Hexenseele. Stefanie Purle
presse die Lippen aufeinander und nicke, während ich meine nächsten Worte genauestens überlege. „Der Zauber sollte doch auf Chris übergegangen sein, da wir Gefährten sind, oder?“
Nachdenklich legt sie eine Hand an ihr rundliches Kinn. „Ihr seid das erste gemischte Gefährten-Paar, das ich kenne. Aber wenn man die Gefährtenverbindung und ihre Tiefe bedenkt, müsste das so sein, ja.“
Vor Erleichterung sacke ich fast in mich zusammen, doch die Zweifel kehren beim Gedanken an Chris´ Zustand prompt zurück. „Und warum ist er dann noch nicht wach?“
Als hätten sie nur auf dieses Stichwort gewartet, erscheinen nacheinander drei der Heilerinnen in der Küche. Mit respektvoll gesenktem Blick reihen sie sich am Kopf des Tisches auf.
„Sprecht“, fordert Roberta die Frauen auf und wendet sich ihnen zu.
Die Mittlere der Drei hebt den Kopf. Ihr aschblondes Haar ist zu einem langen Zopf geflochten, der sich mehrfach um ihren Kopf windet, darüber ist eine beige Haube befestigt, genau wie bei den übrigen Heilerinnen. Sie blickt von mir zu Roberta und ein sanftes Lächeln formt sich auf ihren schmalen Lippen. „Der Mannwolf ist nicht tot“, sind ihre ersten Worte und ich lege voller Erleichterung die Hand auf mein Brustbein. „Der Lebensfunke in ihm ist nicht erloschen. Wäre er eine Hexe, würden wir denken, er hätte den Inviolabilem-Zauber angewandt.“
Roberta nickt und fordert sie mit einer Handbewegung auf, weiter zu sprechen.
„Er hat eine Schusswunde an der Stirn und eine große Austrittswunde am Hinterkopf, aber die Heilung hat bereits begonnen. Sein Körper ist ansonsten unverletzt. Wir gehen davon aus, dass sein Körper mit der Neubildung der zerstörten Hirnmasse beschäftigt ist und er deswegen nicht ansprechbar ist.“
„Wann wird er wieder ansprechbar sein?“, frage ich sie, doch ihr Blick ruht weiterhin auf Roberta.
„Antworte“, befiehlt sie knapp.
„Es sieht nach dem Inviolabilem-Zauber aus, doch das kann ja nicht sein, da er keine Hexe ist und der Spruch nur von einer Hexe auf sich selbst angewandt werden kann, wie ihr natürlich wisst.“
„Geht einfach davon aus, es wäre der Inviolabilem-Zauber. Wann wäre er dann wieder ansprechbar und genesen?“
Verdutzt blickt die Heilerin ihre Königin an und auch die beiden neben ihr heben verwundert den Blick. „Also… Wenn er eine Hexe wäre und diesen Zauber auf sich angewandt hätte und dann dieser Schussverletzung erlegen wäre, dann sollte er in wenigen Tagen wieder auf den Beinen sein. Aber…“
„Danke“, unterbricht Roberta. „Ist Vier noch oben?“
„Ja, Eure Majestät.“
„Macht das Zimmer für meine Nichte und den Erkrankten zurecht, sie werden ein paar Tage bei uns bleiben. Ich will, dass immer eine von euch den Mannwolf bewacht und sofort Alarm auslöst, sobald sein Zustand sich verändert. Ihr dürft ihn nur unbewacht lassen, wenn Scarlett es euch befiehlt.“
So verwundert ich auch über Robertas Ton diesen drei Heilerinnen gegenüber bin, ist mir doch nicht entgangen, wie entgeistert sie mich alle angesehen haben, als sie erfuhren, dass ich Robertas Nichte Scarlett bin.
Sie treten gemeinsam einen Schritt zurück, machen einen Knicks und verlassen hintereinander die Küche. Sobald sie verschwunden sind, dreht Roberta sich wieder zu mir um.
„Siehst du, es wird alles wieder gut werden“, sagt sie mit geneigtem Kopf und einem Lächeln auf den Lippen. Dann schnippst sie mit den Fingern. „Chris´ Zeit läuft nun wieder weiter. Er soll schließlich heilen, damit er uns bald wieder mit seinem absolut göttlichen Körper beglücken kann.“ Ihr Lächeln erstirbt plötzlich und ihre Lippen formen sich zu einem Oval. „Oh!“
„Was?“, hake ich nach, doch da springt Roberta bereits mit wehenden Gewändern auf und verlässt die Küche.
Ich bleibe allein zurück.
Kapitel 5
Anstatt untätig in der Kochküche herumzusitzen und auf Roberta zu warten, versuche ich den Weg zurück in Chris´ Schlafgemach zu finden. Jedoch erweist sich dieses Vorhaben schwieriger als gedacht. Ein Zauber liegt auf der steinernen Wendeltreppe und egal wie viele Ebenen ich auch passiere, ich gelange kein Stockwerk höher!
Irgendwann bin ich aus der Puste und gehe stattdessen in den Flur hinein und schaue mich dort nach einem anderen Weg in die oberen Etagen um. Ein dicker roter Teppich mit goldenem Rand zieht sich über die Länge des Flures in beide Richtungen. Wände, Decken und Böden sind aus felsigen Gesteinsbrocken gemauert und alle paar Meter gehen ovale Holztüren vom Flur ab. Ich probiere es bei der ersten Tür und entdecke dahinter eine Art mittelalterliche Schlafkammer mit vier Betten. Leise schließe ich die Tür wieder und versuche es bei der nächsten, die allerdings ein Portal ist, das auf einen Marktplatz aus vergangenen Zeiten führt. Hinter Kisten voller Kohlköpfe, Möhren, Kartoffeln und Schnittblumen stehen braungebrannte Verkäufer mit schwarzen Haaren und gestutzten Bärten, die ihre Waren in einer mir unbekannten Sprache anpreisen. Ich ziehe mich zurück und öffne eine weitere Tür, doch dieses Mal gelange ich nur in ein modern eingerichtetes Badezimmer mit glänzenden Marmorfliesen und Spiegeln, die die ganze Wand einnehmen.
Tür für Tür probiere ich aus, doch keine bringt mich näher zu Chris oder zu jemandem, den ich nach dem Weg fragen könnte. Ich erreiche das Ende des Flures und trete auf den steinernen Balkon hinaus. Ich muss mich im hinteren Bereich des Schlosses befinden, denn anstatt über einen Wald hinabzuschauen, blickt man hier auf dicht bewachsene Klippen, hohe Tannenspitzen und Baumkronen. Zu meiner Überraschung entdecke ich links vom Balkon eine Art Tunnel, geformt aus Lianen und gewundenen Ästen. Er ist mannshoch, definitiv magisch erbaut worden und führt vom Balkon herab in die umliegenden Baumkronen. Es ist ganz sicher Darius´ Werk!
Ich stecke den Kopf in den Tunnel und rufe seinen Namen, erhalte jedoch keine Antwort. Noch einmal blicke ich zurück in den Schlossflur. Ich will zu Chris, aber alleine werde ich den Weg niemals finden. Vielleicht kann Darius mir helfen.
Meine Hände tasten die Innenwände des Lianentunnels ab und ich spüre die Druidenkraft im Holz pulsieren. Sie verbindet sich mit meiner eigenen Druidennatur und es fühlt sich an, als heißen mich die Äste willkommen. Sie spannen sich an und lassen zu, dass ich über sie laufe und den schmalen Tunnel hinabgehe. Er windet sich in schwindelnder Höhe über die Klippen und führt zur nächstgelegenen Baumkrone, wo die Lianen den Tunnel öffnen und sich zu einem riesigen Kokon um die Äste der Fichte herum bilden. Ein paar hölzerne Höcker und ein ovaler Tisch, mit Druidenmagie erschaffen, füllen einen Bereich des Kokons. Im hinteren Teil davon setzt sich der Tunnel fort.
Erneut rufe ich nach dem Druiden und dieses Mal erhalte ich auch eine Antwort.
„Scarlett?“, hallt es durch den zweiten Tunnel. „Bist du das?“
„Ja! Ich bin´s! Wo bist du?“
Ein leichtes Zittern lässt die Lianenblätter im nächsten Tunnel erzittern. „Folge dem Efeu!“, dringt seine Stimme zu mir und eine Efeuranke schlängelt auf mich zu.
Die dunkelgrünen Blätter heben sich von dem hellbraunen, aus unzähligen Ästen geflochtenen Boden des Kokons ab und weisen mir den Weg in den nächsten Tunnel hinein. Ich folge ihnen bis zu einem weiteren Kokon, der sich wie ein Baumhaus um die Krone einer uralten Eiche legt. Von hier gehen insgesamt vier Tunnel ab und zwischen ihnen sind die Wände mit Regalen bestückt auf dem allerlei Krimskrams gestapelt liegt.
„Wo bleibst du denn?“, hallt Darius´ Stimme aus dem Tunnel, über dessen Boden sich auch die Efeuranke windet.
„Ich komme ja schon!“, rufe ich zurück und zwänge mich durch den nächsten Gang.
Dieser führt in einen noch größeren Kokon, dessen Hinterwand die felsigen Klippen des Berges bilden. Darius steht in der Mitte dieses großen Raumes über einem aus kleinen Felsbrocken gemauerten Herd gebeugt, auf dem eine Art Wok-Pfanne steht, aus der würziger