile. Schwimmen unmöglich, so sehr ich es auch probierte, keine Chance. Aber ich konnte meinen Körper zum Wackeln bringen, schaukelte so lange hin und her, bis ich mich mit einem Schwung drehte und schwupp – lag ich auf dem Rücken wie ein Käfer, Po nach unten, Hände und Füße über Wasser. Ich kicherte vor mich hin. Das war ja nicht zu glauben. Die Gesetze der Schwerkraft schienen hier aufgehoben. Ich befand mich zwar nahe am Ufer, aber wie sollte ich denn da hinkommen? Sich einfach hinstellen und aus dem Wasser rauslaufen, daran war überhaupt nicht zu denken, obwohl es hier so flach war, dass ich locker hätte stehen können. Selbst der stärkste Mann könnte sich hier nicht hinstellen. Man bekommt sozusagen kein Bein an den Boden. Lachend wackelte und schunkelte ich mich irgendwie so weit, dass ich mit einer Hand den Boden unter mir berühren konnte. Dafür stemmte sich der Bauch aus dem Wasser, aber immerhin konnte ich mich auf diese Weise dicht genug an den Strand ziehen, um mich hinstellen und rausgehen zu können. Schnurstracks begab ich mich zu dem kleinen Kiosk.

      Schmunzelnd hatte der Verkäufer mich beobachtet.

      „Gib mir ein Bier, bitte.“

      Wortlos reichte er mir die Dose.

      Sogleich war ich mit meinem Getränk wieder im Meer. Auf dem Wasser liegend, die Bierdose in der Hand, die sengende Sonne über mir, genoss ich diesen außergewöhnlichen Zustand.

      „Dieses ist mein letztes Bier!“, sagte ich laut. Im Stillen gab ich mir selbst das Versprechen, künftig auf Alkohol vollkommen zu verzichten, machte ein kleines, inneres Ritual daraus. Anschließend stieß ich feierlich mit mir selber an und kam darüber zu meinem größten Wunsch. Leise betete ich: „Lieber Gott, bitte mach, dass ich ganz normal essen kann wie die anderen Menschen. Ich werde dir für immer dankbar sein und dich auch um nichts mehr bitten, lass mich nur normal essen können.“ Die Augen geschlossen, schickte ich diese Bitte ins Universum.

      Fast eine halbe Stunde lang wusch ich mir unter der Dusche gründlich das Salz vom Körper. Meine alte, abgeschuppte Haut wurde weggespült.

      Wie neugeboren stieg ich in mein Auto und fuhr geradewegs in die Hauptstadt Israels, Tel Aviv.

      In einer Seitenstraße fand ich eine Bleibe, eine moderne Jugendherberge nahe der Haupteinkaufstraße Dizengoff. Auf dem Hof konnte ich mein Auto abstellen und von hier aus die Stadt zu Fuß abmarschieren.

      Ein neues Gefühl zu mir und meinem Leben stellte sich ein, ich nahm mich und die Welt anders wahr, als wäre ich durch die Waschung und das Ritual im Toten Meer dichter an mich selbst herangerückt, als wäre ein Vorhang weggefallen, als könne ich klarer sehen. Ich schwang in einer anderen Grundfrequenz, war höher gestimmt.

      In einer kleinen Boutique fand ich passende Kleidung für mich, zwei schwingende Röcke und drei Blusen. Mittlerweile war ich so dünn geworden, meiner Meinung nach konnte ich es mir jetzt leisten, eng anliegende Sachen zu tragen. Eleganter, weiblicher Look, das gefiel mir. Mein hartes Schwarz-Weiß-Rot verwandelte sich in weiche Pastelltöne. Ich wollte einfach nur schön sein wie die vielen verheirateten Israelinnen, nicht mehr einsamer Paradiesvogel. Unbewusst trieb mich die Sehnsucht nach meiner eigenen Weiblichkeit.

      Aufgrund meiner inneren wie äußeren Wandlung änderten sich meine Einladungen.

      Zu Pessach wurde ich offiziell von Isaaks Familie eingeladen. Sie wollten mich deutsche Nichtjüdin teilhaben lassen an ihrem religiösen Fest. Eine hohe Ehre für mich.

      Isaaks betagte Eltern begrüßten mich herzlich, aber nicht überschwänglich, und geleiteten mich an die feierlich gedeckte Tafel. Alle setzten sich, auch Isaaks jüngere Schwester, die mir mit offenem Herzen begegnete. Die Kerzen leuchteten. Eine Zeremonie begann. Der Vater sang hebräische Worte und klang wie alle Pastoren, wenn sie Liturgien singen, unabhängig


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