Tarzan bei den Affen. Edgar Rice Burroughs
Durst zu stillen. Seine wilde Mutter hatte ihn auch gelehrt, das tiefe Wasser des Sees zu meiden, und hatte er nicht erst vor einigen Wochen die kleine Neeta unter der glatten Fläche versinken sehen, so daß sie nie wieder zu ihrem Stamm zurückkehrte?
Aber von zwei Übeln wählte Tarzan rasch entschlossen das kleinere, und noch ehe Gabors Schrei an das Ende der stillen Dschungel gedrungen war und noch bevor das Tier seinen Sprung halb ausgeführt hatte, war Tarzan in das kalte Wasser gesprungen, das über seinem Kopfe zusammenschlug. Er konnte nicht schwimmen, und das Wasser war sehr tief, aber er verlor auch nicht einen Augenblick das Selbstvertrauen und seine Findigkeit, die Kennzeichen eines höheren Wesens waren.
Bei dem Versuch, auf die Oberfläche zu gelangen, bewegte er schnell Hände und Beine, und wahrscheinlich mehr durch Zufall als durch Absicht ahmte er die Stöße eines schwimmenden Hundes nach, so daß er in ein paar Sekunden die Nase über Wasser hatte. So fand er, daß, wenn er sich weiter so bewegte, er weiter im Wasser fortkam.
Er war freudig überrascht über diese neue Fähigkeit, die er sich so schnell angeeignet hatte, wenn er auch keine Zeit hatte, weiter darüber nachzudenken.
Jetzt schwamm er am Ufer entlang, und dort sah er das wilde Tier, das ihm nachstellte, über den leblosen Körper seines kleinen Spielgenossen geduckt.
Die Löwin beobachtete Tarzan gespannt; sie erwartete offenbar, daß er ans Land zurückkehrte.
Der Knabe hütete sich aber wohl davor. Er erhob vielmehr seine Stimme zu dem Hilfe- und Warnruf, der bei den Affen üblich war.
Gleich darauf kam eine Antwort aus der Ferne, und in wenigen Minuten schwangen sich vierzig bis fünfzig große Affen schnell und majestätisch durch die Bäume, dem tragischen Schauplatz entgegen.
Allen voran war Kala, denn sie hatte die Stimme ihres lieben Kindes erkannt, und bei ihr war die Mutter des kleinen Affen, der jetzt tot unter der schrecklichen Sabor lag.
Obschon die Löwin mächtiger und besser zum Kampfe ausgerüstet war als die Affen, so hatte sie doch keine Lust, es mit einer ganzen Schar dieser wütenden großen Tiere aufzunehmen, und mit einem ärgerlichen Knurren sprang sie schnell in das Gebüsch und verschwand.
Tarzan schwamm jetzt ans Ufer und kletterte schnell aufs Land. Er fühlte sich so erfrischt und so behaglich zu Mute, daß er fortan keine Gelegenheit versäumte, täglich im See, im Fluß oder im Meer zu baden.
Lange konnte Kala sich nicht an diesen Anblick gewöhnen, denn obschon ihr Volk schwimmen konnte, wenn es dazu gezwungen war, so ging ein Affe doch nur ungern und nie freiwillig ins Wasser.
Das Erlebnis mit der Löwin hatte übrigens eine Abwechslung in Tarzans eintöniges Dasein gebracht, das nur in der stumpfsinnigen Wiederholung des Futtersuchens, Essens und Schlafens bestand.
Der Stamm, zu dem er gehörte, durchstreifte eine Strecke von annähernd fünfundzwanzig Meilen längs der Küste und etwa fünfzig Meilen ins Binnenland hinein. In dieser Gegend zogen die Affen fast ohne größere Unterbrechung hin und her; doch blieben sie gelegentlich auch monatelang an einem Ort. Sobald sie sich aber die schnelle Wanderung von Baumkrone zu Baumkrone aufnahmen, durchmaßen sie das ganze Gebiet in wenigen Tagen.
Viel hing von der Futterversorgung, der Witterung und der Bedrohung durch Raubtiere ab. Kerschak führte seinen Stamm oft auf weite Märsche, bloß weil es ihn langweilte, an ein und derselben Stelle auszuhalten.
Nachts schliefen die Affen auf der Erde, wo die Dunkelheit sie gerade überfiel. Manchmal bedeckten sie den Kopf, selten den übrigen Körper, mit den großen Blättern des Elefantenohrs. Wenn die Nächte kalt waren, lagen sie zu zwei oder drei aneinandergeschmiegt, um sich gegenseitig zu wärmen, und so schlief Tarzan alle diese Jahre hindurch in Kalas Armen. Daß das riesige wilde Tier dieses Kind einer anderen Rasse liebte, ist nicht zu bezweifeln, und auch er liebte dieses große, haarige Tier, wie er seine junge Mutter geliebt hätte, wenn sie am Leben geblieben wäre.
War er unfolgsam, so knuffte sie ihn allerdings, aber sie war nie grausam gegen ihn, und sie liebkoste ihn häufiger als sie ihn strafte.
Tublat, ihr Gatte, haßte ihn, und mehr als einmal war er nahe daran, seinem jungen Leben ein Ende zu bereiten.
Tarzan ließ seinerseits nie eine Gelegenheit vorübergehen, seinem Pflegevater zu zeigen, daß er seine Gefühle voll erwiderte. Und wenn er, geborgen in seiner Mutter Arme oder von den schlanken Ästen hoher Bäume, ihn ärgern, ihm Gesichter schneiden oder Schimpfworte zurufen konnte, so tat er es.
Dank seiner höheren Intelligenz und seiner Geschicklichkeit konnte er tausend lose Streiche ersinnen, die Tublat das Leben sauer machten.
Früh in seiner Kindheit hatte er gelernt, aus langen Gräsern, die er drehte und aneinander knüpfte, Stricke zu formen, und diese brachte er so an, daß Tublat darüber stolperte, wenn er nicht gar von einem überhängenden Aste aus versuchte, ihm den Strick um den Hals zu legen.
Beim Spielen und durch allerlei Versuche lernte er kräftige Knoten und Fangschlingen knüpfen, und mit diesen spielten er und die jüngeren Affen. Auch diese versuchten seine Kunst nachzuahmen, aber keiner von ihnen war so erfinderisch wie er. Eines Tages hatte Tarzan beim Spielen einem fliehenden Kameraden seinen Strick nachgeworfen, indem er das Ende in der Hand behielt. Durch Zufall fiel die Schlinge um den Hals des laufenden Affen, so daß dieser gezwungen war, stehen zu bleiben.
Tarzan war über diese Wirkung verwundert. Das ist ein neues, schönes Spiel, dachte er, und er versuchte das Kunststück noch einmal. So lernte er durch fortgesetzte Übung die Kunst des Schlingenwerfens.
Von nun an war das Leben Tublats ein stetes Alpdrücken. Im Schlaf, auf dem Marsche, bei Tag und bei Nacht, immer mußte er damit rechnen, daß der boshafte Junge ihm heimlich eine Schlinge um den Hals zu legen und ihn damit zu erwürgen versuchte.
Kala strafte Tarzan zwar, und Tublat schwor ihm schreckliche Rache. Auch der alte Kerschak nahm sich der Sache an, warnte und drohte, aber alles war vergebens.
Tarzan trotzte ihnen allen, und die dünne, starke Schlinge legte sich auch ferner um Tublats Hals, wenn er es am wenigsten vermutete.
Die andern Affen hatten ihre Freude daran, denn Tublat war ein unangenehmer, alter Patron, den niemand leiden mochte. In Tarzans klugem, kleinen Geist drehten sich manche Gedanken, und hinter diesen war die göttliche Macht des Verstandes.
Tarzan sagte sich, wenn er mit einer solchen Schlinge einen Affen fangen konnte, weshalb nicht auch Gabor, die Löwin? Es war der Keim eines Gedankens, der vorläufig nur in seinem Unterbewußtsein lebte, bis er in späteren Jahren zur Vollendung gedieh.
Dschungel-Kämpfe
Auf seinen Wanderungen kam der Stamm oft in die Nähe der stillen, verschlossenen Hütte an der kleinen Bucht. Tarzan hätte gar zu gerne gewußt, welches Geheimnis darin verborgen war.
Er versuchte zwar, durch die Fenster zu schauen, aber sie waren verhängt. Dann dachte er daran, auf das Dach zu klettern, um durch den Kamin hinunterzukommen; vielleicht könnte er auf diese Weise erfahren, welche Wunder innerhalb dieser Wände verborgen waren.
In seiner kindlichen Einbildung stellte er sich allerlei merkwürdige Dinge vor, die darin enthalten sein müßten, und je mehr er einsah, daß er nicht ohne weiteres hineingelangen könne, desto lebhafter wurde sein Wunsch, das Rätsel zu lösen.
Er kletterte stundenlang um das Dach und die Fenster herum, um ein Mittel zu entdecken, sich Eingang zu verschaffen, aber auf die Türe achtete er nur wenig, denn sie schien ihm ebenso fest zu sein, wie die Wände der Hütte.
Kurz nachdem er das Abenteuer mit Sabor erlebt hatte, kam er wieder in die Nähe der Hütte. Da schien es ihm, als ob die Türe ein unabhängiger Teil der Wand sei, in die sie eingesetzt war, und zum erstenmal kam ihm der Gedanke, daß dies der Weg sei, ins Innere zu gelangen, nach dem er so lange vergeblich gesucht hatte.
Er war allein, wie schon so oft, wenn er die Hütte aufsuchte, denn die Affen hatten eine Abneigung dagegen. Die Geschichte von dem Donnerstock