Von den Göttern verlassen IV. Sabina S. Schneider

Von den Göttern verlassen IV - Sabina S. Schneider


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sie aufblickte, starrten sie blaue Augen, die sie so gut kannte und so sehr liebte, voller Sorge an. Laura konnte nicht anders und sie schenkte Lucel ein strahlendes Lächeln.

      Ihr entging Selenas Schnauben nicht und sie spürte sofort Sanils Hand auf ihrer. Die Luft vibrierte von den gemischten Gefühlen. Liebe und Eifersucht. Dann rettete sie ein Klopfen aus der peinlichen Lage. Laura legte das Strickzeug auf den kleinen Holztisch neben ihrem Schaukelstuhl, den Sanil ihr zu irgendeinem Geburtstag geschenkt hatte. Er war ein praktischer Mann und hatte nur wenig Ahnung von Romantik.

      Doch er war ein guter Mann. Er hatte kein Wort darüber verloren, als Laura mit dem kleinen Lucel im Arm nachhause gekommen war und hatte die fadenscheinige Geschichte, Lucel sei der Sohn einer entfernten Cousine, die bei einem Unfall ums Leben gekommen war, nicht in Frage gestellt. Sanil hatte Lucel wie seinen eigenen Sohn großgezogen, soweit es ihm möglich war. Laura wusste, dass Lucel ihm unheimlich und seine Anhänglichkeit gegenüber Laura unangenehm war. Doch Sanil gab sein Bestes, vergötterte Selena und tat alles für die Familie.

      In Gedanken versunken, öffnete Laura die Tür und blickte in Augen, von denen sie nicht gedachte hatte, sie je wiederzusehen. Von einem Grün, etwas dunkler als ihre eigenen, starrten sie Laura aus einem haselnussfarbenem Gesicht entgegen. Augen, die sonst voller Güte, Freude und Fröhlichkeit waren, wirkten hart und bitter.

      Lauras Herz hüpfte ihr in den Hals und ihre Knie wurden schwach. „Ist etwas mit Serena?“ Lauras Stimme zitterte.

      Die Frau schüttelte den Kopf, presste aber die vollen Lippen aufeinander, bis alles Blut aus ihnen gewichen war und sie weiß wie Marmor wurden.

      „Ich komme wegen Lucel.“ Leise entschlüpften die Worte dem widerwilligen Mund.

      Laura sank zu Boden, presste ihre geballten Fäuste an ihre Burst und sagte mit tränenden Augen: „Er ist zu jung. Was auch immer ihr plant. Er ist zu jung.“

      „Die anderen wissen nicht, dass ich hier bin.“

      Bei den leisen Worten des schlechten Gewissens, sah Laura erleichtert auf.

      „Krieg droht. Dunkle Mächte haben sich in Schatten und Licht versammelt. Sie sind kurz davor, wieder die Welt zu betreten ... “

      „Liebling, alles in Ordnung? Wer war denn das so spät noch an der Tür?“, unterbrach Sanil die schwarze Botschaft. Laura rappelte sich auf, strich ihr Kleid mit zitternden Händen und bleichem Gesicht glatt.

      „Eine Freundin der Familie. Sie war in der Gegend und hat an mich gedacht.“

      Die schweren Schritte ihres Mannes hallten auf dem Holzboden. Er warf einen besorgten Blick zu seiner Frau und musterte den Ankömmling.

      Der unangekündigte Gast strich die Kapuze ab. Braune, lange Locken sprangen ungezähmt über die Schultern. Sie lächelte den Hausherrn an und sagte entschuldigend: „Es ist eine ungeplante Reise und ich hatte leider nicht die Zeit meinen Besuch anzukündigen. Ich wäre so oder so vor meinem Brief angekommen und ich musste unbedingt Lucel sehen.“

      „Das macht doch nichts. Lucel wird sich sicher freuen, Frau ... ?“ Fragend sah Sanil die Schönheit an.

      „Nadine, einfach nur Nadine. Ich glaube nicht, dass er sich an mich erinnert, doch ich habe ihn nie vergessen.“ Ihre zarten Hände schlossen sich um einen rosafarbenen Kristall, der an einer Kette um ihren Hals hing.

      „Kommen Sie doch herein! Wir sitzen gerade alle beim Kamin und lauschen den Geschichten meiner Frau. Haben Sie zu Abend gegessen? Können wir Ihnen etwas anbieten?“ Mit einer galanten Bewegung und einer Rücksichtnahme, die Laura an ihrem Mann nicht kannte, zeigte er Nadine den Weg ins Wohnzimmer.

      „Ich bin heute weit geritten. Ein kleines Mahl würde ich nicht ablehnen“, erwiderte Nadine höflich, strich sich die dunkelgrünen Reiterhandschuhe von den Händen und streckte Sanil die Hand hin.

      „Wo habe ich nur meinen Kopf! Ich mache gleich etwas Tee und ein paar belegte Brote“, stotterte Laura und eilte in die Küche, während Sanil Nadine den Umhang abnahm. Zum Vorschein kam eine seltsame, waldfarbene Tunika und Stiefel, zu kurz, um nützlich zu sein. Sanil führte Nadine ins Wohnzimmer, wo sie neugierig von Selena gemustert wurde.

      Eine Frau in Hosen war in Krem eine Seltenheit, vor allem in so engen. Selena bewunderte die schöne Figur, die lockigen Haare, die nussbraune Haut und Augen, grün wie eine saftige Sommerwiese. Ihr Herz sprang der Fremden entgegen, die sie freundlich anlächelte.

      Dann fuhr der Blick der Frau zu Lucel und Schmerz trat in die schönen Augen.

      Selenas Herz zog sich zusammen und eine dunkle Vorahnung ergriff von ihr Besitz. Angst erfüllte ihren Geist. Angst, dass diese Frau ihr Lucel wegnehmen würde. Selena schalt sich, versuchte über ihre Dummheit zu lachen, doch Wut staute sich auf, die sich nur schwer herunterschlucken ließ. Sie stellte sich dicht neben Lucel, der bei dem Eintritt der Fremden aufgestanden war, und griff nach seiner Hand.

      Sie war kalt.

      Lange starrten sich Lucel und Nadine an, ohne etwas zu sagen. Bis Sanil die Stille brach: „Nadine ist gekommen, um dich zu sehen, Lucel. Erinnerst du dich an sie?“

      Als Laura eines Abends mit dem kleinen Jungen auf dem Arm angekommen war, hatte sie gesagt, Lucel habe miterlebt, wie seine Eltern bei einem Unfall ums Leben gekommen seien, und könne sich aufgrund des Schocks an nichts aus seiner Vergangenheit erinnern. Apathisch war er die ersten Monate herumgelegen, hatte nicht gesprochen, nichts und niemanden wahrgenommen.

      Nach langen Kämpfen um seine Aufmerksamkeit war Selena es endlich gelungen, ihn aus seinem Kokon zu locken und sie würde ihren Lucel nicht einfach einer fremden Frau überlassen. Mit erhobenem Kinn funkelte sie die fremde Schönheit an.

      Lucel schüttelte mit gerunzelter Stirn langsam den Kopf, als müsse er sich selbst davon überzeugen, dass er die Frau nicht kannte.

      Selenas Fingernägel gruben sich tief in seine Haut, doch er spürte den Schmerz nicht, tastete nach dem Kokon, in den er sich noch nie so sehr hatte zurückziehen wollen, wie jetzt. Doch der Blick der Frau hielt ihn gefangen. Etwas an ihr rief ihn, lockte ihn.

      Dann fingen seine Augen das Leuchten des rosafarbenen Anhängers ein. Ein nie gekanntes Feuer erfasste seine Seele, die Spitzen seiner Ohren schmerzten, als würde sie jemand langziehen und gleichzeitig zusammenpressen. Das Blut rauschte immer schneller durch seinen Gehörgang. Ein unbändiges Verlangen nach dem Stein ergriff ihn.

      Kalter Hass und heiße Wut.

      Man hatte ihm etwas Wichtiges genommen.

      Nadine sog scharf die Luft ein. Für einen Augenblick hatte sie geglaubt, dass Lucels Augen sich schwarzsilber gefärbt hatten. Eine Hand um das linke Ohr gekrallt, streckte sich die rechte zitternd nach Nadine aus.

      Lucels Gesicht war verzerrt vor Schmerz.

      Nadine eilte zu ihm, stellte sich auf die Zehenspitzen, legte ihre Arme um seinen Nacken und presste sich fest an ihn.

      „Es tut mir so leid, Lucel. So furchtbar leid.“ Sachte strich sie ihm über die schwarze Lockenpracht.

      Lucel hielt still.

      Der Schmerz verschwand.

      „Ich werde sie dir wiedergeben. Es ist Zeit, dass du dich erinnerst. Wir hätten sie dir nie nehmen dürfen.“ Die Worte waren so leise gehaucht, dass Lucel sie kaum hörte. Er legte die Arme um die Frau, die er vor einigen Sekunden noch geglaubt hatte zu hassen, und drückte sie fest an sich. Er spürte eine Wärme an seiner Brust, die ihn beruhigte und doch aufwühlte.

      „Ähem!“, räusperte sich Selena laut und ungeduldig, die gezwungenermaßen Lucels Arm hatte frei geben müssen.

      Lucel ließ die Frau aus seiner Umarmung und sie trat verlegen zurück. Dann kam Laura mit einem Tablett und alle setzten sich an den Tisch. Nadine nahm die dampfende Tasse Tee, roch daran und nahm genüsslich einen Schluck.

      „Pfefferminz aus Selenas Garten. Dieses Jahr ist das Aroma besonders gut“, sagte Laura, rieb sich über die Oberarme


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