Die Pferdelords 10 - Die Bruderschaft des Kreuzes. Michael Schenk

Die Pferdelords 10 - Die Bruderschaft des Kreuzes - Michael Schenk


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Öffnung zwischen den Bergen nannte man den Spaltpass, auch wenn man nicht wusste, ob der Feind ihn jemals beschreiten konnte. Dort, wo der Spalt das Gebirge durchschnitt, bestreifte die Garde das Land. Eine neue Festung befand sich im Bau, belegt von einer starken Garnison. Die Aufgabe der Feste Nerianet würde darin bestehen, die umliegenden Dörfer zu schützen und jeden Feind aufzuhalten, der durch den Spaltpass kommen mochte.

      Die Lücke zwischen den Bergen des Uma´Roll war auch aus größter Entfernung zu sehen, und sie war es, die dem Alnoer Hendel als Orientierung diente.

      Hendel war ein Mann in den besten Jahren. Er hatte das heimatliche Dorf nach dem Beben verlassen, um sein Glück in der Königsstadt Alneris zu suchen. Wie sein Bruder Halpert hatte er vom Vater das Handwerk des Schmieds erlernt. Zusätzlich hatte er seine Künste in der großen Hauptstadt des Königreiches verfeinert. Sein Geschick war inzwischen so groß, dass er sich längst nicht mehr mit der Anfertigung von Messern, Scheren und Beschlägen begnügte, sondern feine Geschmeide aus edlen Metallen fertigte. Seine Erzeugnisse fanden viel Anklang, vor allem bei den Adligen von Alneris. Hendels Beutel war gut gefüllt mit den goldenen Schüsselchen, die im Reich als Währung dienten.

      Nun, nach zwei arbeitsreichen Jahren, sehnte er sich danach, das heimatliche Dorf und seinen Bruder wiederzusehen. So hatte er sich endlich auf die lange Reise begeben. Zunächst mit dem Gespann in der Gesellschaft anderer Reisender, später auf einem Pferd, welches er für zwei Goldschüsselchen erwarb. Die Reise führte ihn immer weiter nach Osten durch jene Region, die man nicht umsonst die Kornkammer des Reiches nannte. Manchmal schienen sich die wogenden Getreidefelder über den gesamten Horizont zu erstrecken, dann wieder waren es ausgedehnte Ebenen, auf denen das Hornvieh graste. Ein blühendes Land, dem man die furchtbaren Ereignisse nicht mehr ansah. Zumindest so lange, wie man nicht zum Uma´Roll hinüberblickte.

      Hendel war kein besonders guter Reiter und konnte sich nur schwer an das Geschaukel und Geruckel auf dem Pferderücken gewöhnen. Gesäß und Schenkel schmerzten und waren wund, und er fragte sich gelegentlich, ob es nicht besser gewesen wäre, zu Fuß zu gehen. Doch wenn er sich vor Augen führte, welch weiten Weg er genommen hatte, dann musste er sich eingestehen, dass seine armen Füße sicher noch weit mehr gelitten hätten.

      Es war nicht mehr weit bis zum Dorf Hemjalis.

      Hendel erkannte die vertrauten, dicht bewaldeten Hügel und das kleine Waldstück, welche das Ziel noch vor seinen Augen verbargen. Hinter diesen Hügeln lag sein Heimatdorf, eingebettet in seine wogenden Getreidefelder. Dahinter erstreckte sich ein ausgedehntes Waldgebiet, welches am Spaltpass endete. Der Goldschmied wunderte sich daher nicht, als er ein Funkeln zwischen den Geländeerhebungen sah, welches sich ihm näherte und rasch an Konturen gewann. Hendel erkannte die Rüstungen der Gardekavallerie. Eine kleine Schar von zehn Reitern. Die gelben Federn wippten auf den Helmen. An der Spitze der Formation trabte ein Ritter, wie Hendel an den zwei Federn und dem kurzen grauen Umhang erkannte. Er zügelte sein Pferd und wartete ab, bis die Soldaten heran waren.

      „Wohin des Wegs, guter Herr?“, fragte der hochgeborene Ritter freundlich.

      „Heim nach Hemjalis und meinen Bruder besuchen“, antwortete der Schmuckschmied und fügte ein paar erklärende Worte hinzu.

      Der Gardeoffizier strich sich über den dünnen Schnurrbart, der bei den Adligen des Königreiches sehr beliebt war. „Das wird Euren Bruder sicherlich erfreuen“, meinte er. „Es kommen nicht viele Reisende hierher. Die Nähe des Spaltes ist den Menschen unheimlich.“

      „Man sagt in Alneris, dort lägen die Finsteren Abgründe“, bestätigte Hendel.

      Der Ritter lachte auf. „Nun, von uns hat der Spalt noch keinen verschlungen.“ Sein Gesicht wurde ernst. „Wenn Ihr ihn betrachten wollt, so muss ich Euch enttäuschen. Die Feste von Nerianet bewacht ihn, und außer den Streifen der Garde darf ihm keiner nahekommen.“

      „Ich habe nicht vor, in den Pass zu blicken.“ Hendel deutete vor sich. „Ich will nur meinen Bruder sehen, ein paar Tageswenden in seiner Gesellschaft verbringen und dann wieder zu meinem Geschäft zurückkehren.“

      Der Ritter nickte und die kleine Schar trabte weiter.

      Hendel blickte den Männern eine Weile nach. Man hörte leises Klirren und Scheppern von Rüstungen und Waffen, das allmählich verklang. Er fragte sich, wie es diese Männer schafften, mit all dem schweren Metall auf den Pferden zu bleiben. Sie kamen sicher von dieser neuen Festung. Es war beruhigend, dass die Gardekavallerie das Land so eifrig bestreifte.

      Hendel trieb sein Pferd erneut an, welches den Zügeln und dem Schenkeldruck nur widerwillig zu folgen schien. Immerhin konnte er es in jene Richtung lenken, in die er zu reiten gedachte.

      Je näher er seinem Ziel kam, desto deutlicher spürte er, wie sehr ihn seine Knochen schmerzten. Ein paar Tage der Ruhe in Hemjalis würden ihm gut tun. Ah, was würde sein Bruder Halpert für Augen machen, wenn er ihm eine Auswahl der Geschmeide zeigte, die er in Alneris für die hohe Gesellschaft anfertigte. Halpert hatte immer gespottet, Hendels Hände seien zu plump für feingliedrige Arbeiten, aber nun würde er filigrane Schmuckstücke sehen, die jedes Frauenherz begeisterten.

      Er kam den Hügeln näher, erreichte ihren Schatten.

      Zwischen den Bäumen knackte es und Hendel sah ein mächtiges Geweihtier, welches ihn anstarrte und wohl überlegte, ob von dem einsamen Reiter eine Gefahr ausging. Offensichtlich wurde er als ungefährlich eingestuft, denn das Tier begann ruhig zu äsen.

      Der Schatten war angenehm. Den ganzen Tag schon brannte die Sonne unbarmherzig herab. Hendel schwitzte erbärmlich, obwohl er nur leichte Bekleidung trug. Wie mochte es da den Gardisten ergehen, die in ihren stählernen Rüstungen doch sicherlich gebraten wurden? Nein, das Waffenhandwerk war nicht nach seinem Geschmack, auch wenn es bei manchen Frauen in hohem Ansehen stand.

      „Endlich“, seufzte er erleichtert, als sich die Hügel vor ihm öffneten.

      Obwohl ihm die mächtige Stadt Alneris mit ihrem quirligen Leben gefiel und auch die Grundlage seines beginnenden Reichtums war, empfand er doch das warme Gefühl der Heimkehr, als er das kleine Hemjalis vor sich sah. Alles war so, wie er es in Erinnerung hatte.

      Von den Hügeln führte die Straße, die hier kaum mehr als ein breiter Feldweg war, zwischen weiten Feldern hindurch in den Ort. Hendel sah Männer und Frauen, die mit der Ernte beschäftigt waren. Kappklingen fällten das Getreide, welches aufgesammelt und in Bündeln zu den Karren getragen wurde. Die meisten Wagen hatten nur zwei Räder und wurden von Erntehelfern gezogen, doch er konnte auch einen vierrädrigen sehen, vor dem zwei Horntiere eingespannt waren. Ein gutes Zeichen, denn solche Wagen konnte man sich nur leisten, wenn es reiche Ernte und guten Gewinn gab.

      Von einem der Felder kam ein Mann zu Hendel heran. Er kannte ihn nicht, doch das verwunderte ihn kaum. Viele Menschen waren in den vergangenen zwei Jahren aus den großen Städten in die kleinen Dörfer gezogen, angelockt von den Schüsselchen des Königs, der die Städter mit großzügigem Handgeld belohnte, wenn sie in die Dörfer gingen. Das Reich brauchte Getreide und Brot, um nicht zu hungern, und die Dörfer brauchten Menschen, damit es beides im erforderlichen Maß gab.

      „Woher des Wegs, guter Herr?“, fragte der Bauer freundlich und stützte sich dabei auf die lange Stange seiner Kappklinge.

      „Aus Alneris“, antwortete Hendel. „Doch eigentlich komme ich aus Hemjalis. Ich wurde hier geboren“, fügte er hinzu, als er die Skepsis im Blick des Bauern sah. „Halpert, der Schmied, ist mein Bruder.“

      „Ah, Halpert.“ Der Mann wischte sich etwas Schweiß von der Stirn. „Er wird in seiner Schmiede sein. Reitet ins Dorf und folgt …“

      „Danke, doch ich kenne den Weg“, unterbrach Hendel.

      „Ja, sicher, Ihr seid ja hier aufgewachsen.“ Der Bauer grinste breit. „Nun, so werdet Ihr Euren Weg finden und ich werde noch ein paar Halme kappen.“

      Der Mann wandte sich wieder seiner Arbeit zu und Hendel ritt weiter.

      Hemjalis hatte sich in den zwei Jahren nicht verändert.

      Zwei


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