Geheimauftrag für SAX (4): SPECTATOR II. Hymer Georgy
zwischen befreundeten, aber einander fremden Agenten. Daher fasste er in seine Hosentasche und holte ein Feuerzeug hervor. Es war eines von „Dunhill“ mit einer eingravierten Widmung.
„Woher wissen Sie davon?“, fragte er, als er dem Mann Feuer gab, es anschließend deutlich vor seinem Gegenüber in der Hand wechselte und in der anderen Hosen-tasche wieder verschwinden ließ. Ein unauffälliges kleines Zeichen, kaum zu bemerken von möglichen Beobachtern.
„Holler natürlich. Und vergessen Sie nicht, ich war mal bei der Stasi!“, antwortete Steiner sphinxhaft, der aufmerksam zugesehen hatte.
„Überzeugt Sie das?“
„Möglicherweise. Aber wer ist Susanne?“ Die Gravur auf dem Feuerzeug beinhaltete diesen Namen, und Steiners Augen hinter der Brille schienen noch sehr gut zu sein. „Hieß ihre große Liebe damals nicht Sieglinde?“
„Eine weitere verflossene Freundin“, tat Sax es mit einer kurzen, unwirschen Hand-bewegung ab. Er mochte darüber nicht so sehr reden.
„Na gut“, fuhr Steiner fort. „Kommen wir wieder zur Sache. Nach dem endgültigen Zusammenbruch unseres schönen Arbeiter- und Bauernstaates musste jeder sehen, wo er bleibt. Insbesondere diejenigen, die vorher für das System gearbeitet haben. Ich gehörte dazu, aber auch mein damaliger Vorgesetzter und noch ein paar andere. Einige der Kollegen haben nach der Wende in Dresden gemeinsam ein kleines Unternehmen gegründet. Werkschutz, Sicherheitskonzepte für Firmen und Institute, Bewachung technischer Anlagen in Krisengebieten, alles so etwas. Mich haben sie auch gefragt, ob ich einsteige, aber ich wollte in Leipzig bei meiner Familie bleiben.“
„Und?“
„Wir blieben alle lose in Kontakt. Später kam bei denen auch noch Computersicherheit dazu. Diese ganzen überstaatlichen Hackerangriffe der letzten Jahre haben ziemlich viele Leute in verantwortlichen Positionen aufgeschreckt, und der Markt boomt.“
„Worauf wollen sie hinaus, Steiner?“, zeigte sich Freysing ungeduldig.
„Na, worauf wohl? Dass genau jenes Unternehmen die sogenannte sicherheits-relevante Akkreditierung der GNSS-Systeme in Prag durchführt.“
„Dazu hat dieses doch aber eine ganze Reihe von Unbedenklichkeitsprüfungen durchlaufen müssen. Wenn es bei der Firma nicht mit rechten Dingen zuginge, dann hätte man sie damit bestimmt nicht beauftragt.“
„Ach ja?“, zeigte sich Steiner überrascht über so viel scheinbare Naivität.
„Übliches Procedere!“, meinte Freysing und zuckte kurz mit den Schultern.
„Sie haben damals Wirtschaftswissenschaften und Politologie studiert. Wenn Sie der Mann geworden sind, für den ich sie halte, dann sollte ihnen bekannt sein, dass es im militärisch-industriellen-Komplex alles andere als durchschaubar zugeht.“
Freysing überlegte, dass es durchaus möglich war, mit entsprechender politischer Unterstützung eine nicht zu tief gehende Unbedenklichkeitsprüfung auszutricksen. Vielleicht lag Steiner richtig. Aber hatte man deshalb Holler umgebracht? Nur wegen eines Verdachtes? Es erschien ihm nicht schlüssig.
„Wenn Holler etwas herausgefunden haben sollte, dann hat er es mit ins Jenseits genommen“, stellte Sax nachdenklich fest. „Und wenn Sie keine weiteren Informationen haben, endet damit die Geschichte. Ich könnte höchstens veranlassen, dass man die Sicherheitsfirma und deren Mitarbeiter noch einmal genauer unter die Lupe nimmt. Und dass man bei GNSS-Prag mal intensiver nachprüft, seitens der zuständigen Abteilungen.“
„Es ist mir egal, was sie mit den Informationen machen. Ich wollte lediglich behilflich sein“, knurrte Steiner. „Ich weiß, Menschenleben zählen in unserem Metier nicht viel, aber ich denke schon, dass es besser wäre, der BND fände heraus, was hinter der Angelegenheit steckt, bevor es die tschechische Kripo tut.“
„Dazu benötigte ich einen Ansatz. Ich sehe keinen. Ich soll bis jetzt nur verhindern, dass Blanskos Leute Hollers eigentliche Funktion in diesem Land weiter enttarnen, als sie es vielleicht schon getan haben. Um uns und unsere Kontakte zu schützen“, meinte Freysing und zuckte abermals die Schultern. Sax verriet Steiner damit kaum ein Dienstgeheimnis, die Vorgehensweise dürfte ihm als früheren Stasi-Fuchs absolut bekannt sein. Er war nicht begeistert. Es schien eine Sackgasse zu sein, trotz Steiners überraschendem Auftauchen. Also zurückfahren nach Brno, einen weiteren Bericht tippen, die Zentrale informieren, und sich dann empfehlen. Routine.
„Wenn Sie sich in der Sache engagieren wollen, kann ich ihnen vielleicht helfen. So, wie ich Holler auch geholfen hätte.“ Unter den gegebenen Umständen klang diess allerdings unfreiwillig recht makaber. Steiner blickte auf seine einfache Armbanduhr, die noch ein DDR-Relikt zu sein schien. „Treffen wir uns morgen zum Mittagessen, in Brno, auf der Festung. Aber passen Sie auf, dass ihnen niemand folgt.“
„Sie haben noch etwas in der Hinterhand?“, fragte Freysing, erneut aufmerksam geworden. Irgendwie wollte Steiner noch nicht recht mit der Sprache heraus.
„Möglicherweise. Aber dazu muss ich mich noch mit jemandem Treffen.“
„Sie wollen mir nicht verraten, mit wem?“
„Der Name würde ihnen nichts sagen. Es ist ein alter Freund von damals. Er war ´89 in der Botschaft, als Genscher in Prag seine Ansprache hielt.“
„Lassen sie mich raten. Hauptverwaltung Aufklärung, Abteilung römisch III, oder so etwas…“
„Denken Sie, was sie wollen“, lächelte Steiner, mehr wissend als er herausließ.
„Und der ist hier? In Brno?“
„Nein. In Prag. Aber bis morgen Mittag bin ich zurück.“ Die tschechische Hauptstadt befindet sich lediglich zwei Autostunden von Brno entfernt.
„Dann zeigen sie mir jetzt mal genau, wo man Holler aufgefunden hat.“
Es hatten sich keine neuen Anhaltspunkte dazu ergeben, wo genau der deutsche Agent ermordet worden war, aber es konnte eben durchaus im Bereich unterhalb der Burg geschehen sein. Allerdings einige Tage vor dem geplanten Treffen mit Steiner, denn Hollers Leiche hatte ja gewisse Zeit im Wasser verbracht.
*
Freysing war nach einer kurzen, aber nicht weiterführenden Uferbesichtigung gemeinsam mit dem früheren Stasi-Major in dessen Wagen, einem älteren grauen Ford Fusion, nach Brno zurückgefahren, wo sich ihre Wege erst einmal trennten. Er überlegte, Hollers Geliebter Irina einen kurzen Besuch abzustatten, traf sie aber zuhause nicht an und kam zu dem Schluss, dass sie wohl ihren Kummer mit Arbeit zu bekämpfen versuchte. Dort, in der Klinik, wollte er nicht unbedingt in Erscheinung treten, zudem besaß er keinerlei Befugnisse der zuständigen Behörden, hier irgendwelche Recherchen anzustellen. Daher begab er sich zur Pension, um den weiteren Bericht für seine Dienststelle zu verfassen. Am Empfang teilte man ihm mit, dass Oberinspektor Blansko auf der Suche nach ihm gewesen sei, und gebeten habe, er möge sich bei ihm melden. Sax tat nichts dergleichen und setzte sich erst einmal im Zimmer an seinen Laptop. Neben einem Bericht sandte er auch eine Anfrage wegen Ex-Major Steiner zur Zentrale, und bekam umgehend die Antworten, nach denen er verlangte. Er sollte somit für das morgige Gespräch mit diesem deutlich besser vorbereitet sein als beim ersten überraschenden Wiedersehen.
Steiner schien die turbulente Wendezeit ohne nennenswerte Nachteile überstanden zu haben und wurde vom BND zunächst als Vertrauensmann im Rahmen der HUMINT-Aktivitäten geführt. Später half er bei der Wiederherstellung und Aufarbeitung der Stasi-Akten in der Gauck-Behörde und konnte sich offenbar auf diese Weise rehabilitieren. Der BND verwendete ihn seinerzeit allerdings auch dazu, die Rekonstruktion gewisser gehäckselter Akten, welche allzu genau auf die Tätigkeit des westdeutschen Geheimdienstes in der DDR hinwiesen, zu verhindern. Später wurde er aufgrund seiner früheren Tätigkeit zum gelegentlichen Ost-Analysten auf Einzelhonorarbasis. Steiner war inzwischen zweimal geschieden und in dritter Ehe mit einer zwanzig Jahre jüngeren Frau verheiratet. Sein gegenwärtiger Wohnsitz befand sich in Pirna. Der Dienst in Berlin stufte ihn intern als lediglich bedingt vertrauenswürdig