Ssabena - Wilde Wege zum Seelenheil. Imme Demos
einem kastenförmigen Aufsatz in der Luft. „Es war mein erstes. Mit einem kleinen Motor, weißt du? Damit bin ich immer aufs Rote Meer zum Fischen gefahren. Das ist der beste Platz der Welt. Wenn du einfach weg willst von allem und deine Seelenruhe haben, dann fahr hinaus aufs Meer, geh fischen. Und abends, wenn die Sonne hinter die Felsen sinkt und sich das leuchtende Rot über das Meer und die Berge ergießt“, seine Stimme wurde bedächtig, „legt es sich auch über deine Seele.“ Hingabevoll strich er sich über die Brust. „Das ist Balsam für deine Seele. Du fühlst die Allmacht Gottes“, setzte er ehrerbietig hinzu.
Endlich sprach jemand das aus, was ich in mir wahrnahm. Man kann eine höhere Macht spüren, von der Natur bis zum Universum. Die Gegenwart einer namenlosen Macht ist fühlbar!
Wenn Salomon über Seele und Bewusstsein redete, dachte ich über kein Problem nach, war im Jetzt, war dabei, wach, präsent. Es waren Bewusstseinszustände, nach denen ich mich sehnte, keinerlei äußeren Dinge.
Salomon fuhr mit mir ein paar Kilometer außerhalb des Ortes auf den nahe gelegenen Berg Mount Joash. Oben angekommen stiegen wir aus, hielten die Nasen in den herrlich warmen, samtigen Wind, wie er nur in der Wüste zu finden ist. Der prächtige Überblick über den Negev und den Sinai, das Rote Meer, die Berge Jordaniens und die Küste Saudi-Arabiens verschlug mir den Atem. Dieses wundervolle Felsengebirge mit seinen Farbstrukturen in rot, braun, grau, beige, wie es sich über Millionen von Jahren übereinander schichtete und auftürmte, ist grandios. Pure, gewaltige Schönheit drückt einem die Brust zusammen. Man kommt sich so unendlich klein und unwichtig vor. Kraftvoll und still stehen die Felsen da in ihrer Unumstößlichkeit. Und wie weit sie sich erstrecken. Sehnsucht zog durch mein Herz. Ich wünschte ein Vogel zu sein, hier rüber zu fliegen, ein Beduine zu sein, durch ein ausgetrocknetes Flussbett zu wandern. Wie sich das wohl anfühlen mag, außerhalb der Zivilisation zu leben?
Von hier oben überblickte ich einen ziemlich großen Teil des Globus. Das nackte Gebirge durchzieht mehrere Länder, felsig, hart und wunderschön. Wie das Leben. Selten hatte ich mich so wohl gefühlt mit mir selber. Die Wüste versetzte mich in Meditation und Faszination, Zustände, nach denen mich dürstete. Salomon erging es ebenso. Meditation und Faszination zu teilen ist umso unglaublicher.
„Lass uns gemeinsam in den Sinai fahren“, schlug er vor.
Es wurde der Tausendundeine-Nacht-Trip.
Die Grenzkontrollen nahmen einige Stunden in Anspruch. Besonders auf ägyptischer Seite waren die Kontrolleure misstrauisch und angespannt. Zwischen Zoll-Häuschen und Pass-Häuschen schickten sie uns hin und her, um etwas abzustempeln oder eine Gebühr zu kassieren. Ausgiebig durchsuchten sie unseren Wagen und den Kofferraum. Schließlich ließen sie uns passieren.
Noch nie war ich über Taba hinausgekommen. Jetzt konnte ich endlich sehen, wie es weitergeht. Schon immer wollte ich wissen, wohin die Wege führten, schon immer überall hinter blicken.
Traumhaft erstreckte sich vor mir die Wüste Sinai. Wie wundervoll es hinter jedem Felsen aussieht. Eine blaue Lagune, von hohen Felsen umschlossen, mit einem kleinen Durchgang zum Meer, leuchtete zu uns herüber.
Wir hielten an einem Aussichtspunkt mit Einblick in ein Wadi, das nur Einheimische als Weg erkennen, tranken Wasser und rauchten, bevor wir unsere Fahrt durch die Wüste fortsetzten. In meiner Vorstellung kletterte ich an jedem Felsen hoch, ritt in jedes Wadi hinein, flog durch jede Schlucht hindurch. Gebannt von dieser Landschaft, nahm ich sie in mich auf.
Jetzt wurde es spannend. Salomon fuhr vom Weg ab. Keine Ahnung, woran er sich orientierte. Auf schotterigem Boden durchquerten wir ein kleines Tal. Plötzlich drosselte er das Tempo. Ein Kind rannte neben dem Auto, ich weiß nicht, wo es herkam. Es trug ein T-Shirt und einen Lederrock, der von hier stammte, offensichtlich alte Handarbeit. Schuhe und Strümpfe hatte es keine. Seine Haare, wild und zerzaust. Über seinem Gesicht sowie seiner gesamten Erscheinung lag eine Staubschicht. Salomon fuhr nun ganz langsam. Die kleine Kinderhand wollte unbedingt das Auto anfassen. Schon lagen ihre Finger auf meinem heruntergedrehten Fenster. Große, braune, ungemein neugierige Augen blickten mich an. Vor einer Tuch überdachten Behausung hielten wir.
Fünf bis sechs Kinder waren mittlerweile um uns herum versammelt. Ich stieg aus dem Wagen. Das Mädchen hielt beharrlich die Tür fest. Ein Auto anzufassen war für sie ein Ereignis. Sie wird nicht häufig eins zu sehen bekommen. Ihre Augen blieben an dem roten Pfeil hängen, den ich mir in meine dunklen Haare hineingefärbt hatte. Dann wanderte ihr Blick zu meiner roten Feder, die ich als Ohrring trug. Mit meiner schwarzen Lederjacke, der schwarzen Lederhose und den roten Stiefeln erschien ich ihr wie jemand aus einer anderen Welt. Eine Weile beäugten wir uns, freundlich interessiert an dem Anderssein des anderen. Sie kannte nichts von meiner Welt, ich kannte nichts von ihrer. Doch etwas verband uns, machte uns gleich. Es war das Menschsein. Bittend hielt sie ihre Hand auf.
Die Kinder waren aufgeregt wegen unserer Ankunft. Wir waren eine Sensation in ihrem Leben, und sie in unserem. Salomon öffnete den Kofferraum, holte eine Unmenge Obst heraus. Gierig griffen sie danach. Äpfel, Bananen, Apfelsinen, wie lange hatten sie so etwas nicht gegessen, einige von ihnen sahen Früchte vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben.
Ein Beduine im langen, weißen Gewand kam auf Salomon zu, drückte ihn freundlich und herzlich, angenehm überrascht ob des spontanen Besuches. Sie kannten sich aus früheren Zeiten, als der Sinai noch zu Israel gehörte. Acht Jahre hatte Salomon im Sinai gelebt. Er wusste, wie sich die Kinder über Obst freuen würden, welches ihnen hier fehlt. Seine Fürsorge rührte mich.
Der Beduine wies uns einen Platz unter Palmen zu. Ein Leinentuch spendete zusätzlichen Schatten. Eine senkrecht in den Boden gerammte Matte aus geflochtenen Palmwedeln wehrte den Wind ab. Teppiche lagen auf dem Wüstensand sowie über angeschau-felten Rückenlehnen.
Drei Männer tauchten auf, setzten sich dazu. Salomon redete arabisch mit ihnen.
Der ihn zuerst begrüßt hat, offensichtlich der Hausherr, wies eine in Schwarz gehüllte, verschleierte Frau an, Tee zu kochen und Brot zu backen. Es waren noch mehr Frauen anwesend, aber sie setzen sich nicht zu uns, hielten sich abseits, warfen hin und wieder scheue, verstohlene Blicke herüber.
Ich war in eine echte Beduinenfamilie hineingeraten, hinterfragte mich, ob ich hier leben könnte, versuchte mir vorzustellen, wie sich das anfühlt, unter diesen Umständen zu leben, permanent draußen in der glühenden Sonne mit einem Minimum an Habseligkeiten. Oh ja. Etwas in mir sehnte sich geradezu nach dieser Kargheit, nach dieser Einfachheit des alltäglichen Lebens. Nur dem Klang des Windes oder dem Klang der Stille ausgesetzt sein, ein paar Menschen und ein paar Ziegen um dich herum, ansonsten endlose, wundersame Weite. Kommt man dabei nicht in seine Ruhe? Keinerlei Zerstreuung der Sinne durch Telefone oder Autogeräusche, kein Fernsehen, keine bunte, westliche Welt, nur Natur. Findet man nicht automatisch seinen Seelenfrieden, wenn man hier lebt?
Die Beduinenfrau kochte Tee in einem Blechtopf, der über dem Feuer hing. Sie hatte sogar genügend Gläser für uns alle, servierte den zuckersüßen Tee auf einem metallenen, orientalisch verzierten Tablett und zog sich zurück.
Salomon stellte uns vor. „Shimon aus Israel, Hazel und May aus Australien und Marlisa aus Deutschland, und das ist Moussa, mein Freund.“
Der zeigte sich sichtlich geehrt über Besucher von so weit her, schaute jedem von uns freundlich in die Augen.
Unterdessen hob die Frau ein paar Meter weiter ein Loch in der Erde aus und legte dürres Gezweig hinein, das sie mit einem Feuerzeug anzündete. Was macht sie bloß, wenn das Feuerzeug leer ist? Hier gibt es keinen Laden. Aber sie ist ganz ruhig. Sie wird es schon wissen. Aus Mehl und Wasser in einer Holzschale knetete sie einen Teig. Nachdem das Feuer zu Asche verglüht war, formte sie aus dem Teig einen Fladen, platzierte ihn direkt auf die Asche und bedeckte ihn mit Sand. Die noch heiße Asche erwärmte den Sand um sich herum und inmitten dieser warmen Stelle in der Erde buk der Teig. Was für ein Ofen! Aus nichts gemacht. Nach einer Weile grub sie das Brot aus, klopfte es sorgfältig ab und reichte es uns. Jeder brach sich ein Stück ab. Mmh, lecker! Dieser feurige, erdige Geschmack! Und überhaupt nicht sandig, entgegen meinen Befürchtungen. Wie herrlich natürlich diese Menschen doch lebten! Ich beneidete sie um ihre Schlichtheit. Sie waren nicht so eingeengt