Nach Amerika! Bd. 2. Gerstäcker Friedrich

Nach Amerika! Bd. 2 - Gerstäcker Friedrich


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auch nicht, so bildete sich denn jeder seinen Wirkungskreis in der eigenen Umgebung, den Nachbar entbehrend und sich wenig um ihn kümmernd.

       Aber was bedurfte Amalie v. Seebald auch jetzt noch weitläufiger Berichte, wo sie sich ja morgen schon – in wenigen Stunden – selber von allem mit eigenen Augen überzeugen konnte. Nur wie sie hinüberkommen sollte, beunruhigte sie noch; die Frauen vertrösteten sie aber auf die Ankunft der Männer, die jedenfalls zum Abendbrot daheim sein und schon Mittel und Wege finden würden, sie mit ihrem Gepäck hinüberzuschaffen. Lieber Gott, das sei nicht mehr als ihre Schuldigkeit, dafür zu sorgen, daß eine einzelne Frau, die so vertrauensvoll hier herüber zu ihnen gekommen war, auch nicht ohne Hilfe und Beistand gelassen würde, und Billy Jones, der Schwiegersohn des alten Rosemores, oder Mr. Rosemore selber fänden da schon Rat.

       Hundegebell und Pferdegestampfe kündigte die Erwarteten, die irgendwo im Wald gewesen waren, um nach ein paar ausgebliebenen Kühen zu sehen, auch schon vor Dunkelwerden an, und drei Reiter hielten gleich darauf vor Rosemores Tür, sprangen aus den Sätteln, die sie mit dem Zaum den Tieren abnahmen, ihre weitere Versorgung einem herbeispringenden Negerknaben38 überlassend, und betraten bald darauf die innere Fenz, zum Hause kommend.

       «Das trifft sich glücklich!» rief Sarah, Mr. Rosemores jüngste Tochter, die in die Tür getreten war, um den Vater zu begrüßen. «Da ist Mr. Owen von bearlick ridge selber, mit Vater und Bill; der weiß Rat und geht gewiß morgen früh ebenfalls nach seinem Haus zurück.»

       «Hallo, Miß Sarah», lachte der also bezeichnete Backwoodsman, der die Worte verstanden hatte und mit seinem Sattel über dem linken Arm, seine Büchse in der Rechten, zum Hause herankam, «haben Sie mich erwartet?»

       «Ich nicht, Mr. Owen», lachte das junge Mädchen, «aber eine fremde Lady, die hier im Hause sitzt und vor Sehnsucht nach Ihnen schon fast vergangen ist.»

       «Alle Wetter», rief der Jäger, seinen Sattel rasch unter den Zwischenbau der beiden Häuser legend und die lange Büchse daneben lehnend, «eine fremde L a d y ? Das wäre der Teufel!»

       «Nun, der T e u f e l gerade nicht, Mr. Owen», sagte die Matrone mit einem leisen Vorwurf in dem Ton, mit dem sie das Wort wiederholte.

       «Bitte tausendmal um Entschuldigung, Missis Rosemore», sagte der Mann, leicht errötend, indem er ihr die Hand entgegenstreckte, «es fuhr mir nur so heraus; Ihr wißt ja schon, ich mein’ es nicht so bös.»

       Es war eine kräftige, männliche Gestalt, der Mann, in die gewöhnliche Tracht der Hinterwäldler, in ein ledernes Jagdhemd mit ebensolchen Leggins gekleidet. An den Füßen trug er Mokassins von demselben Stoff, auf dem Kopf aber einen alten, abgetragenen, arg mißhandelten Filz, und an der rechten Seite seine Kugeltasche, während an der linken in dem breiten Ledergürtel das lange amerikanische Bowie- oder Jagdmesser stak. Das Haar war gelockt, sein Auge blau, und der Ausdruck seines Gesichts entschieden ehrlich und geradeaus, nur um den Mund und die selbst fein geschnittenen Lippen lag ein etwas harter Zug, der aber ebensogut Mut und Entschlossenheit andeuten konnte, und den westlichen Amerikanern, die im Wald erzogen und allen seinen Beschwerden und Gefahren von Kindheit an preisgegeben sind, besonders eigen ist.

       Jack Owen war mit einem Wort ein prächtiges Urbild jener kräftigen, stählernen Menschenrasse, die den westlichen Urwald der Union erst als Jäger durchziehen, und dann mit ihren keck bis weit über die Grenzen der Zivilisation vorgeschobenen ,improvements’ besiedeln, dem Indianer und Bären ihre Heimat abtrotzen, und, nur mit Büchse und Axt bewehrt, im Schatten der dichten Wildnis sich eine Heimat schaffen. Diese Rasse bildet den Übergang von der Rothaut zum weißen Mann, und wie der Wolfshund, der halb dem Wolfsgeschlecht noch angehörig ist, keinen ärgeren Feind kennt als gerade den Wolf, so haßt der Pionier nichts ärger auf der Welt als den, in dessen Fußstapfen er doch hier getreten: den roten Sohn der Wälder39.

       Als diese Männer das Zimmer betreten hatten, die, mit dem freien, natürlichen Leben um sich her, auch ebensolche Sitten angenommen haben, und sich, von anderen dasselbe verlangend und glaubend, eben so geben wie sie sind, gingen sie auf die fremde Dame zu, boten ihr zum Willkommen freundlich die Hand, und dann ihre Sitze am Feuer einnehmend, an dem sie ihre Mokassins auszogen und zum Trocknen aufhingen, war ihre erste Sorge, den Frauen Bericht über die entlaufenen oder ausgebliebenen Kühe, die, wie es schien, wieder eingefangen waren, abzustatten. Das Gespräch drehte sich jetzt ausschließlich um Kühe, Rinder und Schweine, bis zum Abendbrot, welches die beiden Töchter der alten Mrs. Rosemore indes bereitet hatten, und alle Teile der range oder des Weidegrundes, wo sich noch ein oder das andere Stück verhalten, wurden durchgenommen. Die Frauen selber interessierten sich dabei soviel dafür wie die Männer, und Fräulein v. Seebald, die dabei als stille Zuhörerin mit am Kamin saß, war wirklich erstaunt, soviel Ortskenntnis bei ihnen zu finden, mit der sie die nach Meilen entfernten Stellen im Wald, und ihre Richtung dabei nicht etwa nach bestimmten Wegen bezeichneten, sondern nach den Himmelsgegenden und kleineren, sie durchströmenden Wasserkursen.

       Mit dem Abendbrot, bei dem sich alle um die im Zimmer zusammengerückten Tische sammelten, nahm aber auch das Gespräch eine andere Wendung; Jack Owen wurde der Fremden als der nächste Nachbar ihrer Schwester und jenes ,Mr. Olnitzki’ bezeichnet, und dann selber aufgefordert, einen Rat zu geben, wie die junge Deutsche am besten und leichtesten mit ihrem Gepäck hinüberkommen könne.

       Jack Owen schien übrigens die letzte Frage ganz zu überhören, denn wie er erfuhr, daß die Fremde eine Schwester der ,Missis Olnitzki’ und über das Weltmeer nur einzig und allein herübergekommen sei, sie zu besuchen, sah er sie mit den klaren, treuherzigen Augen eine ganze Weile ernst und sinnend an, und fing dann auf einmal wieder, ohne ein Wort darauf zu äußern, von vorn an zuzulangen, als ob er bis dahin ganz vergessen habe zu essen.

       «Und können Sie mir nicht etwas Näheres über die Schwester sagen?» bat Amalie. «Ich habe schon so oft und oft gefragt, und wie verschollen schien sie dort im Wald zu wohnen. Niemand konnte mir Rede stehen, niemand erinnerte sich in der Tat sie je gesehen zu haben.»

       «Lieber Gott», sagte der Jäger, ohne sein Essen auch nur auf einen Augenblick zu unterbrechen, «unsere Frauen kommen alle wenig fort; manchmal zu einer Betversammlung oder irgendeinem Nachbarfest beim Klötzerollen oder Deckensteppen40, und da die Nachbarn so dünn gesät sind bei uns, fällt selbst das nicht häufig vor.»

       «Aber Sie kennen sie doch?»

       «Ich – oh gewiß – wohne keine halbe Meile davon.»

       «Und es geht ihr gut?»

       «Das kalte Fieber hat sie neulich einmal ein klein wenig abgeschüttelt, hatte aber nicht viel zu sagen, und ist bald vorübergegangen.»

       «Und ihr Kind? Hat sich das arme kleine Mädchen erholt?»

       «Das Mädchen?» wiederholte der Mann, zum erstenmal zu ihr aufschauend. «Der Knabe, meinen Sie.»

       «Hat Sidonie einen Knaben?» rief Amelie überrascht.

       «Hm», meinte der Jäger, sich ein neues Stück Wildbret auf den Teller nehmend, «seit wann haben Sie denn eigentlich keine Nachricht von ihr gehabt?»

       «Seit über zwei Jahren.»

       «Lieber Gott», sagte die alte Mrs. Rosemore.

       «Dann freilich», brummte der Jäger halblaut vor sich hin, «seit der Zeit ist das Mädchen gestorben und vor einigen Monaten ein Knabe geboren worden, und d a s Kind allerdings ist jetzt schwer krank.»

       «Das Mädchen tot – Du großer Gott – die arme, arme Sidonie.»

       «Das Herz wird ihr wohl zu voll und schwer gewesen sein, um in der Zeit Briefe zu schreiben», sagte die Matrone bedauernd, «ja, aus s p r e c h e n und aus w e i n e n mag man sich dann wohl gern, aber zum Schreiben zwingt man die Hand da nicht.»

       «Aber wie bekommt die Fremde die vielen Sachen hinüber, Mr. Owen?» fiel Sarah hier ein, um Amalie zu zerstreuen, daß sie sich nicht dem traurigen Gedanken zu sehr hingäbe. «Es wird schwer sein, das alles zu Pferde zu transportieren.»

      


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