Ssabena - Wilde Wege zum Seelenheil. Imme Demos

Ssabena - Wilde Wege zum Seelenheil - Imme Demos


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an der Leine.

      Vor einer Holzbude machten wir halt, einem Laden mit Konservendosen, Chipstüten und Süßigkeiten auf schmalen Regalen. Nebenan eine Bude mit Arafat-Tüchern und Kleidungsstücken, wie sie im Westen in den sechziger Jahren zur Hippie-Zeit modern waren.

      Vorbei an den Shops, die ohne Fundament auf dem Wüstensand standen, folgten wir einem eingetretenen Fußpfad parallel zum Meeressaum. Es war dunkel geworden.

      Nicht weit von mir erkannte ich Gestalten, zwei Beduinen, die anderen Westler, einer der Jungs hatte langes, blondes Haar. Sie saßen unter einer Palme auf Teppichen und Kissen, eine Kerze in ihrer Mitte, tranken Tee und unterhielten sich flüsternd, lachten leise. Es roch nach Marihuana.

      Eine Kerze auf einem gezimmerten Tresen erhellte eine am Pfosten hängende Tafel. Mit weißer Kreide stand geschrieben: Rührei, Salat, Chumus und Brot. In Englisch. Die krakelige Schrift wies darauf hin, dass der Schreiber unsere lateinischen Buchstaben nicht gewöhnt war.

      Allein in einer Beduinensitzecke schmuste ein Pärchen, weltvergessen, völlig ineinander versunken, eins mit sich und der Welt, Wein auf dem Tisch, Kerze.

      Erst jetzt bemerkte ich ausnahmslos Kerzen. Es gab keinen Strom.

      Die stockfinstere Nacht ließ den Pfad kaum erkennen. Links vor mir tat sich in der Dunkelheit eine Art Holzverschlag mit Tresen auf. Rechts hockten Rucksacktouristen auf Teppichen vor niedrigen Tischen und aßen gebratenen Fisch; sie sprachen gedämpft.

      Der Geruch von frischem Fisch stieg uns in die Nase.

      Wo war ich hier gelandet? Im Paradies? Alles so friedvoll. Nur sanfter, warmer Wüstenwind und lachende, vor Ehrfurcht angesichts der Schönheit des Lebens verhaltene Menschen. Sie schienen glücklich zu sein. Einige verweilten vor kleinen Feuerchen. Alle leise. Jeder genoss das Dasein auf diesem herrlichen Fleckchen Erde. Keine Musik, keine Geräusche, keine künstlichen Lichter. Einheimische wie Fremdlinge bewegten sich langsam, als hätten sie ewig Zeit.

      Die Menschen wussten um die Besonderheit dieses Ortes, eine der letzten Oasen auf unserem Planeten, Dahab im Sinai.

      Der Fußweg endete bei einem primitiven Holzhaus, in dem es Trinken und Essen gab. Salomon und die anderen gingen hinein, ich blieb draußen am Meer.

      Der Mond erhob sich am Himmelszelt, beleuchtete das Land. Allmählich konnte ich die sichelförmige Bucht überblicken, die in einer Landzunge endet, an deren Spitze ich jetzt stand. Ich setzte mich in den Sand. Wie viele Sterne zu sehen waren! Hell und klar. Eine weitaus üppigere Sternenpracht als in Europa je zu sehen ist. Gedankenlos lauschte ich dem himmlischen Frieden, bis Salomons Stimme mich vorsichtig aufrief.

      „Marlisa, komm!“

      Im Mondlicht spazierten wir zurück zum Fahrzeug.

      Der startende Motor unterbrach die Stille. Nach einer scharfen Rechtskurve tauchte zur Linken eine weiße Mauer auf, an der wir entlangfuhren. Hin und wieder rutschten die Räder im Sand oder drehten durch, doch sie fingen sich jedes Mal wieder. Die lange Mauer versperrte den Blick zum Meer. Was wohl dahinter sein mochte? Plötzlich eine Öffnung, groß genug für ein Auto und flutsch – war Salomon hindurch gefahren. Hinter einer Gruppe von Palmen hielt er vor einem weißen Häuschen.

      Noch ehe alle ausgestiegen waren, umarmte er einen kleinen Mann. Pechschwarzer Schnurrbart, blaues, bis zum Boden reichendes Hemd, schneeweißer Turban um schwarze Locken gewickelt.

      „Lernt meinen Freund Hamid kennen. Wir sind Freunde seit der Zeit, in der wir hier noch ein- und ausgehen durften. Wenn ich hier herkomme, gehe ich immer zu ihm. Hamid, das ist Marlisa aus Deutschland.“

      Hamid reichte mir die Hand zum Gruß. Spitzbübisch lächelte er mich an, hielt meinen Blick fest. Seine Hand fühlte sich an wie raues Leder.

      „Willkommen, Marlisa, willkommen in meinem Heim“, sagte er in einwandfreiem Englisch zu mir.

      Das hatte ich nicht erwartet. „Woher hast du dein Englisch?“

      „Von den Touristen.“

      „So viele Touristen kommen hierher, dass man davon Englisch lernen kann?“

      Lachend zwinkerte er mit einem Auge: „Nun, du musst schlau sein“, hob den Zeigefinger wie ein Lehrer, „dann kannst du alles machen! Kommt, trinkt einen Tee.“ Er ging voran hinter eine weitere Mauer.

      „Seht“, stolz breitete er seinen Arm über das Land aus. „Dies ist mein Platz. Ihr könnt hier bleiben, solange ihr wollt. Dies ist mein Coffeeshop, mein kleines Café. Bitte setzt euch, macht es euch bequem.“

      Sein Platz reichte bis hinunter an den Strand. Teppiche auf dem Boden und über Matratzen bildeten separate Sitzecken, die sich in den Bewuchs der Palmen auf seinem Grundstück schmiegten. Einige Sitzgruppen waren mit Palmwedeln überdacht, andere standen im Freien.

      „Lasst uns hierüber gehen“, raunte Salomon. Er wählte die Ecke, die vom Eingang aus am wenigsten einsehbar war. „Wegen der Polizei.“

      Wir ließen uns nieder. Hamid brachte ein Tablett voller Teegläser.

      „Sie führen abends Kontrollen durch“, sprach Salomon weiter. „Rauchen ist hier nicht erlaubt. Wenn sie dich erwischen --- piuhh“, er pfiff durch die Zähne und schüttelte seine Finger, als hätte er sich verbrannt.

      „Es ist schlimmer geworden“, nickte Hamid mit großen Augen. „Die Polizei ist wirklich frech geworden. Sie kommen von hinten, weißt du, da unten beim Ufergestrüpp, da stehen sie“, seine Hand zeigte hinaus ins Dunkle. „Es ist nicht mehr wie früher. Sie wollen uns hier weg haben. Also suchen sie was, womit sie uns beschuldigen können. Dann stecken sie uns ins Gefängnis, und wenn wir wieder rauskommen, haben sie unser Land genommen, unseren Platz, sie nehmen uns alles. Sie wollen das große Geld mit den Touristen machen, auf unsere Kosten. Aber wir können nichts gegen sie tun. Wir haben ja nichts. Wir können nur beten, Allah, hilf uns!“ Hamid blickte mir direkt in die Augen, höhnte: „Denkst du, wenn du dein Leben lang ein guter Mensch bist und immer anderen hilfst und immer betest, dann passiert dir nichts? Pah!“ Er presste einen Luftstoß zwischen den Lippen hindurch. „Du kannst dich gegen das Böse nicht absichern.“ Erklärend fügte er hinzu: „Die Leute von Kairo haben Geld. Wer das Geld hat, hat die Macht. Sie hetzen uns die Polizei auf den Hals. Früher gab es hier keine Polizei. Wir brauchen auch keine. Hier stiehlt niemand. Jetzt kommen sie uns mit ihren Gesetzen. Was? Wir sollen nicht rauchen? Wir sind Beduinen. Wir leben hier unser ganzes Leben und rauchen, wen stört das schon? Wir tun niemandem was, also lasst uns in Ruhe! Aber sie machen diese Gesetze, damit sie uns kriegen. Sie wollen hier Hotels bauen. Leute aus der ganzen Welt sollen hier herkommen und sollen noch mehr Geld bringen. Wie viel mehr Geld noch? Wann ist es genug? Wie viel brauchen sie?“

      „Richtig! Du hast Recht“, sprach Salomon als nächster, „es ist das Böse im Menschen, was du am meisten zu fürchten hast. Schatten ist in jedem, genau wie Licht. Der Mensch entscheidet, worauf er seinen Fokus legt. Nur merkt er manchmal nicht, von welcher Seite aus er guckt. Die Habgier ist es, die die Welt zugrunde richten wird, und der Selbstbetrug.“

      Ich liebte Themen, die alle angingen, Wahrheiten, die zu jeder Zeit an jedem Ort ihre Gültigkeit besaßen. Licht- und Schattenseiten der Menschen war so ein Thema. Kaum jemand weiß, wo und wie sie tatsächlich mit uns verknüpft sind, aber jeder weiß, wie sie wirken. Licht und Schatten sind wie Dur und Moll in der Musik. Lichte, leichte, schöne Musik hellt uns auf, macht uns licht und leicht. Licht ist alles, was harmonisch ist, alles, was sich gut anfühlt. Schatten ist alles, was sich schlecht anfühlt, was wir fürchten, was uns traurig macht oder zornig, was wehtut. Ich sehe viel Schatten auf der Erde, Streit und Krieg in jeder Generation. Dabei will das niemand wirklich. Alle sehnen sich nach Frieden, nach beständigem Frieden, dem Dauerlicht. Ich sehe, wie wir als Baby unbescholten auf diesem Planeten ankommen, unbeschrieben wie ein weißes Blatt Papier. Angenehmes ist selbstverständlich wie Luft zum Atmen. Die erste unangenehme Erfahrung erschreckt uns. Schon stehen die ersten unschönen Dinge auf unserem Papier wie Angst und Schmerz, und es kommen weitere hinzu. Mit diesen Prägungen begegnen wir dem Leben und das Leben schwingt sie uns zurück. Wir geraten in Situationen,


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