Feinde der Ashari. Lina-Marie Lang

Feinde der Ashari - Lina-Marie Lang


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      „Ich will es nicht. Aber ich denke, dass ich es tun werde." Larana machte eine kurze Pause, als erwartete sie, dass Nadira etwas dazu sagte, dann fuhr sie fort: „Ich werde eine Reise machen. Ich habe ein Angebot von einem reichen Händler bekommen."

      „Eine Reise? Du willst mich auch verlassen?" Ein Freund war bereits auf einer Reise und noch nicht wiedergekommen. Jetzt wollte auch Larana noch weg? Wieso wollten sie alle verlassen?

      „Es ist ja nicht für immer. Aber er bezahlt gut. Sie brauchen einen Ashari, der sie begleitet."

      „Wieso?"

      „Es handelt sich um eine große Handelskarawane. Sie ziehen mit mehreren Händlern, Wagen und Söldnern los. Und sie wollen zur Sicherheit auch einen Ashari dabei haben."

      Nadira nickte. Sie verstand es nicht ganz, aber wollte sich das nicht anmerken lassen. Dass Händler im Verbund reisten und Söldner anstellten, die die Händler beschützten, war nicht ungewöhnlich. Aber wieso brauchten sie einen Ashari?

      „Sie bezahlen gut", sagte Larana.

      „Wann geht es los?"

      „Schon übermorgen."

      „Übermorgen? Dann haben wir ja kaum noch Zeit uns zu verabschieden."

      „Genau genommen haben wir gar keine mehr. Deshalb bin ich hier. Morgen werde ich den ganzen Tag mit Vorbereitungen beschäftigt sein."

      „Was sagte Aurel dazu?"

      „Sie weiß es noch nicht", sagte Larana. „Ich war gerade auf dem Weg in deine Gemächer, als ich dich hier gesehene habe."

      „Aurel wird nicht sehr glücklich drüber sein."

      „Und du?" Larana musterte Nadira und sah ihr tief in die Augen. Nadira hatte das Gefühl, dass Larana ihr etwas sagen wollte, aber sie verstand nicht was.

      „Ich werde auch nicht glücklich sein."

      Larana lächelte. „Ich komm ja zurück."

      „Wohin geht die Reise?"

      „Nach Miragar", sagte Larana. Nadira blieb einen Moment die Luft weg. Das war vermutlich die Erklärung, warum die Händler einen Ashari dabei haben wollten. Schon der Weg nach Miragar war beschwerlich und gefährlich. Aber Miragar selbst war noch schlimmer. Es gab viele Gerüchte. Das Land sollte nur eine unbewohnbare Wüste sein, gefährliche Kreaturen sollten durch die Einöde streifen, die Einwohner von Miragar sollten ein seltsames, fremdes Volk sein, das die meisten Menschen in Alluria nicht so recht verstanden. Was wollten die Händler in Miragar?

      „Ich passe schon auf mich auf", sagte Larana.

      „Na das will ich doch hoffen."

      „Komm, gehen wir Aurel bescheid sagen."

      So kam noch eine weitere Sorge dazu. Nadira fragte sich, ob das das Leben einer Dynari war. Andauernd mit Sorgen leben, Sorgen um andere Leute, Sorgen wegen der Regeln, Sorgen wegen allem Möglichen.

      ***

      Larana blieb länger als sie eigentlich vorgehabt hatte. Wie sie erwartet hatte, war Aurel überhaupt nicht davon begeistert, dass Larana diese Reise antreten wollte.

      „Das ist doch viel zu gefährlich", hatte sie gesagt.

      „Ich bin eine Ashari, ich kann auf mich aufpassen", hatte Larana geantwortet. „Deshalb wollen sie mich da dabei haben." Wieder hatte sie ihr übliches, verschmitztes Lächeln gezeigt. Aber Nadira erkannte, dass sich diesmal auch Nervosität dahinter verbarg. Larana war nicht halb so selbstsicher, wie sie versuche zu erscheinen.

      Aurel versuchte weiter, ihr die Reise auszureden. „Wenn du es nur wegen des Geldes machst, ich hab nicht viel, aber wenn du Geld brauchst …"

      „Ich mache es nicht nur wegen des Geldes." Larana sah Nadira für den Bruchteil einer Sekunde an, ehe sie fortfuhr. „Ich will auch mehr von Soria sehen. Ich bin mein ganzes Leben nur hier in Seraint gewesen."

      „Dann geh doch nach Androtor, nicht nach Miragar."

      „Ich weiß nicht, ob Androtor wirklich sicherer wäre. Es gibt da Gerüchte …"

      „Du meinst, dass der Kaiser verschwunden ist?"

      Larana nickte. Falls der Kaiser von Androtor wirklich verschwunden war, würde es das Reich destabilisieren. Es könnte zu Konflikten um die Nachfolge des Kaisers kommen. Einige Beobachter fürchten sogar, dass es zum Krieg kommen könnte.

      „Vermutlich ist es trotzdem sicherer als Miragar", sagte Aurel.

      Die Diskussion ging noch lange so weiter. Aurel versuchte Argumente zu finden, damit Larana nicht auf die Reise ging, aber Larana lies sich nicht von ihrer Entscheidung abbringen. Nadira versuchte, sich nicht in die Diskussion verwickeln zu lassen. Sie wollte nicht, dass Larana wegging. Aber es war ihre Entscheidung und nicht die von Nadira oder Aurel.

      Schließlich, es war schon spät abends, verabschiedete Larana sich. Es würde das letzte Mal für eine lange Zeit sein, dass die Freunde sich sahen. Entsprechend herzlich und tränenreich fiel der Abschied auch aus. Auch Nadira, die versuchte ihre Würde als Dynari zu behalten, hatte bald Tränen in den Augen.

      Nadira saß traurig auf ihrem Bett und vermisste Larana jetzt schon, obwohl sie gerade mal seit zehn Minuten weg.

      „Das ist alles deine Schuld, das weißt du aber, oder?"

      Es gab nicht viel, das Nadira in diesem Augenblick mehr überraschen hätte können. „Meine Schuld? Wieso soll es meine Schuld sein?"

      Aurel baute sich vor Nadira auf. In diesem Moment hätte man den Eindruck haben können, dass Aurel die Herrin war und Nadira die Dienerin. „Sie geht wegen dir."

      „Wegen mir? Von was redest du überhaupt?"

      Aurel setzte zu einer Antwort an, aber dann musste sie etwas in Nadiras Augen erkannt haben, das sie zögern lies: echte Verwirrung und Überraschung. „Du weißt es wirklich nicht?"

      „Was? Was soll ich wissen?"

      Aurel seufzte, der Zorn, den sie eben noch verspürt hatte, war verraucht. Sie setzte sich neben Nadira auf das Bett und sah richtig geknickt aus.

      „Was soll ich wissen?"

      Aurel sah auf, sah Nadira direkt in die Augen. „Sie wollte, dass du sie aufhältst. Deshalb war sie hier, nicht um sich zu verabschieden. Sie wollte von dir hören: Geh nicht. Ich will nicht, dass du gehst."

      „Wieso gerade von mir?"

      Aurel musterte Nadira still und fixierte ihren Blick. In diesem Moment hatte Nadira das Gefühl, dass in Aurel eine Macht steckt, ähnlich ihrem Ashara. Sie hatte das Gefühl, dass Aurel alles wusste, oder zumindest alles aus Nadiras Augen lesen könnte, was diese dachte.

      „Sie ist verliebt in dich. Schon seit Jahren. Willst du mir wirklich sagen, dass du das nicht weißt?"

      „Wie … wie kommst du auf so etwas?"

      Aurel winkte ab. „Alle wissen es. Ich weiß es schon lange, Darec weiß es. Vermutlich weiß sogar Brancus es. Ich bin mir auch sicher, dass Dyn Arthos es weiß. Und du willst mir sagen, dass du nichts davon weißt?"

      „Ich …", stammelte Nadira. Sie hatte es nicht gewusst. Oder doch? Hatte sie dieses Wissen einfach verdrängt? Natürlich wusste sie, dass Larana sie gern hatte, sehr gern sogar. Aber verliebt? Nein. Sie hatte es nicht gewusst. Nadira schüttelte den Kopf.

      Aurels Gesicht zeigt, dass sie ihr nicht ganz glaubte. Aber sie sagte nichts dergleichen. „Jetzt weißt du es jedenfalls. Und was willst du jetzt machen?"

      Nadira überlegte lange, was sie mit diesem neuen Wissen tun sollte. Aber sie kam auf keine Antwort. Und so verstrich die Nacht und der nächste Tag, ohne dass Nadira etwas unternahm. An diesem Tag, und den folgenden Tagen, sprach Aurel kaum ein Wort mit Nadira. Wenn Nadira Aurel ansah, sah sie nur Wut und Enttäuschung in ihren Augen. Es dauerte fast eine Woche, bis diese Gefühle aus ihren Augen


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