Nach Amerika! Bd. 1. Gerstäcker Friedrich

Nach Amerika! Bd. 1 - Gerstäcker Friedrich


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oh ich armes, unglückseliges Weib!»

       «Aber Therese, Du bist unbillig, ich habe Dir doch angeboten heute Nachmittag mit mir nach dem Roten Drachen hinauszugehen.»

       «Weil Du wußtest, daß das nichtsnutzige Geschöpf von einer Wäscherin mir mein Kleid nicht vor vier Uhr bringen würde», zischte die Frau.

       «Aber Du hast ja noch andere.»

       «Am Sonntag zum Skandal der anderen Menschen mit einer solchen F a h n e zu einem anständigen Vergnügungsort hinausziehen, nicht wahr ? - D i r läge natürlich nichts daran, was die Leute über Deine Frau sagten ; aber Du bist auch an anderen Orten lieber wie zu Hause, und statt Deiner Frau einmal ein paar Stunden Gesellschaft zu leisten und nachher mit ihr zusammen auszugehen, mußt Du natürlich grad ins Wirtshaus laufen und ein bißchen vor Mitternacht dann wieder nach Hause kommen.»

       «Liebes Kind, es ist jetzt halb neun Uhr», sagte der Aktuar ruhig, «dann aber, Therese», fuhr er nach kleinem Zögern mit einer fast gewaltsamen Anstrengung fort, «bist Du teilweise selbst mit schuld daran, d a ß ich mir eben außer dem Hause mein Vergnügen suchen m u ß.»

       «I c h ?» wollte die Frau erstaunt rufen, der etwas zu hoch eingesetzte Ton blieb aber total aus, und Ledermann sah nur, mit der entsprechenden Gestikulation, das zum Höchsten erstaunte Gesicht der Gattin. Dadurch aber vielleicht, und durch die ungewöhnliche, freilich erzwungene Stille, etwas mutiger gemacht, fuhr er entschlossen fort:

       «Ja, liebes Kind, Du, denn anstatt Deinem Mann, wenn er von seinen Berufs-geschäften ermüdet nach Hause kommt, den Aufenthalt daheim zu einem freundlichen zu machen, in dem er gerne bleibt, läßt Dich Dein unglückseliges heftiges Temperament nicht ruhen noch rasten, sondern Du m u ß t irgendeine Gelegenheit vom Zaune brechen, mit mir zu zanken. Gebricht es Dir aber vollkommen an Stoff, was jedoch nur in höchst seltenen Fällen zu sein scheint, so bist Du mürrisch und verschlossen, machst ihm ein finsteres, verdrießliches Gesicht und sprichst kein Wort.»

       Sprachlos nur vor Zorn und Staunen über die unerhörte bodenlose Frechheit, hatte die Frau indessen dem heute so redseligen Gatten (der aber nicht dabei zu ihr aufzuschauen wagte, sondern bald die rechte, bald die linke Ecke der Stube mit den Augen suchte) angesehen. Es war eine allerdings noch jugendliche schlanke, aber eher magere als volle Gestalt, die Frau Aktuar Ledermann, mit etwas vorstehenden, wenigstens stark markierten Backeknochen und durchdringend scharfen, wenn auch kleinen, lichtgrauen Augen, die Lippen schmal und um den Mund in vielen kleinen Fältchen zusammengezogen, das Kinn jedoch etwas zurückstehend, was ihr ein besonderes und n i c h t eben angenehmes Profil gab. Auch in ihrem Anzug ließ sie sich zu viel gehen; der Zauber reinlicher Kleidung fehlte ihr, der selbst der ärmlichsten Tracht etwas Nettes, Freundliches gibt; die Krause, die das oben am Hals dicht anschließende Kleid einfaßte, war schon mehrere Tage getragen und verdrückt, ebenso zeigten die Manschetten Spuren längeren Dienstes, und die Haube saß ihr verschoben und zu viel zurückgedrängt auf dem nicht überreich mit Haaren bedeckten Scheitel. Frau Aktuar Ledermann war nicht hübsch, und der Affekt, der ihre Züge in diesem Augenblick mehr entstellte als belebte, nahm ihnen leider auch die letzte Spur sanfter Weiblichkeit, die sonst doch wohl noch hier und da darin verborgen lag. Der bis jetzt mehr durch Erstaunen als Mäßigung nieder-gekämpfte Zorn gewann aber auch endlich die Oberhand, und während die Anstrengung, sich bei ihrer Heiserkeit gehört zu machen, ihr Antlitz fast dunkel färbte, keuchte sie, die Arme in die Seite gestemmt, den Oberkörper gegen den überrascht einen Schritt zurückweichenden Gatten vorgebeugt:

       «Spreche kein Wort, h e ? Sagt der Herr? – Prahl da ,wenn er von B e r u f s-geschäften nach Hause kommt’ – spreche kein Wort? – Sitzt in der Kneipe den ganzen gesegneten Nachmittag – im Roten Drachen, und das nennt er Berufsgeschäfte; vertrinkt das Geld, das wir hier zum notwendigsten Leben brauchten, und wirft mir jetzt meine Heiserkeit vor, die mir der Himmel geschickt hat, oder mein böses Glück, dem ich auch einen solchen Mann verdanke – daß ich kein Wort spreche und verdrießlich bin. Ich soll wohl t a n z e n, he? – Wenn mir das Herz zum Zerspringen voll ist vor Jammer und Elend daheim, und wenn ich den ganzen Tag dasitze und brüte und denke, wie wir auskommen wollen mit den paar Groschen, die zum Sterben und Verhungern zu viel, zum Leben aber zu wenig sind. Dann soll ich nachher, wenn der gestrenge Herr sein Gesicht zeigt, lachen und vergnügt und lustig sein, nur damit der Haustyrann sich nicht unbehaglich fühlt in s e i n e n vier Wänden.»

       Heftiger Husten unterbrach hier die Zornesrede der Frau, der die übermäßig angestrengte Luftröhre den Dienst versagte, und der Aktuar Ledermann nahm still und schweigend, den Moment benutzend, ein Licht von dem kleinen Seitenschrank, zündete es an der Lampe an und verließ kopfschüttelnd und seufzend das Gemach, sich auf sein eigenes kleines Stübchen zurückzuziehen.

      Viertes Kapitel

      Franz Loßenwerder.

       In Heilingen, in der Glockenstraße, stand ein vortreffliches Weinhaus, in dem die wohlhabenderen Bürger abends gewöhnlich zusammenkamen und ihr Fläschchen, aus denen auch oft zwei oder drei wurden, tranken. Das Lokal war ziemlich gemütlich und, dem Zweck entsprechend, in eine Menge kleiner Zimmerchen abgeteilt, die teils durch wirkliche Türen und Verschläge, teils durch Vorhände voneinander getrennt lagen, einzelnen Gesellschaften zu gestatten, eben einzeln zu bleiben und ihr Glas, ungestört von dem Nachbar, zu trinken.

       Das Haus hieß ‚Der Pechkranz’ nach einer alten Sage, die der Wirt sehr gern mit der Heilinger Chronik belegte, und die noch in dem dreißigjährigen Kriege spielte. Ein über der Eingangstür in neuerer Zeit erst aus Stein gehauener Bacchus hielt auch in der einen Hand einen Thyrsusstab19 und in der anderen einen Pechkranz, in höchst wunderlicher Weise Sage und Geschäft miteinander vereinigend. Die Allegorie war aber gar nicht so übel angebracht, und hätte sich auch schon ohne Tilly recht leidlich und genügend erklären lassen, denn Bacchus hatte hier schon in der Tat in manchen Kopf seinen Pechkranz hineingeworfen, daß es lichterloh zum Dache hinausbrannte, ohne weiter eben größeren Schaden anzurichten, als der alte Pechkranz in damaliger Zeit angerichtet haben sollte.

       Der Wirt war übrigens nicht in Heilingen geboren und erzogen, sondern ein Rheinländer, der sich hier erst vor einigen Jahren niedergelassen und durch gute Getränke auch bald gute und schlechte Kunden genug bekommen hatte. Seine Preise waren allerdings ein wenig teuer, «aber», sagten die Heilinger, «wer einmal Wein trinkt, dem darf es auch nicht auf einen Groschen dabei ankommen, wenn er nur echt und rein ist», und Wirt und Gäste befanden sich wohl dabei.

       Es war am Abend des nämlichen Tages, an welchem meine Erzählung beginnt, als die Gäste, die den Tag über meist auf Spaziergängen im Freien gewesen waren, anfingen einzutreffen, und die Kellner geschäftig herüber und hinüber sprangen, Wein und Speisen den Hungrigen und Durstigen zu bringen. Die kleinen Räumlichkeiten füllten sich nach und nach und selbst in dem großen Mittelsaal, der ungefähr das Zentrum des Ganzen bildete, hatten sich schon hier und da einzelne Gruppen gebildet, oder auch einzelne Gäste saßen in irgendeiner Ecke, ihre Flasche Wein vor sich, um auf eigene Hand, in ungeselliger Gemütlosigkeit, langsam Glas nach Glas zu leeren. Es ist das aber nicht die rechte Art, zu einer schönen Landschaft und einer guten Flasche Wein gehören mindestens zwei Personen, um beides recht und ordentlich zu genießen, die eine sich d a r ü b e r, die andere d a b e i auszusprechen; wenn man allein ist, geht mehr als der halbe Genuß von beiden verloren. Es gibt allerdings Menschen, die sich zufriedener fühlen, wenn sie alles allein genießen können, aber denen geh aus dem Weg; es sind Hypochonder oder Schlimmere, und der einzige Dank, den Du ihnen schuldig bist, ist dafür, daß sie sich eben auch von Dir zurückziehen. Nur wer niemand hat, an den er sich anschließen d a r f, wer allein und freundlos in der Welt dasteht und das Leid, das ihn drückt, allein tragen, die wenigen frohen Momente seines Lebens allein genießen m u ß, den bedaure und hilf ihm, wenn Du kannst, denn er ist der Unglücklichste von allen.

       Es mochte neun Uhr abends sein, als ein Bekannter von uns, der Kürschner-meister Kellmann, die Weinstube betrat und, sich überall umschauend, ob er nicht irgendeinen Freund träfe, zu dem er sich setzen könnte, in einer der Ecken eine bekannte Gestalt entdeckte. Aber er sah erst ein paar Sekunden wirklich aufmerksam dorthin, ehe er seinen Augen traute, und sagte dann, auf jenen losgehend


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