Mississippi-Bilder. Gerstäcker Friedrich

Mississippi-Bilder - Gerstäcker Friedrich


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damit, dass er, auf- und abgehend, überdachte, wie er die beiden, wenn er sie erst wieder eingefangen hätte, züchtigen wollte.

       Der Master war indessen auch zu ihm herangetreten, und den Doktor in seinem Eifer und seinen Gestikulationen unterbrechend, rief er ihm zu, einen Augenblick ruhig zu sein, denn er glaube, er höre Ruderschläge. Sie horchten jetzt mit gespannter Aufmerksamkeit und vernahmen deutlich das regelmäßige Einschlagen von Rudern in das Wasser; es konnten aber nicht die Flüchtlinge sein, denn es kam von Bayou Sara herüber, und der Steuermann brach endlich das Schweigen, indem er versicherte, dass es das Segelboot wäre.

       „Gut“, rief der Master, „die wollen wir doch bei unserer Jagd zu Hilfe rufen, es müsste dann mit dem Bösen zugehen, wenn wir das Pärchen nicht einfingen, ehe es Waterloo erreichen kann.“ Und die Hände trichterförmig an den Mund haltend, schrie er mit kräftiger Stimme sein „Boot ahoiii!“ über die ruhige Stromfläche hinüber.

       Schon sein zweiter Ruf wurde von drüben beantwortet, und bald tönte auch auf sein langsam und deutlich ausgestoßenes „Kommt herüber!“ ein befriedigendes „Ay – ay!“ zurück.

       Die Dampffähre schoss unterdessen mit bedeutender Schnelle an der Sandbank hin, gleichwohl sich etwa hundertfünfzig Schritt von ihr entfernt haltend, um nicht aufzulaufen, und aufmerksam beobachteten die Männer den zwischen ihnen und der Bank liegenden Wasserstreifen, da sie nicht ohne Grund vermuteten, dass der Entflohene eher versuchen würde, ihnen unter dem Schutze der Nacht zu entgehen, als sich auf seine eigene Kraft zu verlassen und die Mitte des Stromes zu suchen, wo ihm, wenn entdeckt, auch nicht die mindeste Hoffnung auf Entrinnen geblieben wäre.

       Schon hatten sie sich auf wenige hundert Schritt der kleinen Insel genähert, als der Master plötzlich des Doktors Arm fasste und gerade sich gegenüber nach der Sandbank deutend, die hier etwa drei Fuß über die Wasserfläche herausragte, ausrief: „Dort sind sie, so wahr ich ein Christ bin; seht Ihr dort?“

       „Wo? Wo?“, rief der Doktor, der nur das dunkle Boot mit den Augen gesucht hatte.

       „Dort der weiße Punkt“, rief der Master, „das Kleid des Mädchens!“, und ohne eine weitere Antwort abzuwarten, sprang er mit einem Satz an das Steuerrad, und das Boot schnell wieder stromauf wendend, führte er es gerade auf den weißen Punkt zu. Der Flüchtige war aber hier allerdings in der Hoffnung angelaufen, unter dem mehrere Fuß hohen steilen Sandufer unbemerkt liegen zu bleiben und, wenn die Fähre vorbeigefahren wäre, schnell die Mitte des Stromes zu erreichen, wonach er dann, stromab, bald aus dem Bereiche augenblicklicher Verfolgung kommen konnte.

       „Jetzt haben wir sie!“, rief der Master aus, als er sich, etwas näher rückend, wirklich überzeugt hatte, dass es die Flüchtigen waren. „Hier ist das Wasser tief, und ich müsste mich sehr irren, wenn wir nicht an den Burschen dicht heran laufen könnten; auf alle Fälle wollen wir’s versuchen.“

       Die armen Flüchtigen befanden sich unterdessen in einer gar misslichen Lage, denn in der Tat hätte die nicht sehr tief im Wasser gehende Dampffähre gerade an dieser Stelle an sie heran laufen können. In diesem kritischen Augenblick verließ aber den in der Schule des Unglücks Gestählten die so nötige Geistesgegenwart nicht; mit raschen Ruderschlägen flog er, etwa fünfzig Schritt, seinen Verfolgern gerade entgegen, und als diese schon, in der Hoffnung, ihn bald in ihrer Gewalt zu haben, laut aufjubelten, der Doktor sogar ein Tau zurechtlegte, um den „damned nigger“, wie er sich ausdrückte, zu knebeln, schoss dieser plötzlich, einen schmalen Streifen leichten Wassers benutzend, der sich zwischen zwei langen Sandzungen hinzog, in seinem kleinen Boote rechts von der Fähre ab, die gleich nachher, durch das nur wenige Zoll tief gehende Boot irre geführt, in zu seichtes Wasser kam und auflief. Im nächsten Augenblick waren die Flüchtigen in der alles umlagernden Finsternis verschwunden.

       Da schallte plötzlich ein nahes, deutliches „Hallo!“ herüber, und das angerufene, von Bayou Sara kommende Segelboot lag wenige Augenblicke später neben dem auf dem Sande sitzenden Dampffährboote.

       „Hallo!“, rief noch einmal der im Stern des ersten behaglich hingestreckte Creole. „Was flucht Ihr denn hier so gotteslästerlich durch die stille Nacht? Das ist der Doktor, nicht wahr?“

       „Beauvais!“, rief dieser. „Euch sendet uns der Himmel!“

       „Wohl durch Euer Beten erweicht?“, lachte Beauvais.

       „Kommt schnell heran, nehmt uns auf; mein Negermädchen ist mir hier vom Boote weg durch den weißen Nigger gestohlen, und vor kaum drei Minuten sind sie erst fort, wir müssen sie einholen.“

       „Kommt herein denn, schnell!“, rief der Creole, das Boot an die Fähre anlenkend. „Und wenn meine vier Burschen den bleichen Schurken nicht in zehn Minuten haben, so will ich mein Leben lang keinen Gumbo12 mehr anrühren, und Doktor“, fuhr er lachend fort, „das würde mir so sauer werden als Euch, wenn Ihr dem Brandy entsagen solltet.“

       Mit unglaublicher Schnelle verließ das Segelboot, das den Doktor, den Master und den anderen Pflanzer aufgenommen, die gestrandete Fähre und flog der Mitte des Stromes zu, um die Flüchtigen einzuholen.

       „Ich höre das Ruder!“, rief der Master, der, die Hände hinter die Ohren haltend, einen Augenblick gelauscht hatte. „Ich höre das Ruder deutlich, gerade unter jenem hellen Stern. So – noch ein wenig rechts!“, rief er, als Beuvais schnell seinen Lauf danach änderte. „So – jetzt sind wir auf der Spur; nun, meine Burschen, streckt Euch!“

       Das Boot berührte kaum die Wasserfläche und hoch auf spritzte der weiße Schaum am Bugspriet.

       Unterdessen war Alfons nicht müßig gewesen; große Schweißtropfen perlten ihm an der durch die übermäßige Anstrengung des Ruderns erhitzten Stirn, und lange war kein Wort zwischen den Liebenden gewechselt; jetzt brach Selinde das Schweigen und flüsterte leise und bebend:

       „Ich habe Dich verraten, Alfons, mein weißes Kleid zeigte den Verfolgern unser Versteck – oh, wie bin ich unglücklich!“

       „Mein armes Mädchen“, tröstete sie Alfons, ohne einen Augenblick in seiner Arbeit nachzulassen, „beruhige Dich, ich entgehe ihnen dennoch; wäre nur das Segelboot nicht; ich hörte aber, wie sie es anriefen, und ich fürchte, wir werden landen und uns im Sumpfe verbergen müssen. Ich möchte ihnen nicht gern auf dem Wasser in die Hände fallen.“

       „Aber sie müssen uns hören, Alfons“, seufzte das Mädchen, „die bösen Ruder knarren so, das tönt gar weit über das Wasser; ich höre das Boot ebenfalls hinter uns.“

       „Ich habe nichts, um die Ruder zu umwickeln – jeder Augenblick, den ich verzögere, bringt uns dem gewissen Verderben näher“, sprach leise Alfons.

       „Mein Kleid hat uns verraten, mein Kleid mag uns retten“, lächelte das Mädchen unter Tränen hervor, riss das dünne Zeug in Streifen herunter und legte es unter die Ruder. Geräuschlos glitt jetzt das Boot über die ruhige Wasserfläche, und leise betend sank die schlanke Gestalt des armen Kindes im Stern des kleinen Bootes nieder.

       „Verdamm‘ die Hunde!“, rief der Doktor, als die Neger einen Augenblick rasteten und alle aufmerksam, aber vergebens horchten, um aufs Neue einen Ruderschlag der Entflohenen zu hören. „Nichts rührt sich mehr.“

       „Dort unten treibt ein Flatboot“13, rief der Master, „vielleicht haben die Leute darauf etwas von den Flüchtigen gesehen.“

       Sie steuerten, als kein Laut weiter gehört ward, schnell auf das unbehilfliche Fahrzeug zu, das sie auch gar bald erreichten, und der Doktor rief es ohne weiteres an:

       „Habt Ihr ein Boot gesehen?“

       „Etwa hundert Schritt an uns vorbei ruderte einer.“

       „Welche Richtung?“

       „Mehr nach dem Lande zu.“

       „Wer saß darin?“

       „Weiß nicht“, rief der Flatbootmann. „Ihr sucht einen weggelaufenen Sklaven?“

       „Jawohl, Freund“, antwortete Beauvais,


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