Scarlett Taylor. Stefanie Purle
Banshees, Irrlichter und noch viel mehr, aber du kennst sie noch nicht. Halte dich also zuerst einmal an die Feen, denn die hast du wenigstens schon einmal gesehen.“
Ich denke an die kleinen Leuchtpunkte, die im Wirbelsturm zwischen den Blättern um Fletcher herumtanzten und lächle in mich hinein. Sie erinnern mich ein wenig an die Seelen der Mädchen, die wir bei meinem ersten Auftrag befreit haben und die dann von Kitty gen Himmel geschickt wurden. Sie sahen aus wie Sternschnuppen, und ein bisschen sehen auch die Feen aus wie Sternschnuppen, bloß dass ihr Licht wärmer und ein wenig kleiner ist.
„Wenn du diese fünf Elemente gedanklich angerufen hast, stellst du dir vor, was passieren soll. Ich habe mir dieses Muster und den Wirbelsturm vorgestellt“, erklärt er und deutet auf den schnörkeligen Kreis in der Mitte der Lichtung. „Ich stellte mir vor, wie der Wind die Halme flachdrückt, die Blätter aus dem Wald zu mir wehen und sich fächerartig auf das Muster legen.“
Ich presse die Lippen zusammen und sehe wieder auf die Blätter am Boden, die säuberlich aufgereiht auf den geknickten Halmen liegen und ein buntes Muster erzeugen. „Okay.“
„Gut. Dann versuch es mal“, fordert Fletcher mich auf und führt mich in die Mitte der kleinen Lichtung. „Am besten versuchst du zuerst meinen Zauber rückgängig zu machen. Schicke die Blätter zurück in den Wald und lass die Grashalme sich wieder aufrichten.“
Er weist mich an, mich auf die Stelle zu stellen, an der er zuvor stand. Peinlichst genau platziere ich meine Füße auf seine Fußspuren, stelle mich stramm hin, straffe die Schultern und sehe zu Chris, der am Rande der Lichtung steht. Er nickt mir zu und senkt dabei kurz die Lider. Mein Herz rast und ich habe Angst zu versagen. Was, wenn ich für die weiße Magie nicht geschaffen bin, weil in mir nur dunkles Hexenblut fließt? Ich will Chris nicht verlieren und ich will auf keinen Fall so werden wie der schwarze König!
„Bereit?“, will Fletcher wissen, sieht mich an und wartet auf eine Reaktion.
„Ich glaube schon“, antworte ich mit zittriger Stimme und sehe zu, wie Fletcher sich von der Lichtung entfernt und neben Chris stellt.
„Dann fang an“, ruft Fletcher mir zu und ich schließe die Augen. „Zuerst die Erde!“
Ich konzentriere mich, stelle mir vor, wie lange, dünne Wurzeln aus meinen Füßen wachsen und die feuchte Erde durchdringen. Mein Körper spannt sich wie von selbst an, wird starr und steif, wie der Stamm eines Baumes.
„Und nun die Luft!“, höre ich Fletcher rufen.
Ich atme tief ein, konzentriere mich auf das kühle Gefühl, das die hereinströmende Luft in meinen Nasenlöchern hinterlässt. Leichter Wind kommt auf und ich öffne erstaunt die Augen.
„Augen zu!“, herrscht Fletcher mich an, doch ich habe bereits gesehen, dass die Bäume und Blätter sich um mich herum drehen und biegen.
Ich bin so euphorisch, dass ich scheinbar doch zu weißer Magie fähig bin, dass es mir schwerfällt, mich weiter zu konzentrieren und die Augen geschlossen zu halten.
„Jetzt kommt Feuer!“, ruft Fletcher mir über das immer lauterwerdende Rauschen des Windes zu.
Ich konzentriere mich auf meinen rasenden Puls und mein pochendes Herz, spüre, wie die Wärme mich erfüllt und durch meine Adern fließt.
„Wasser!“, schreit Fletcher.
Ich presse die Augen weiter zu, um der Versuchung zu widerstehen, sie zu öffnen und mich umzublicken, während ich spüre, wie mein Mund sich mit Speichel füllt, mein Bauch grummelt und die Haut in meinem Gesicht von feinem Nebel überzogen wird.
Der Sturm rauscht immer lauter, er saust und zischt um mich herum, ohne mich jedoch dabei zu berühren. Ich stehe in der Mitte, wie im Auge eines Wirbelsturms, wo es windstill ist.
„Geistwesen!“, schreit Fletcher nun und der Sturm trägt seine Sprachfetzen an mein Ohr.
Ich rufe mir die kleinen Lichtpunkte in Erinnerung, denken daran, wie sie in Fletchers Sturm tanzten und sich sammelten, wie ein Schwarm von Fischen im Meer.
Meine Haut beginnt zu kribbeln, die Haare an meinen Armen richten sich auf und ein wohliges Gefühl durchströmt mich. Die Luft um mich herum vibriert, als ich mir vorstelle, wie die Blätter sanft zurück in den Wald wehen, sich auf die Lagen des restlichen Herbstlaubes legen, das den Waldboden bedeckt. Konzentriert denke ich an die Grashalme, stelle mir vor, wie sie sich aufrichten und das schöne Muster wieder verschwindet.
Instinktiv recke ich die Arme hoch, führe meine Handflächen über meinem Kopf zusammen und klatsche.
Bevor ich die Augen öffnen kann, werde ich schon hochgehoben und herumgewirbelt. Chris lacht kehlig und drückt mich an sich. „Ich wusste, dass du es kannst! Ich wusste es!“, sagt er begeistert und hält nach zwei Umdrehungen wieder an. Er umfasst mein verdutztes Gesicht mit seinen großen Händen und küsst mich. Sein Kuss ist voller Erleichterung und Freude.
Als er seine Lippen wieder von meinen löst, blicke ich zu Boden. Das Blätterkunstwerk ist weg, die langen Grashalme stehen wieder aufrecht und es ist nichts von Fletchers Zauber übriggeblieben.
Chris streicht zart über meine Wange. Als ich zu ihm hochblicke, sehe ich ein Funkeln in seinen moosgrünen Augen. „Ich wusste es“, sagt er erneut, diesmal leiser und dennoch überglücklich.
Kapitel 8
„Das hätte ich jetzt nicht erwartet“, gibt Fletcher zu und kommt mit anerkennendem Nicken auf uns zu. „Wirklich, das war schon recht… spektakulär.“
Chris lacht vor Freude, beugt sich herab und küsst meinen Scheitel, während er die Arme um mich schlingt.
„Ich habe nur getan, was du gesagt hast“, wende ich ein und zucke mit den Schultern.
„Ja, schon klar. Allerdings schaffen junge Hexen es maximal ein laues Lüftchen heraufzubeschwören, nicht so einen Orkan, wie du es eben getan hast.“
„Liegt es vielleicht daran, dass sie die Königstochter ist? Ist ihre Macht deswegen stärker?“, will Chris wissen.
Fletcher reibt sich das spitze Kinn, auf dem helle Bartstoppeln in unregelmäßigen Abständen sprießen. „Klar, sie ist die mächtigste Hexe zurzeit. Aber dennoch muss auch sie weiße Magie erst erlernen. Es ist mir wirklich ein Rätsel, wie sie das so schnell hinbekommen hat.“
Ich straffe stolz die Schultern und lächle. „Das bedeutet doch nun, dass ich mich für die weiße Seite entscheiden kann, oder nicht?“
„Theoretisch schon, allerdings musst du dafür noch eine Menge mehr weißer Zauber ausführen, damit die weiße Magie bis zum nächsten Vollmond überwiegt“, erklärt Fletcher und schüttelt immer noch ungläubig mit dem Kopf.
„Na dann los!“, sage ich voller Tatendrang. „Zeig mir mehr!“
Bevor Fletcher antworten kann, klingelt Chris´ Handy. Er zieht es augenrollend aus der Hosentasche, wendet sich von uns ab und geht ran. Während er hinter uns den Anruf beantwortet, wendet sich Fletcher wieder an mich.
„Da du offenbar ordentlich Wind machen kannst, könnten wir uns um das Herbstlaub kümmern. Weiße Hexen helfen der Natur, indem sie Wind heraufbeschwören, damit die Bäume die Blätter loswerden. Außerdem fallen dadurch mehr Nüsse, Eicheln und Tannenzapfen zu Boden, was den Tieren wiederum zugutekommt. Ich bin für dieses Waldstück hier zuständig, du kannst mir dabei helfen.“
„Weiße Hexen erledigen also quasi Försterarbeiten“, schließe ich daraus.
Fletcher lacht. „Das ist nur ein kleiner Teil unserer Arbeit. Da wir die Natur für unsere Zauber um Hilfe bitten, müssen wir uns auch revanchieren. Und das ist eine der vielen Möglichkeiten.“
„Was machen weiße Hexen denn noch?“, will ich wissen und blicke kurz rüber zu Chris, der am Telefon ein besorgtes Gesicht macht.
„Alles Mögliche.