Milten & Percy - Der Tod des Florian C. Booktian. Florian C. Booktian
Alterssitz am Stadtrand bezogen, der weit genug abseits lag, um in Ruhe im Garten zu sitzen. Hier wohnte nur, wer das nötige Kleingeld hatte. Und Percys Oma hatte bis heute nicht aufgehört zu arbeiten, verdiente gut und liebte ihren Job. Percy verstand zwar nicht, wieso sie sich abends noch auf Partys herumtrieb, aber immerhin kam sie dann unter die Leute.
Vor dem Haus befand sich ein ausgeschmückter Garten, der sich um das Haus herum und nach hinten weiter in die Ferne erstreckte. Die Vorderfront des Hauses war symmetrisch, zwei große Fenster mit zwei großen Blumenkübeln vor dem Eingang. Ein hölzerner Gartenzaun hielt lästige Besucher ab und ein Willkommensschild begrüßte die, denen sie Eintritt gewährte.
Percy öffnete das Gartentor und lief den Schotterweg entlang. Am Eingang streifte er sich die Füße ab und wollte gerade auf die Klingel drücken, als die Haustür aufgerissen wurde.
„Kind, da bist du ja endlich, komm rein!“, sagte Percys Oma und zog ihn ins Innere. „Hast es endlich mal geschafft, was? So ist das mit euch jungen Spatzen. Kaum ist der Wurf zum Bau hinaus, vergisst er, dass es noch Familie gibt, die man besuchen könnte.“
Percy erkannte seine Oma nicht wieder, ihre Frisur und auch sonst alles an ihr hatte sich verändert. Von der gebückt gehenden Erdmännchen-Dame war nichts mehr übrig. Sie trug zwei Hörgeräte, eine dicke Brille und ihr Rücken war kerzengerade, fast so, als hätte sie jemand wieder hingebogen. Und was war nur mit ihrem grauen Fell passiert?
„Oma, hast du dir das Fell gefärbt?“
„Das hier?“, sagte sie und beugte den Kopf vornüber. Wo eigentlich eine graue Stelle hätte sein sollen, befand sich eine wuschelige lila Mähne. „Das hab ich mir machen lassen. Man muss ja mithalten, wenn man hier in der Stadt dazugehören will. Hab mir auch ein Hörgerät besorgt, zwei sogar, damit ich die Dummheiten wieder besser verstehe, die du so von dir gibst.“
„Dein Rücken ...“, stammelte Percy und zeigte verdutzt auf seine Oma.
„Chiropraktiker. Knetet mich durch und macht mit mir Übungen. Ich bin wieder so gut wie neu.“
Sie blinzelte hinter ihren dicken Brillengläsern hervor.
„Was war denn so dringend, dass ich jetzt vorbeikommen musste?“
„Na hör mal, du Jungspund. Braucht eine Oma einen Grund, um ihren Enkel herzuzitieren? Aber ich habe wirklich einen. Ich brauche einen Tester, Moment.“ Sie verschwand in die Küche und ließ Percy alleine im Wohnzimmer zurück. Die Wände waren von Bilderrahmen übersät, die Percys große Familie zeigte. In der Ecke stand ein neuer Flachbildschirm-Fernseher. Viel moderner als der Röhrenfernseher, den Percy zu Hause hatte. Was ihm aber am meisten ins Auge stach, war der schwarze Koffer, der auf einer Kommode lag. Percy kannte diese Art von Koffer. Allerdings hätte er nie vermutet, einen davon bei seiner Oma zu finden. Darin bewahrte man normalerweise Gewehre auf. Er öffnete die Scharniere und klappte den Deckel auf. Im Inneren lag ein MP5-Maschinengewehr mit Munitionsschachteln.
„Oma?“, rief Percy Richtung Küche, als er den Deckel wieder zuklappte. „Warum hast du ein deutsches Maschinengewehr im Wohnzimmer?“ Obwohl in seiner Stimme etwas Besorgnis mitschwang, machte er sich nicht wirklich Sorgen, dass seine geliebte Oma etwas Verrücktes plante. Jedenfalls nicht verrückter als sonst.
„Na, um mich zur Wehr zu setzen. Da draußen gibt es einiges, was größer ist und stärker. Und damit gehe ich auf Nummer sicher, dass es auch dort draußen bleibt.“
„Und wie genau stellst du dir das vor?“
„Wenn einer meint, hier einbrechen zu müssen, schieße ich ihm mit dem Ding da in die Fresse.“
„Oma!“
„Oma mich nicht, Percyvall“, sagte sie und hielt ihm das Tablett mit den Keksen hin. „Hier, probier mal.“
Percy nahm einen Keks. „Hast du eine Erlaubnis für die Waffe?“
„Eine was?“
„Einen Waffenschein, Oma, nur wenige überlassen einer älteren Frau ein derartiges Gewehr.“
„Der Kerl, von dem ich es gekauft habe, hat es mir so gegeben. Falls du einen Kassenzettel meinst, den gibt es nicht. Das lief unter der Pfote“, den letzten Teil flüsterte sie ihm zu und nickte energisch. Dann lächelte sie. „Iss deinen Keks auf!“
Percy biss das Gebäck an und kaute, ohne wirklich auf den Geschmack zu achten. Ganz mit der Waffe beschäftigt, hinterfragte er auch gar nicht, was er da gerade knabberte. „Du weißt, dass ich Polizist bin? Wie sieht es denn aus, wenn ich meine eigene Oma mit einem Maschinengewehr zurücklasse, für das sie keine Erlaubnis hat?“
„Es würde so aussehen, als ob du deine alte Oma sehr lieb hast.“
„Das habe ich auch“, sagte Percy und nahm einen weiteren Keks. Die waren gut, noch weich in der Mitte und mit leckerer Füllung. „Du kannst das Teil nicht behalten. Ich besorg dir mal ein Pfefferspray.“
„Hab ich schon. Und einen Elektroschocker, den ich an einen Besenstiel gebunden habe. Sag, mein Lieber, wo ist denn dein Partner, Milten, wolltest du mir den nicht mal vorstellen?“
„Er muss arbeiten“, sagte Percy und schluckte den Rest von seinem zweiten Keks. Die waren nicht nur gut, die waren verdammt gut. In seinem Bauch breitete sich ein angenehmes Wärmegefühl aus. Es schien, als wäre es Samstagmorgen, draußen regnete es und er konnte heute den ganzen Tag im Bett bleiben. Das Erdmännchen schnappte sich zwei weitere Kekse, nahm einen in jede Hand und biss abwechselnd hinein.
„Gut, oder?“, fragte seine Oma.
„Verdammt gut“, sagte Percy mit vollem Mund. „Was ist da drin? Nugat?“
„Marihuana.“
Percy überlegte kurz, ob er den Keks auf den Boden spucken sollte. Offiziell war er noch im Dienst, jederzeit konnte über das Funkgerät ein Fall hereinkommen. Percy schluckte den Rest der Kekse herunter und legte die angebissenen Reste zurück auf das Tablett.
„Oma, hast du gerade deinem Enkel, einem Detective im Dienst, mit Haschkeksen gefüttert?“
„Sind gut, oder?“
„Ja aber ... Oma!“
„Sehr gut. Dann kann ich die Kekse meinen Gästen servieren“, sagte seine Oma. „Raus mit dir, Percy. Gleich kommen ein paar neue Kunden, die meinen Vertrieb übernehmen wollen. Ich wollte nur kurz sehen, ob es dir gut geht.“
„Mir gut geht?“
„Natürlich. Du bist doch mein absoluter Lieblings- Enkel. Nicht wie deine doofe Cousine, die sich von diesem Greifvogel hat fressen lassen.“
„Oma!“, protestierte Percy.
„Ach, wenn es doch stimmt. Auch wenn Herr Schnabel ewig neben uns gewohnt hat, war er dennoch ein natürlicher Feind. Es ist immer noch schade um den Rasenmäher, den er geliehen und nie zurückgebracht hat. Um deine Cousine eher weniger.“
„Oma!“
„Ach hör doch auf“, sagte sie und winkte ab. „Die wusste doch nicht mal, an welchem Ende ihres Körpers ihr Schwanz saß.“
„Ich muss ...“, setzte Percy an und begann heftig zu blinzeln.
„Du musst was, Schatz? Auf den Topf? Ist dir übel?“
„Nein. Ich muss“, sagte Percy wieder und drehte sich um. Er griff nach dem Verschluss des Koffers, der sanft wie Butter einrastete und ihm mit einem Klack versprach, sich nie wieder ohne sein Einverständnis zu öffnen. Dann nahm er den Koffer unter den Arm und drehte sich zu seiner Oma um.
„Du kannst doch nicht einfach so mein Gewehr mitnehmen. Das hat teuer Geld gekostet!“
„Kann ich, will ich und werd ich“, sagte das benommene Erdmännchen. „Ich muss nach Hause, bitte entschuldige mich, Omimi.“
„Och, so hast du mich nicht mehr genannt, seitdem du klein warst“, sagte sie