Johann Gabb. Thomas Pfanner

Johann Gabb - Thomas Pfanner


Скачать книгу
Schmerz und die augenblickliche Schwäche ignorierend umrundete er den Lkw, durfte aber zu seiner nicht geringen Erleichterung feststellen, dass der Opel von größeren Schäden verschont geblieben war. Soweit kannte er seine neuen Herren schon, dass Schäden am Material wesentlich rigoroser bestraft wurden als menschliche Verluste.

      Zum Glück bestand der gesamte Schaden lediglich aus einer Einkerbung in der Stoßstange. Neben den bereits vorhandenen Schäden fiel dieser eine nicht weiter auf, da nichts wirklich kaputt gegangen war. Nur musste der Opel irgendwie wieder zurück auf die Straße kommen. Johann wusste noch nicht, wie viel Glück ihn dieser Unfall bringen würde, vorerst betrachtete er es als größtes vorstellbares Glück, einen dreiachsigen Lkw an der Straße zu sehen. Der schwere Laster hielt an und zwei Soldaten stiegen aus.

      »Na, Rekrut, der Führerschein ist noch druckfrisch, wie es scheint.«

      Beide Soldaten waren etwa in seinem Alter und brachten somit genügend Lebenserfahrung mit, um ihren Worten ein gutes Maß an Nachsicht mitzugeben. Als Gefreite stand ihnen zudem keine Befehlsgewalt zu.

      »He, Kameraden, ich könnte ein Abschleppseil gut brauchen«, rief er den beiden entgegen.

      »Ach guck, ein Schwab`«, gab der Soldat zurück und grinste breit. »Gehörst sicher zu dem Haufen Volksdeutscher, die für uns den Krieg gewinnen sollen.«

      Johann nickte und versuchte ein neutrales Lächeln. Die allgemeine Lage war ihm ebenso bekannt wie die Strafe auf defätistische Reden. Im Angesicht der unausweichlich scheinenden Niederlage zeigte sich das Regime mehr und mehr dünnhäutig. Ungeachtet dessen redeten die Soldaten gleichzeitig zusehends unverblümter über die Lage, vor allem die Soldaten mit Fronterfahrung. Nur ließ sich für einen Neuling wie ihn nicht sicher abschätzen, wie es mit der Kameradschaft zu seiner Sorte Deutscher stand, sollte er sich an den flotten Sprüchen beteiligen und am Ende ein Sündenbock gesucht werden. Der Soldat wedelte beruhigend mit der Hand.

      »Keine Sorge, Kamerad. Mein Neffe war auf Landverschickung in Ungarn, ich bin euch Leuten noch was schuldig.«

      Johann atmete auf. In einer feindlichen Umgebung auf Freunde zu treffen, konnte ohne Weiteres als Glücksfall durchgehen. Die Leute in Ostpreußen waren nicht die Einzigen, die Fremden gegenüber feindselig eingestellt waren, wobei denen jeder als fremd galt, sobald er keine Verwandten aus der Region vorweisen konnte. Deutscher war noch lange nicht gleich Deutscher, selbst unter den Soldaten wurden scharfe Unterschiede gemacht. Man unterschied sehr genau nach der Herkunft. Ein Preuße sprach nicht gerne mit einem Bayern, die Norddeutschen wurden mit überhaupt niemandem warm, und die Angehörigen der Waffen-SS hielten sich für was Besseres und wurden daher von normalen Wehrmachtssoldaten geschnitten, wo immer es straflos möglich war.

      Dummerweise hatte die SS mit den Volksdeutschen ein ziemliches Problem, weil diese aus Prinzip ausschließlich zur SS eingezogen und keinem Auswahlverfahren unterworfen wurden. Mithin standen sich selbst ernannte Elitesoldaten hastig ausgebildeten Bauern und Handwerkern in der gleichen Truppe gegenüber und verzweifelten aneinander. Die einen zogen sich in die trügerische Sicherheit ihrer Panzer und Schützenpanzer zurück, die anderen sollten mit der Flinte in der Hand ein gewisses Maß an Rückendeckung fabrizieren, was man ihnen aber im Grunde gar nicht zutraute. Die Volksdeutschen wurden also gebraucht, aber nicht gelitten. In dieser Situation freute es Johann, auf zwei Soldaten zu treffen, die ihm freundlich gesonnen waren. Eine kurze Inspektion der Gegebenheiten ließ den Soldaten zufrieden nicken.

      »Den kriegen wir wieder raus. Da brauchen wir keine Verstärkung.« Nun erst besah er sich Johann genauer. »Lenkrad weggeschlagen? Mhm, lass mal sehen.«

      Der zweite Soldat benötigte nur einen kurzen Blick, um sich in Richtung seines Schwerlasters zu bewegen und kurz darauf mit einem Verbandskasten zurückzukehren.

      »Fingergelenk angebrochen, mindestens.«

      In seiner anscheinend typischen Weise machte der Soldat eine kurze Pause, um dann weiter zu sprechen.

      »Ihr habt doch heute einen Sondertermin, ist doch so, hm? Na, dann mache ich dir einen schönen Verband. Damit gehst du gleich zum Sani und nicht auf den großen Platz. Lass dich verarzten und bitte um zwei Tage Krankschreibung. Übermorgen rückt ihr nämlich ab.«

      Johann war erstaunt genug, um die Schmerzen, die das Verbinden mit sich brachten, nicht weiter zu beachten. Was war denn das für ein Soldat, der das alles wusste? Diesen Gedankengang erahnend lächelte der Mann nur schmallippig.

      »Wenn du leben willst, musst du alles wissen. Könnte wichtig werden, vorher weiß man es einfach nicht. Man muss auch wissen, was um einen herum so passiert. Außerdem gehen wir mit euch. Es geht wieder zurück nach Ungarn. Da ist das größte Loch zu stopfen. Wir sind die Artillerie«, er machte eine ausholende Bewegung nach hinten, in Richtung auf seinen Lkw.

      »Kannst du dir das vorstellen? Drei Jahre lang rennen wir durch ganz Russland und ziehen diese scheiß Geschütze mit Pferdefuhrwerken hinter uns her. Und jetzt haben sie uns diese tollen Zugmaschinen gegeben. Die hätten wir mal vor Moskau haben sollen, als uns im Winter die Tiere verreckt sind und wir nicht nach vorne kamen. Jetzt ist es zu spät. Nun haben wir prima Lkw, die pünktlich geliefert wurden. Kannst du dir das vorstellen? Vor drei Wochen war die Auslieferung, genau einen Tag später war der Sprit alle. Kam auch keiner mehr. Wir fahren auf den letzten zwanzig Litern. Keine Ahnung, wie wir es an die Front schaffen sollen. Ist mir andererseits auch sehr recht. Wer zu spät zur Schießerei erscheint, kann auch nicht erschossen werden.«

      Er zwinkerte Johann zu, machte einen Knoten, mit dem er den Verband schloss. Anschließend ließen die Beiden ihn ratlos zurück und schafften es ganz ohne seine Hilfe, den Opel auf die Straße zu schleppen. Sie starteten sogar den Motor für ihn und verabschiedeten sich mit Handschlag.

      »So, alles klar. Und immer gut aufpassen, ja? Immer wissen, wo die Gefahr lauert und gleich in die entgegengesetzte Richtung marschieren. Unsichtbar bleiben, nicht zu schwer arbeiten, aber immer irgendetwas tun. Niemals freiwillig melden für eine unabsehbare Sache. Ehe du dich versiehst, hängst du sonst tot über einem Zaun.«

      Ein letztes Zwinkern, dann verschwand der Dreiachser hinter einer fettigen schwarzen Abgaswolke. Johann mühte sich beim Einsteigen ab, legte unter Schmerzen den Gang ein und fuhr los, nun wesentlich bedächtiger. Was meinten diese Heinis nur? War es üblich, in kryptischen Sätzen zu sprechen und die mageren Andeutungen nie zu erläutern? Zudem fiel es ihm schwer, zwischen Scherz und echtem Ratschlag zu unterscheiden.

      Es dauerte noch einige Zeit bis zu seiner Ankunft, weil er nun überaus vorsichtig fuhr. Als er in der Kaserne ankam, war der vorgegebene Zeitpunkt längst verstrichen. Hinter den Blocks zur Linken hörte er die dröhnende Stimme des Obersten, der offenbar eine seine anfeuernden Ansprachen hielt. Johann glaubte zu hören, wie zwischendurch immer wieder Namen aufgerufen wurden. Da es ihn nicht dazu drängte, vor versammelter Mannschaft seinen Unfall zu beichten, erinnerte er sich an den Rat des freundlichen Soldaten und fuhr gleich durch zum Sanitätsgebäude. Dort sah man ihn skeptisch an, behandelte ihn aber doch zügig und gewissenhaft.

      Er erhielt einen neuen Verband, in den eine Schiene eingearbeitet wurde. Zwei schmerzhafte Spritzen rundeten die Behandlung ab. Erst danach erschien ein Arzt, der sich nochmals alles ansah, soweit es durch den Verband nicht im Unsichtbaren blieb. Er ließ sich den Unfall schildern, füllte ein paar Formulare aus und sprach im Übrigen sehr wenig. Schließlich reichte er ihm einen Zettel, stand auf und meinte im Hinausgehen, über die Schulter gesprochen.

      »Herzlichen Glückwunsch, Soldat. Sie sind zwei Tage vom Dienst befreit. Durch diesen tragischen Umstand bleibt Ihnen die Tätowierung verwehrt. Halten Sie immer den Ausweis und das Soldbuch bereit, sonst könnte noch jemand auf den Gedanken kommen, Sie gehörten gar nicht zur glorreichen Waffen-SS.«

      Buisdorf

      Wir sind glücklich zu Hause angekommen. Gerade rechtzeitig, beginnt es doch, leicht zu regnen. Meine Tante nimmt den Opa in Empfang, führt ihn ins Bad und versorgt ihn dort. Sie hat Dienst heute, meine Mutter und sie wechseln sich ab. Dabei geht es insbesondere um die Nacht. Nachts entpuppt sich mein Opa in schöner Regelmäßigkeit als Ausbrecherkönig. Was der alles drauf hat, versetzt


Скачать книгу