TARZAN IN GEFAHR. Edgar Rice Burroughs
ihm zur Verfügung stand, sein langes Seil. Er lehnte sich weit zurück und warf die kräftige Schlinge mit der Genauigkeit langer Gewohnheit nach der drohenden Gestalt, die ihre schwere Keule über Ta-dens Kopf erhoben hatte. Eine kleine Weile ruhte die Hand mit dem Seil, während die Schlinge ihrem Ziel entgegensauste, dann erfolgte eine rasche Bewegung des rechten Handgelenks, und die Schlinge zog sich zusammen, als sie ihrem Opfer über den Kopf fiel. Darauf zerrte Tarzan mit beiden Händen an dem Seil.
Mit einem entsetzten Schrei fiel der Waz-don über Ta-den hinweg kopfüber in den Abgrund. Tarzan stemmte sich dem kommenden Ruck entgegen, wenn der Körper der Kreatur die volle Länge des Seils hinabgestürzt sein würde. Dann durchbrach der letzte Schrei des Mannes die augenblickliche Stille. Unerschüttert von der Zugkraft des plötzlich aufgehaltenen Gewichtes am Ende seines Seiles, holte Tarzan den Körper rasch zu sich hinauf, denn er konnte es sich nicht leisten, eine so kostbare Waffe zu verlieren.
Während der wenigen Sekunden, die inzwischen vergangen waren, waren die Waz-don-Krieger regungslos geblieben, als ob sie vor Staunen oder Schrecken versteinert wären. Einer von ihnen fand nun seine Stimme wieder. Er warf dem fremden Eindringling Wutschreie entgegen und kletterte auf den Affenmenschen zu.
Dabei ermunterte er seine Gefährten, anzugreifen. Dieser Mann war Tarzan am nächsten. Wäre er nicht gewesen, so hätte sich Tarzan schnell an die Seite Ta-dens schlagen können, wie dieser ihm zurief. Tarzan hob den Körper des toten Waz-don über seinen Kopf und hielt ihn dort ruhig für ein paar Sekunden. Das Gesicht zum Himmel gewandt, stieß er den schrecklichen Kampfesschrei der großen Affen aus, und dann warf er den Körper mit der ganzen Kraft seiner Muskeln auf den emporkletternden Krieger. Die Wucht des Aufpralls war so gewaltig, dass der Waz-don nicht nur hinabgerissen wurde, auch die zwei Haken, an denen er sich gehalten hatte, brachen aus ihren Sockeln.
Als die beiden Körper, der lebende und der tote, am Fuß des Felsens aufprallten, erhoben die Waz-don ein großes Geschrei. »Jad-guru-don! Jad-guru-don!«, schrien sie, und dann: »Tötet ihn! Tötet ihn!
Jetzt stand Tarzan in der Öffnung neben Ta-den. »Jad-guru-don!«, wiederholte der andere. »Der schreckliche Mann! Tarzan, der Schreckliche! Sie mögen dich vielleicht töten, aber sie werden dich niemals vergessen.«
»Sie werden mich nicht... Was haben wir denn hier?« Tarzan wurde von einem plötzlichen Ausruf unterbrochen, als zwei Gestalten, in enger Umschlingung, durch die Öffnung der Höhle auf den freien Vorplatz rollten. Einer davon war Om-at, der andere wohl ein Geschöpf seines eigenen Stammes. Die beiden waren offensichtlich gleich stark und genauso sicher war die Tatsache, dass jeder beabsichtigte, den anderen zu töten. Sie kämpften nahezu schweigend, nur ließ der eine oder andere ein leises Knurren hören, das eine erlittene Verletzung anzeigte.
Tarzan sprang vor, um seinem Gefährten im Kampf beizustehen, aber ein keuchender Zuruf von Om-at hielt ihn zurück. »Weg!«, schrie er. »Das ist sein Kampf.« Der Affenmensch verstand und trat zur Seite.
»Es ist ein Häuptlingskampf«, erklärte ihm Ta-den. »Dieser Bursche muss Es-sat, der Häuptling sein. Wenn Om-at ihn ohne Hilfe tötet, kann er Häuptling werden.«
Tarzan wusste es. Es war das Gesetz seines eigenen Dschungels - das Gesetz des Stammes von Kerchak, dem Affenbullen - das uralte Gesetz des primitiven Menschen, der den Einfluss der Zivilisation brauchte, um die tückischen Waffen und den Giftbecher einzuführen.
Tarzans Aufmerksamkeit wurde plötzlich an den äußeren Rand des Vorplatzes gelenkt. Über ihm erschien das Gesicht eines Kriegers. Tarzan sprang nach vorn, um den Mann zurückzuhalten, aber Ta-den war schon vor ihm da.
»Zurück!«, schrie er dem Krieger entgegen. »Es ist gund-bar. Der Bursche schaute prüfend auf die beiden Kämpfer und wandte sich dann nach unten zu seinen Gefährten.
Zurück!«, schrie er. Es ist gund-bar - Häuptlingskampf - zwischen Om-at und Es-sat.« Dann sah er wieder auf Ta-den und Tarzan. »Wer seid ihr?«, fragte er.
»Wir sind Om-ats Freunde«, gab Ta-den zurück.
Der Bursche nickte und verschwand dann unter dem vorhängenden Felsen.
Der Kampf zwischen Om-at und Es-sat ging auf dem Vorsprung mit unverminderter Wildheit weiter. Tarzan und Ta-den hatten Mühe, sich aus dem Ringen der beiden herauszuhalten, die mit Händen, Füßen und den starken Schwänzen aufeinander einschlugen. Es-sat war unbewaffnet - dafür hatte Dunkle Blume gesorgt - aber an Om-ats Seite hing sein Messer in der Scheide, welches er jedoch nicht zu ziehen versuchte. Das wäre eine Verletzung ihres wilden und primitiven Gesetzes gewesen, denn der Häuptlingskampf durfte nur mit den Waffen der Natur ausgefochten werden.
Ab und zu trennten sie sich für eine Sekunde, aber nur, um dann mit der ganzen Wildheit und beinahe der Kraft verrückter Bullen aufeinander los zu stürzen. Plötzlich brachte einer den anderen zu Fall, aber in der gegenseitigen Umklammerung konnte nicht einer allein fallen - Es-sat zog Om-at mit zu Boden, als er dicht neben dem Rand des Felsenvorsprunges stürzte. Sogar Tarzan hielt den Atem an. Dort schwankten sie beide ein paar Augenblicke gefährlich hin und her, und dann geschah das Unvermeidliche - beide rollten eng umklammert über den Rand und verschwanden aus dem Blickfeld des Affenmenschen.
Tarzan stieß einen gepressten Seufzer aus, denn er hatte Om-at gern gemocht. Dann sprang er mit Ta-den zum Rand des Vorsprungs und schaute hinunter. Weit unten mussten im trüben Licht der Dämmerung zwei reglose Gestalten liegen. Aber zu Tarzans Verblüffung bot sich ein ganz anderer Anblick seinen Augen: Da waren zwei Gestalten voller Leben, die sich nur ein paar Füße unter ihnen immer noch bekämpften. Mit je zwei Gliedern an die Haken geklammert - eine Hand und ein Fuß, oder ein Fuß und der Schwanz - schienen sie auf der senkrechten Wand ebenso sicher zu sein, wie auf dem ebenen Boden. Jetzt hatte sich nur ihre Taktik ein wenig geändert. Jeder hatte nur ein Ziel: seinen Widersacher von seinem Halt zu lösen, um ihn dem sicheren Tod entgegenzuschleudern. Es stellte sich schon sehr bald heraus, dass Om-at, der jünger war und mehr Ausdauer besaß als Es-sat, im Vorteil war. Der Häuptling konnte sich nur noch auf die Verteidigung beschränken. Indem er Es-sat mit seiner mächtigen Hand beim Gürtel hielt, drängte Om-at seinen Feind von dem Vorsprung. Mit der anderen Hand und einem Fuß brach er schnell erst den einen, dann den anderen Halt Es-sats und unterstützte seinen Angriff mit fürchterlichen Schlägen in die Magengrube seines Feindes. Es-sats Widerstand wurde rasch schwächer. In der Gewissheit des bevorstehenden Todes kam - wie bei jedem Feigling und Tyrann - ein Zusammenbruch der äußeren Fassade, die so lange als Mut und Tapferkeit gegolten hatte, und damit brach die Achtung vor den Gesetzen zusammen. Es-sat war jetzt nicht mehr Häuptling - er war nur noch ein winselnder Feigling, der um sein Leben bettelte. In tödlicher Angst klammerte er sich an Om-at, an die nächsten Haken, und suchte jeden Halt, der ihn vor dem fürchterlichen Fall bewahren konnte. Als er versuchte, die Hand des Todes beiseite zu schieben, deren kalte Finger er schon auf seinem Herzen zu spüren glaubte, suchte sein Schwanz die Seite Om-ats und den Griff des Messers, das dort hing.
Tarzan sah es. Im gleichen Augenblicke, als Es-sat die Klinge aus der Scheide zog, sprang er katzengleich zu den Haken neben den beiden kämpfenden Männern. Es-sats Schwanz holte nach hinten zu dem feigen, tödlichen Stoß aus. Jetzt sahen auch viele andere die verruchte Tat und ein großer Schrei der Wut und der Verachtung hob sich aus den wilden Kehlen. Aber als die Klinge ihrem Ziel entgegensauste, fasste der Affenmensch das haarige Glied, das sie hielt, und im selben Augenblick stieß Om-at den Körper Es-sats mit solcher Wucht von sich, dass der geschwächte Halt vollends gebrochen wurde und er wie ein kurzer Meteor schreiender Furcht dem Tod entgegenstürzte.
4. Tarzan, der Schreckliche
Als Tarzan und Om-at zu dem Vorplatz der Höhle der Dunklen Blume zurückstiegen und sich zu Ta-den stellten, waren sie auf alles gefasst, was auch immer dem Tod Es-sats folgen mochte. Zu diesem Zeitpunkt berührte die Sonne, die hinter den östlichen Hügeln emporstieg, auch die Gestalt eines Schlafenden in einer fernen, dornenbedeckten Steppe, und weckte ihn zu einem neuen Tag mühsamer Verfolgung auf einer schwachen, rasch verschwindenden Spur.
Eine Weile herrschte Schweigen im Tal des Menschen. Die Männer des Stammes warteten. Vor dem toten Kadaver, der einmal ihr Häuptling gewesen, sahen sie