Scarlett Taylor. Stefanie Purle
habe schon ein paar Mal versucht dich zu erreichen.“
„Mein Handy war im Auto, als ich Elvira abgeholt habe.“
Er lacht kurz auf. „Ach so, ich dachte schon, es sei etwas passiert“, sagt er erleichtert. „Du, weswegen ich anrufe … Habe ich meinen Schlüssel bei dir im Wagen vergessen?“
Mein Herz setzt für ein paar Schläge aus und kommt stolpernd wieder in Gang. „Ja, kann sein. Ich glaube schon“, stammle ich und schlage mir vor die Stirn. „Brauchst du ihn? Soll ich ihn bringen?“
„Nein, nein. Mach dir nicht die Mühe. Ich habe noch ein paar Ersatzschlüssel hier, und den Transporter habe ich ja im Moment eh nicht.“
Aha, ich soll also nicht vorbeikommen und ihm den Schlüssel bringen. Sehr verdächtig. „Okay.“
„Ist wirklich alles in Ordnung?“, hakt er nach und ich höre einen zweifelnden Unterton in seiner Stimme.
„Ja, ja, alles okay“, lüge ich erneut. „Elvira hat mir nur gerade erzählt, dass Horden übernatürlicher Wesen auf dem Weg zu uns sind, um mich zu sehen. Mich, ihre neue Königin.“
Kurz Stille am anderen Ende. „Das habe ich auch gehört. Aber mach dir keine Sorgen, Scarlett. Ich habe schon mit Fletcher gesprochen. Wenn es dir passt, bringe ich dich heute Nachmittag zu ihm.“
„Und dann?“
„Dann weist er dich in die weiße Magie ein. Vielleicht kann er dir auch schon einen Schutzzauber beibringen, dann wärst du für die magischen Wesen theoretisch unsichtbar und sie können dich erst mal nicht belästigen. Aber darüber weiß Fletcher mehr.“
„Okay“, sage ich und spüre, wie mein Brustbein sich bei Chris Worten und seiner rauen Stimme erwärmt. Auch wenn ich in diesem Moment nicht genau weiß, woran ich bei ihm bin, fühlt es sich gut an, mit ihm zu sprechen.
„Komm so gegen drei Uhr zu mir, in Ordnung? Dann fahren wir zu Fletcher. Er erwartet uns.“
„Ja, ist okay“, sage ich, als Elvira mit zwei klappernden Teetassen hineinkommt.
„Und grüß´ Elvira von mir, ja?“
„Ja, mach ich. Bis später dann“, sage ich und lege auf.
„War das Chris?“, will Elvira wissen. Sie stellt die dampfenden Tassen auf dem Couchtisch ab und öffnet ein Fach ihres Wohnzimmerschranks, aus dem sie eine Packung Kekse holt.
Ich stecke das Handy zurück in meine Manteltasche und hole die heiße Tasse heran. „Ja. Ich soll schön grüßen.“
Sie nickt und reißt die Keksverpackung auf. „Und mit euch ist alles in Ordnung?“
Ich seufze und rolle mit den Augen. „Eigentlich kennen wir uns kaum“, gebe ich zu und rühre in meinem Tee.
„Ist das nicht immer so, wenn man sich erst kurz kennt?“, meint Elvira. „Das Wichtigste weißt du ja schon, und das ist etwas, was er normalerweise nie jemandem erzählt.“
„Dass er ein Mannwolf ist, oder was meinst du?“
„Genau“, sagt sie und nickt. Sie setzt sich wieder auf ihr Sofa, nimmt einen Keks und tunkt ihn in ihren Tee.
In meinem Kopf formuliere ich eine Frage immer wieder um und suche mir dann die Version, die am wenigsten eifersüchtig und misstrauisch klingt. „Hat er Familie?“
Elvira lehnt sich an, beißt von ihrem Keks ab und kaut, während sie mich ausdruckslos betrachtet. Nachdem sie geschluckt hat, antwortet sie endlich. „Einen Bruder, eine Schwester und eine Nichte, soweit ich weiß. Seine Eltern sind schon verstorben.“
Der Stein, der sich langsam von meinem zersplittertem Herzen löst, kullert sanft zu Boden, während ich mich selbst für meine Eifersucht ohrfeigen könnte. „Wie alt ist seine Nichte?“, hake ich so beiläufig wie möglich nach.
„Keine Ahnung, vielleicht vier oder fünf Jahre alt. Ich habe sie noch nicht kennengelernt, aber er erzählt manchmal von ihr.“
„Und seine Schwester? Wie sieht die aus?“
Elvira blickt von ihrer Teetasse auf und zieht die Augenbrauen hoch. Sie denkt nach, nimmt einen Schluck Tee und setzt die Tasse bedächtig wieder ab. „Sie ist groß, schlank und hat langes blondes Haar.“
Ich nicke erleichtert, da Elviras Beschreibung auf die Frau passt, die Chris so überschwänglich und freudig begrüßt hat.
„Nun verstehe ich was los ist!“, sagt sie und schüttelt lächelnd mit dem Kopf. „Du hast sie gesehen und gleich befürchtet, Chris würde zweigleisig fahren!“
„Nein, was für´n Quatsch!“, sage ich und wedle mit der Hand, doch Elviras Lachen macht deutlich, dass sie mich durchschaut hat.
„Oh, Kind! Du hast eindeutig zu viele schlechte Erfahrungen gemacht“, sagt sie während ihr Lachen langsam verebbt.
Ich zucke mit den Schultern. „Kann sein.“
„Chris ist anders, als alle Männer, die du jemals gehabt hast, Scarlett.“
Meine Wangen werden warm als ich lächelnd nicke. „Ja, das stimmt wohl.“
„Wenn er seine Gefährtin gefunden hat, dann gibt es für den Mannwolf keine andere Frau mehr. Er kann mit ihr die nächsten Jahrhunderte zusammen sein, ohne ihrer jemals überdrüssig zu werden.“
„Jahrhunderte?“, wiederhole ich lachend, doch Elvira stimmt nicht in mein Lachen ein.
„Ja, Jahrhunderte“, sagt sie erneut. „Hat er es dir noch nicht erzählt?“
„Mir was erzählt?“
„Wie alt er ist?“
Ich setze klirrend meine Teetasse ab und beuge mich zu Elvira vor. „Was meinst du damit? Er ist so um die fünfunddreißig, würde ich schätzen.“
„Da leg´ noch mal fünfunddreißig Jahre drauf, Kind.“
Ich schüttle ungläubig mit dem Kopf. „Unsinn! Du willst mich doch verarschen, oder? Chris ist doch niemals siebzig Jahre alt!“
Elvira nickt bedächtig. „Doch, so ungefähr. Mannwölfe werden zweihundert Jahre alt.“
„Ach, Quatsch! Niemals!“, sage ich erneut und denke nach. Könnte es wirklich sein, dass Elvira mir die Wahrheit erzählt? Wenn das so wäre, dann könnten Chris und ich niemals zusammen alt werden. Ich habe im Durschnitt noch fünfzig Jahre, Chris hingegen könnte aber noch einhundertdreißig Jahre leben. „Dann sterbe ich, bevor er alt ist“, erkenne ich und schlucke.
Elvira lacht auf. „Nein, Kind! Die Gefährtin eines Mannwolfes zu sein, bedeutet auch, mit ihm alt zu werden. Du wirst so lange leben wie er. Da du aber die Tochter des schwarzen Königs bist, und deine Macht aktiviert wurde, wirst du noch länger leben.“
Ich sacke im Sessel zusammen und kann kaum glauben, was meine Tante mir da erzählt. „Wie alt ist der schwarze König?“
Elvira presst die Lippen zusammen und nippt an ihrem Tee. „Keiner weiß es so genau. Die ersten Aufzeichnungen von ihm gab es vor circa vierhundert Jahren.“
„Ach Quatsch!“, protestiere ich, doch Elvira sieht mich missmutig an.
„Das musst du dir echt abgewöhnen, Kind. Du kannst nicht jedes Mal -Ach Quatsch- rufen, wenn man dir etwas von der paranormalen Welt erzählt.“
Ich senke den Blick und schlürfe meinen Tee. „Ich kann es aber wirklich kaum glauben“, gebe ich zu bedenken. „Du sagst, normales Altern, wie es alle um mich herum tun, fällt für mich flach. Mein Freund wird zweihundert Jahre alt und ich angeblich noch älter. So etwas verdaut man nicht so leicht.“
Elvira nickt und stellt ihre Tasse ab. „Da hast du recht. Wenn man dies alles zum ersten Mal hört, dann muss es wirklich unglaublich sein“, stimmt sie mir zu und legt eine Hand auf mein