Mississippi-Bilder. Gerstäcker Friedrich
den Weg glitt. Er blieb stehen und rief sie mit unterdrückter Stimme an, aber keine Antwort erfolgte, und bald hatte er das Häuschen erreicht, das schon von den Männern geräuschlos umzingelt war, während die nichts Böses ahnenden Bewohner sich noch bei dem matten Schein der Lampe mit leiser Stimme unterhielten, und dann und wann ein leises Schluchzen durch die stille Nacht drang. Willis trat jetzt vor, und mit dem starken Ende einer ungeheuren ledernen Negerpeitsche, die er unterwegs mitgenommen, an die Tür schlagende, verlangte er Einlass. Einen Augenblick herrschte Totenstille; erst auf seine zweite Aufforderung ertönte die Stimme der Alten, die ihn ruhig bedeutete, weiter zu gehen – es sei Nacht und sie mache keinem Fremden die Tür auf, da sie nur zwei einzelne Frauen wären.
„Das wissen wir besser, Du verwünschte Hexe!“ rief jetzt Willis mit voller Stimme, indem er mit aller Kraft einen Schlag gegen die Tür führte, „öffne augenblicklich, oder wir reißen Dir Dein morsches Dach über dem Kopfe zusammen!“
Die Übrigen waren jetzt ebenfalls von allen Seiten hinzugetreten, und das Haus eng einschließend, schienen sie die Drohung im wahren Sinne des Wortes ausführen zu wollen, als der Riegel zurückgeschoben wurde. Ohne das Öffnen der Tür abzuwarten, sprang Willis mit aller Gewalt gegen dieselbe, und diese aufstoßend, warf er sich mit solcher Gewalt gegen den Kopf der Mulattin, dass die Unglückliche, von dem Schlage betäubt, besinnungslos zurücktaumelte und niederstürzte. Laut aufschreiend, warf sich das Mädchen über den Körper der Mutter; ihrer jedoch wenig achtend, stürmte, so schnell es ihnen der enge Eingang erlaubte, ein Teil der Verfolger in das Gemach, um ihr Opfer zu erfassen.
Vergebens sahen sie sich indessen nach ihrer Beute um, vergebens leuchteten sie in jeden Winkel, hinter jeden Kasten, vergebens warfen sie selbst die Betten der armen Frauen auf den Boden, den vielleicht darunter Versteckten zu entdecken, er blieb spurlos verschwunden, und drohend wandte sich jetzt Willis an die arme Alte, die sich, noch betäubt von dem Schlage, erschöpft an die Schulter ihrer Tochter lehnte.
„Wo ist der Bursche, der noch vor wenigen Minuten hier war? Willst Du reden, Alte, oder ich drehe Dir den Hals um!“
„Lasst meine arme Mutter, Herr!“, rief das Mädchen, den schon nach ihr ausgestreckten Arm des wütenden Willis zurückstoßend. „Lasst sie, Ihr habt sie ja schon beinahe getötet!“
„Nigger!“, rief dieser, sich zornig emporrichtend. „Willst Du mir sagen, was ich tun oder lassen soll?“ Und mit der Peitsche ausholend, wollte er eben das furchtlos ihm gegenüberstehende junge Mädchen niederschlagen, als er seinen Arm von Guston gefasst und festgehalten fühlte, der ihm leise zuflüsterte: „Du schlägst das Mädchen n i c h t, oder Du hast es mit mir zu tun!“
„Was zum Henker mischst Du Dich in mein Tun?“, fuhr Willis heftig gegen den Freund herum; aber dessen ernstem Blicke begegnend, ließ er den Arm sinken und sagte halb lachend, halb ärgerlich: „Warum ist das dumme Ding so trotzig? Ich wollte ihr übrigens kein Leid tun, sie soll nur sagen, wo der Bursche ist, der noch vor wenigen Minuten hier war!“
Einen ängstlichen Blick warf das junge Mädchen auf Guston, um zu erforschen, ob er sie verraten habe; bald aber schien sie diese Furcht aufzugeben, denn sie schüttelte leise mit dem Kopfe und hauchte: „Ich habe niemand gesehen.“
„Lügen!“, riefen jetzt mehrere Stimmen aus dem Haufen. „Er war hier, wir wissen es; seit wann ist er fort?“
„Ich habe niemand gesehen“, wiederholte leise das zitternde Mädchen.
„Gentlemen!“, sagte jetzt Guston, sich an die ihn dicht umdrängenden Männer wendend. „Sie sehen, der Mann ist fort, wohin, darf uns für den Augenblick sehr gleichgültig sein, denn wie könnten wir dem Einzelnen in der stockfinsteren Nacht folgen? Also kommen Sie mit mir in die Stadt zurück, und wir wollen noch ein halb Stündchen zusammen trinken, i c h traktiere, morgen haben wir vielleicht mit dem Auffinden des Burschen mehr Glück. Wer geht mit mir?“
„Nun, ich denke“, sagte der Sklavenhändler, indem er sich mit großer Seelenruhe von einer breiten Tafel Kautabak ein ungeheures Stück abschnitt und in den Mund schob, „wir gehen alle.“
„Ja, lasst und gehen; zum Teufel mit dem Nigger!“ riefen alle untereinander und drängten sich wieder aus der Tür hinaus, um im Wirtshaus ihr Gelage aufs Neue zu beginnen. Guston verließ das Haus zuletzt, und das Mädchen folgte ihm mit dem tränenden, dankbar ihm zugekehrten Blick – sie sah in ihm den Retter ihrer Mutter.
Lachend und jubelnd wanderten die Männer der Stadt zu und erreichten bald wieder das Haus, wo Guston, seinem Versprechen gemäß, sie auf seine Kosten trinken ließ, so viel sie wollten. Die Unterhaltung war sehr laut, und besonders schimpfte und fluchte der Sklavenhändler auf den Entflohenen, den er versicherte, mehr als zwanzigmal gesehen, immer aber für einen Weißen gehalten zu haben, als plötzlich der Doktor mit verschlafenem, bleichen Gesicht, sich dehnend und streckend, in der Tür erschien.
Mit allgemeinem Jubel wurde er empfangen und vernahm jetzt, mit Erstaunen über die unerhörte Frechheit des Niggers, die Erzählung dessen, was, während er schlief, vorgefallen war.
„Der N i g g e r!“, rief er endlich ganz entrüstet aus. „Ich glaubte selbst, er sei einer jener dunkelhäutigen Creolen, die man oft kaum von Mulatten, viel weniger von Quadroonen unterscheiden kann – aber Ihr habt ihn doch gleich geknebelt und abgestraft, oder wenigstens in Sicherheit gebracht?“
Etwas kleinlaut erzählte jetzt Willis, dass er ihnen entkommen sei, sie aber ernstliche Nachforschungen am anderen Morgen anstellen wollten.
„Ich habe einen vorzüglichen Negerhund“10, fuhr er in seinem Argumente fort, „und wenn wir den auf die Spur bringen…“
„Bah!“, rief der Doktor ärgerlich. „Glaubt Ihr, der wird sich lange hier in den Büschen oder Sümpfen herumtreiben, wo so viel B o o t e am Ufer liegen? Der stiehlt diese Nacht eins, wenn das nicht schon jetzt geschehen ist, und hat bis morgen früh wenig Spuren zurückgelassen, dafür steh‘ ich. Nun“, tröstete er sich endlich, „er kommt uns vielleicht ein anderes Mal wieder in den Wurf, und – ich kenne den Burschen jetzt. – Aber glaubt Ihr, ich sei ein Pulvermagazin, dass Ihr Euch hier alle um mich her drängt und mich so trocken haltet, als ob mich ein Tropfen Spiritus verderben könnte? He, Wirt! Etwas zu trinken! Ihr habt doch mein Mädchen ordentlich aufgehoben?“
„Alles in Sicherheit“, entgegnete dieser, dem Doktor ein Glas und eine Flasche hinschiebend, „aber, Doktor, die Fährleute werden gleich zum letzten Mal hinüberfahren. Punkt zehn Uhr will Mr. Taylor am Ufer sein.“
„Mr. Taylor“, sagte der Doktor, sein Glas halb füllend und leerend, „mag zu – Grase gehen! – Es wird aber doch besser sein, ich fahre mit; so bringt das Mädchen herunter und lasst sie sich bereit halten.“
„Ihr Bündel liegt in der Küche“, sagte der Yankee, „viel hat sie zwar nicht, aber…“
„Ihr Yankees werdet auch einen Sklaven viel Plunder mitnehmen lassen!“, unterbrach ihn lachend der Doktor. „Da müsste man Euch nicht kennen; nun, wenn sie fleißig und ordentlich ist, kaufe ich ihr ein paar neue Fähnchen.“
Guston hatte, an das Billard gelehnt, eine Zeit lang starr vor sich niedergesehen und dem Gespräch gehorcht; als er aber hörte, dass das Mädchen vor die Tür geführt ward und der Doktor sich selbst zum Überfahren rüstete, trat er auf diesen zu und bat ihn, einen Augenblick mit ihm zu gehen, da er ihm etwas zu sagen habe. Der Doktor folgte, und beide standen bald in der sternhellen Nacht auf der offenen, menschenleeren Straße unfern des unglücklichen Mädchens, das, die Hände auf dem Rücken befestigt, an einen Balken, der eigentlich zum Anhängen der Pferde diente, gebunden war und, an diesen gelehnt, in ihrem dünnen weißen Kleide traurig empor zu den goldenen Sternen blickte.
„Nun, was wollen Sie von mir, Sir?“, fragte endlich der Doktor, nur wenige Schritte von der Sklavin stehen bleibend.
„Ich wünschte, Ihnen dies Mädchen abzukaufen“, antwortete Guston fest und ruhig.
„Den Teufel auch!“, rief erstaunt der Doktor. „Was fällt Ihnen auf einmal ein?“