In Amerika. Gerstäcker Friedrich
machte, einen Boten an den Vize- oder, wie er dort genannt wurde, Deputy-Sheriff abgesandt, den Gefangenen und seinen Ankläger herzuliefern. Die Sache konnte dann rasch und ohne Schwierigkeit erledigt werden.
Während der Bote seinen Auftrag ausführte, waren die Herren noch einmal an den Schenkstand getreten, um ein frisches Glas zu trinken. Mr. Urguard traktierte diesmal22, und über den Fall selber wurde jetzt nicht weiter gesprochen. Die Sache war vor der Hand erledigt, und erst, wenn die Sitzung begann, konnte man sich wieder damit beschäftigen.
Noch standen die Herren so plaudernd in dem großen Saal herum, und selbst Sherard hatte sich ihnen, ohne indessen direkt aufgefordert zu sein, wieder angeschlossen, als Mr. Taylgroves weißer Aufseher oder Verwalter, seine Reitpeitsche in der Hand, den Hut auf dem Kopf und augenscheinlich in außergewöhnlicher Aufregung, das Gemach betrat, den Blick darin einen Moment umherwarf und dann ohne weiteres auf seinem Employer, wie diese Leute ihren Dienstherren nennen, zueilte.
„Hallo, Mr. Hall!“, rief Taylgrove, der ihn schon gleich bei seinem Eintritt erkannt und mit Erstaunen das wunderliche und „unschickliche“ Benehmen des Mannes bemerkt hatte. „What is the matter? Was haben Sie? Sie sehen so verstört aus, dass Sie selbst Ihren Hut vergessen haben.“
„Bitte um Verzeihung, Mr. Taylgrove“, sagte Hall, eben nicht erfreut über diese Zurechtweisung, indem er aber doch seinen Hut abnahm und in der Hand hielt, „ich wollte Ihnen nur melden, dass die Yankees eingetroffen sind.“
„Die Yankees?“, fragte Taylgrove und sah seinen Aufseher verwundert an. „Von was faseln Sie jetzt? Was gibt es? Wer ist eingetroffen?“
„Die Yankees“, sagte der Aufseher trocken, „oder wenn Sie wollen, die nordischen Soldaten – General Shermans Vortrab.“
„Unsinn, Mann!“, rief Taylgrove unwillig aus. „Was schwatzen Sie da ins Blaue hinein? Haben Sie vielleicht einen flüchtigen Soldaten gesehen und schließen daraus, dass die ganze Armee anrückt?“
„Ich schließe gar nichts, Mr. Taylgrove“, erwiderte aber der Aufseher weit schärfer, als er sonst zu seinem „Herrn“ zu sprechen wagte, denn eine unbestimmte Ahnung mochte ihm wohl sagen, dass seine Stellung hier nun doch so gut als aufgehoben sei, „vor Ihrer Plantage halten aber einige sechzig Reiter der Unionsarmee, und ich habe mich nur ohne Zögern auf mein glücklicherweise schon gesatteltes Pferd geworfen, um Ihnen die Meldung zu machen.“
„Die Unionsarmee?“, rief Taylgrove und wurde dabei totenbleich – aber schon hatten sich die Übrigen um den Berichterstatter gesammelt und drängten mit ängstlichen Fragen in ihn, während nur Urguard lachend ausrief:
„Torheit, Mann! Es werden unsere Reiter sein, die das Land von dem Feind rein fegen, und Ihr, in lauter Angst und Schrecken, habt sie für Unionstruppen gehalten. – Hahahaha! Wo sollten die hier herkommen?“
„Jawohl, Mr. Urguard“, sagte Hall, ein baumlanger Kentuckier mit einem fast fußlangen Bart, indem er den Pflanzer trotzig ansah, „ich bin auch gerade so ängstlich, dass ich mich in blindem Schrecken davonjagen lasse. Was ich aber mit meinen eigenen Augen sehe und mit meinen eigenen Ohren höre, weiß ich. Es ist Shermans Vortrab – die Flagge kenne ich gut genug.“
„Und w o habt Ihr sie gesehen, Hall?“, rief Taylgrove, dessen Gesicht leichenfahl geworden war.
„Vor Ihrem Haus, Mr. Taylgrove, zügelten sie ihre Tiere ein“, erwiderte der Aufseher, „als ich davonsprengte, unterhielten sie sich gerade mit den Damen, und die ganze Negerbande drängte aus dem Feld herein.“
D a s Wort zündete, denn wie sich bisher der Stolz und Trotz dieser übermütigen Baumwoll-Barone dagegen gesträubt hatte, auch nur die Möglichkeit eines endlichen Sieges der Nordstaaten zuzugeben, so trafen sie jetzt die Wirklichkeit und die daraus unfehlbar entspringenden Folgen nur so viel empfindlicher, und mitten aus ihrem Sicherheitsgefühl heraus wurden sie in Furcht und Entsetzen hineingeschleudert.
Die Neger! Wenn die Unionstruppen wirklich diesen entfernten und vom Kriegsschauplatz abgelegenen Teil der Staaten erreicht hatten, dann war auch das ganze übrige Land schon von ihnen überschwemmt, und erhoben sich dann die plötzlich frei gewordenen Neger gegen ihre bisherigen Herren, so waren die entsetzlichen Folgen gar nicht abzusehen.
Der aber, der am meisten bei der Nachricht erschrak, obgleich er keinen direkten Verlust zu fürchten brauchte, war Jim Sherard, der Eigentümer der Bloodhounds, denn wie ihn die Neger liebten, wusste er. Aber beruhte das Ganze nicht doch noch vielleicht auf einem Irrtum? – Es blieb ihm freilich keine Zeit, sich darüber mit den Pflanzern und sonstigen Herren auszusprechen, denn in diesem Augenblick drängte es jeden, seine eigene Heimat aufzusuchen und zu sehen, wie es dort stand. Erst mussten sie Gewissheit haben und dann galt es, zu beraten, wie sie sich selber schützen und das drohende Unheil von sich abwenden konnten.
DRITTES KAPITEL
Die Überraschung.
Die Zeit des Mittagsessens war herangerückt, und Mrs. Taylgrove mit ihren Töchtern schon unten in den Speisesaal hinabgestiegen, um dort ihren Gatten zu erwarten; hielt er die Stunde doch sonst immer auf das Pünktlichste und nur der besondere Fall mit dem gefangenen Mulatten konnte ihn heute etwas über seine Zeit zurückgehalten haben.
Die Tafel stand gedeckt und hinter den Stühlen schon an jeder Seite eines der jungen Negerkinder in schneeweißen Kleidern und mit dem Pfauenwedel in der Hand, um den Damen, sobald sie sich setzten, Kühlung zuzufächeln. So munter die jungen Dinger aber sonst auch waren und so sorg- und gedankenlos sie in23 den Tag hineinlebten, heute standen sie scheu und furchtsam auf ihren Plätzen, denn sie hatten den unglücklichen „farbigen Mann“ vorhin einbringen sehen und wussten nur zu gut, was ihn erwartete.
Den kleinen Dingern gingen dabei die wunderlichsten Gedanken im Kopf herum – Sachen, die sie nicht begreifen und fassen konnten, und die sich ihnen doch heute gerade immer wieder und wieder aufdrängten. Allerdings gehörten sie mit ihrem Dienste in das Herrenhaus und kamen mit den eigentlichen Arbeitsnegern in keine Berührung, ja durften nicht einmal den Teil des Grundstücks, auf welchem deren Wohnungen standen, betreten; aber im Herrenhaus wusste die schwarze Dienerschaft genauso gut, was in der Welt vorging wie draußen im Baumwollfeld, und dass da oben im Norden Krieg geführt wurde, um die armen, schwarzen Sklaven hier im Süden frei zu machen, war oft und oft von ihnen, wenn auch nur ganz scheu und heimlich, besprochen worden. Und doch schien es den armen, schwarzen Kindern undenkbar, dass sich die Weißen da oben um sie kümmern und nur ihretwegen aufeinander schießen sollten. Waren sie doch selber vor kaum mehr als drei Jahren mit Vater und Mutter von einem der schlechten weißen Menschen aus dem Norden gekauft, und sie beide dann von den Eltern heimlich in der Nacht getrennt und weit, weit in das Land hineingeschafft worden, während Vater und Mutter jetzt in Jammer und Sorge gar nicht einmal wussten, was aus ihnen geworden, ebenso wenig, wie sie sagen konnten, welcher strenge und böse Herr vielleicht die Eltern hielt. Und das sollte jetzt anders werden? Oh, Du lieber Gott, waren das die Aussichten, die sie dafür hatten? Weshalb schleppten dann die weißen Männer da wieder einen armen, farbigen Mann, der keinem von ihnen etwas zuleide getan und den sie erst mit den schrecklichen Hunden gehetzt, jetzt gebunden in die Stadt; und wollten sie ihn da nicht aufhängen, wie die alte Köchin, die Susy, gesagt? Wenn sie frei werden und die Eltern wiedersehen sollten, durften dann die Weißen noch so grausam handeln? Es war alles nicht wahr, was man ihnen davon erzählt. Für sie gab es keine Rettung und sie blieben Sklaven, wie sie es stets gewesen.
Die armen Kinder waren Schwestern, vielleicht zehn und elf Jahre alt, mit ebenholzschwarzer Haut, aber zart und schlank gebautem Körper und gar so lieben Gesichtern. Aber recht traurig sahen beide aus, denn wenn sie auch kein Wort mitsammen austauschten, „Missus“, die Frau vom Hause, hätte sonst böse werden können, so hafteten ihre Gedanken doch auf dem nämlichen Gegenstand.
„Das ist sehr unangenehm und – auch rücksichtslos“, sagte Mrs. Taylgrove, die, in voller Toilette, den Gatten schon ungeduldig eine lange Weile zum Essen erwartet hatte. „Wenn Euer Papa nicht rechtzeitig kommen konnte, so war doch nichts leichter, als uns durch irgendjemand