Ssabena - Wilde Wege zum Seelenheil. Imme Demos

Ssabena - Wilde Wege zum Seelenheil - Imme Demos


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Schwingungsfrequenzen von Instrumenten. Sie ziehen sich gegenseitig an und verbinden sich. Sie folgen den Gesetzen der Resonanz. In einer Auseinandersetzung zwischen Menschen eskaliert der Ton genau wie bei einer Rückkopplung zwischen Gitarre und Verstärker. Schwingt eine Seite nicht zurück, gibt es auch keine Eskalation. Wenn keiner zum Krieg geht, gibt es keinen. Eine Hand allein kann nicht klatschen. Dann bleibt nur noch Friede. Nur Licht kann Schatten erhellen, nur Liebe kann Hass verwandeln – in Liebe. Unabhängig vom Glauben. Hier saßen ein Moslem und ein Jude, zwei Weltfeinde, und sie verstanden sich prächtig, waren sich sogar über menschliche Grundsätze einig. Reicht es nicht, ein paar menschliche Grundsätze einzuhalten, und dann wäre Frieden auf Erden? Die beiden beweisen, dass Menschsein über dem Glauben steht. Welcher Grundsätze bedarf es, die für alle gelten, worüber sich auch alle einig wären? Gibt es so etwas wie einen Dauerfrieden? Gibt es überhaupt eine Beziehung ohne Streit? Oder muss Streit sein als Gegenpol zum Frieden, weil auf dieser Erde alles zwei Seiten hat, weil wir in der Dualität leben? Wenn eine Löwin ein Zebra anfällt, ist das für das Zebra wie Krieg. Ist Krieg am Ende natürlich?

      „Ich mache uns schöne Musik an. Ja, ich habe einen Generator gekauft, ich mache uns jetzt Pink Floyd an. Kennt ihr Pink Floyd? Sicher, ihr müsst sie kennen. Gute Musik!“ Hamid drückte Daumen und Zeigefinger zusammen und spitzte anerkennend seinen Mund.

      Nach einer Weile fing es über mir an zu knistern. Die melancholische Rockmusik ertönte aus den Lautsprechern, die in den Palmen hingen. Ich lehnte mich zurück, hörte der Musik zu, blickte in die Sterne und genoss das pure Dasein. Nichts in mir drückte, drängelte oder befürchtete, nichts wollte, nichts sollte, nichts musste. Alles in mir war ruhig wie ein See. Dies war der Zustand, nach dem ich mich immer wieder sehnte.

      Nach dem letzten Song schaltete Hamid den Generator ab. Mit der Hand winkte er. „Kommt mit zu mir!“

      Wir erhoben uns, folgten ihm über den Vorplatz zu einem kastenförmigen Bau, ähnlich einer Garage, und traten durch die Tür ins Dunkle. Im Nu hatte Hamid eine Kerze angezündet. Die vier weißen Wände standen auf bloßem Wüstensand. Auf der Erde lagen Teppiche, in der Ecke eine große Matratze und mehrere Decken. Kein weiteres Mobiliar. Keine Fenster. Im Kreis verteilten wir uns um die Kerze im Messinghalter am Boden, das Messing über und über mit Wachs beträufelt, völlig versandet. Hamid, im Schneidersitz, spannte sein Gewand von Knie zu Knie. Auf diesem Tisch hantierte er mit Papier und Gras und baute einen riesigen Joint. Fertig gerollt, zündete er ihn an, steckte ihn zwischen zwei Finger und formte mit beiden Händen eine hohle Kugel. Seine Daumen bildeten ein Saugloch. Diese überdimensionale Zigarette hielt er jedem an den Mund, um einmal daran zu ziehen. Er ging solange reihum, bis das Ding aufgeraucht war. Mir wurde ein wenig komisch, gut, dass ich saß. Sauerstoff fehlte. Ich legte mich hin. Salomon packte mich sanft am Arm. „Marlisa, alles okay? Komm lass uns rausgehen, wir gehen alle raus jetzt.“

      Mein Freund, er passte auf mich auf, er fühlte mich und war sofort da, wenn ich schwächelte. Er ließ mich vorgehen. Ich trat ins Freie und schaute in den Sternenhimmel. Die Sterne hingen tief. Weit unten am Horizont funkelten immer noch reichlich an der Zahl. Sie erschienen mir heute größer denn je.

      Salomon zog mich von hinten am Ärmel. „He, Marlisa, was ist los mit dir? Du schwankst. Geh normal!“ Er lachte, nahm mich in den Arm. „Du bist stoned, was?“ Gab mich wieder frei. Wir gingen zurück zu Hamids Coffeeshop.

      In einer Sandmulde entfachte Salomon ein kleines Feuer, um das wir uns gruppierten. Hamid brachte Kekse aus seinem Laden. Das reinste Schlaraffenland. Am Feuer schlief ich ein.

      Das schönste Aufwachen ist unter freiem Himmel.

      Hamids Platz im Hellen war eine Oase für sich, abgeschirmt vom Außen durch die Mauer und zwei seitliche Abgrenzungen aus Palmwedeln bis runter zum Strand. Die hohen Palmen in diesem Garten Eden hingen voller Datteln. Der Strand erstrahlte hellgelb in der Morgensonne. Das Rote Meer glitzerte. Im Tageslicht bewunderte ich die Sitzecken im Sand, bedeckt mit handgewebten Teppichen in dezenten Farben. In jeder ein niedriger Holztisch auf Teppichboden. Wohneinheiten ohne Decken und Wände.

      Die heruntergelassene Ladenluke des Häuschens wurde tagsüber waagerecht auf zwei Pfeiler gestützt und als Außentresen genutzt. Ein Dach aus geflochtenen Palmwedeln spendete einladenden Schatten. Durch die offene Luke konnte ich in den Shop einsehen. Auf einem Holzregal lagerten vereinzelte Kekspackungen mit geschwungener, arabischer Aufschrift neben einigen in Plastik eingeschweißten, fingerdicken Süßigkeiten, aufgemacht wie westliche Schokoriegel, hergestellt in Ägypten. Die amerikanische Idee war also schon bis hierhin vorgedrungen.

      Die Zweige der Dattelpalmen schaukelten kräftig hin und her, während hier unten hinter der Mauer Windstille herrschte. Die Sonne brannte zunehmend heißer. Ich zog meine Lederjacke aus. Beduinen ziehen nie was aus, wenn es wärmer wird und auch nichts an, wenn es kälter wird. Stets tragen sie ihre langen Hemden, selten eine Jacke. Ich merke, dass ich anders bin, dass ich Westler bin, nur Tourist bin, nicht empfinde wie die Menschen hier. Ich möchte aber nicht anders sein. Anders sein heißt ausgegrenzt sein. Das will niemand. Man müsste doch auch anders sein können und trotzdem dazugehören. Alle Menschen entstammen der gleichen Gattung, haben den gleichen Ursprung, wovon also hängt das Dazugehören ab?

      Hamid erschien am Ausschank, lächelte mich an, neigte grüßend den Kopf.

      „Good morning, Lady, möchtest du einen Kaffee oder einen Tee?“

      „Boker tov, Hamid“, begrüßte ich ihn auf Hebräisch, „gib mir einen Kaffee bitte.“

      Hamid verschwand im Innern des Ladens.

      Nachdem sich meine Augen an den Schatten gewöhnt hatten, erkannte ich, die eine Seite des Häuschens war Teil der Grenzmauer. Schlau gemacht. Häuschen bedeutet vier auf Sand gebaute Wände mit Schrägdach. Außenwände weiß, innen leuchtend blau angestrichen. Auf einem Holztisch, ein zweiflammiger Kocher, verbunden durch einen orangefarbenen Schlauch mit einer Gasflasche am Boden. Eine alte Pfanne wartete auf ihren Einsatz. Auf dem Tisch, gewürfelte Zwiebelreste und ein paar Eier. Die Olivenöl-Flasche musste ihrem Aussehen nach schon unzählige Male nachgefüllt worden sein.

      Salomon streifte von hinten über meinen Rücken. „Guten Morgen, wie geht’s dir? Alles okay? Hast du gut geschlafen?“

      „Alles in Ordnung, danke.“

      Hamid stellte mir einen Kaffee hin, Salomon wie selbstverständlich einen Tee. Er wusste genau, wie Salomon seinen Tee trinkt, schwach, mit zweieinhalb Löffeln Zucker, er kannte seinen Freund von Herzen. An den Tresen gelehnt spähten wir hinaus aufs Meer.

      May trottete mit verschlafenen Augen herbei. Ihre kurzen, roten Haare standen in alle Richtungen.

      „Hallo, wie geht’s euch? Was für ein schöner Morgen. Salomon, wo kann ich auf Toilette gehen?“

      „Draußen, komm mit.“

      Sie passierten den Durchgang. Ich schloss mich ihnen an.

      „Wartet auf mich“, hörten wir Hazel hinter uns her eilen. Wir blieben stehen, bis sie uns erreichte.

      „Da hinten müsst ihr langgehen, dann seht ihr es schon.“ Salomon zeigte in die Landschaft hinter dem weißen Kastenbau, in dem wir gestern Abend gesessen haben.

      Wir drei Frauen ließen den Bau hinter uns, schlenderten durch den weichen, hellbeigen Wüstensand und entdeckten bereits die sanitäre Anlage.

      Ich ging auf die erste Holztür zu, öffnete sie. „Wow, seht euch das an!“ In den Boden dieser mit weißen Fliesen ausgelegten Zelle war ein sauberes, schneeweißes Stehklosett eingelassen. May und Hazel standen ebenfalls vor einer geöffneten Toilettentür.

      „Das ist ja vornehm hier“, stellte Hazel fest.

      „Mädels“, ließ May lax verlauten, „ihr könnt hier stehen und euch über diesen Anblick erfreuen, ich muss mal.“ Grienend verschwand sie hinter ihrer Tür.

      Die Klozellen hatten keine Decke, kein Dach. Die übrigen drei Kabinen entpuppten sich als Duschzellen, weiß gekachelt von unten bis oben, darüber der azurblaue Himmel. Die Sonne lugte gerade über die Rückwand. Welch


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