Die beiden Sträflinge. Gerstäcker Friedrich

Die beiden Sträflinge - Gerstäcker Friedrich


Скачать книгу
wie vorher, um eben nur ihren verschiedenen Geschäften nachzugehen. Ein angehender Squatter, wie Mac Donald war, hat auch außerdem noch alle Ursache, seine Wege, wenn er einem guten Weidegrund nachgegangen, geheim zu halten, damit ihm kein Anderer darin zuvorkomme. Wer weiß, auf welchem trefflichen Hütungsgrund er jetzt sitzt, und Schafe und Rinder zieht, daß es eine Lust ist."

      „Da kommt Mr. Bale, der Stockkeeper, angesprengt," sagte Lisbeth, deren Aufmerksamkeit auf das Hufgeklapper eines herangaloppircnden Pferdes gelenkt worden.

      „Mr. Bale? - das ist Mr. Bale nicht," sagte Bill, der zweite Sohn Mr. Powell's, der neben der Schwester stand /18/ und ebenfalls den Kopf dorthin gewendet hatte. „Das ist ja ein Grauschimmel, und Mr. Bale reitet einen Braunen - wahrhaftig, das ist ein Fremder."

      „Ein Fremder?" rief Mr. Powell, von seinem Sitze aufstehend und zum Fenster tretend, wohin ihm bald die ganze Familie folgte - „in der That - und wie es scheint ein Gentleman-Squatter, denn der lange starke Bart verkündet keinen Städter, das Gewehr, das er trägt, sogar einen Jäger. Geh hinaus, Georg, begrüße ihn und lade ihn zu uns ein. Sein Pferd thu in die Umzäunung. Es ist doch wirklich wahr," wandte er sich dann lächelnd an die Seinen, „Unglück oder Glück kommt nie allein. Die lange Zeit haben wir uns nun nach Nachrichten aus der Welt draußen gesehnt, und immer vergebens gewartet, und heute kommen Briefe und Zeitungen zusammen, und noch ein Fremder obendrein. Er soll uns herzlich willkommen sein."

      2,

      Der Besuch.

      Nur wenige Minuten vergingen, bis der Reiter, den sie indessen kaum vom Pferde gestiegen glaubten, an die Thür des Zimmers klopfte, das er, zur großen Verwunderung Georg's, so genau zu kennen schien, als ob er ein alter Insasse des Hauses sei. Kaum wartete er auch das überraschte Herein des Eigenthümers ab, als sich die Klinke unter seiner Hand bog, und der Fremde, seine Satteltasche über denr linken Arm, mit einem herzlichen „Wie geht es Ihnen Allen?" in's Zimmer trat.

      „How are you, Sir?" begrüßte ihn, wenn auch etwas verwundert über die mit so zutraulichem Tone gesprochene Anrede, Mr. Powell, während ihn die Anderen neugierig, Sa-/19/rah jedoch mit peinlich gespannter Aufmerksamkeit betrachteten. - Seien Sie uns hier willkommen in unserer stillen Einsamkeit, und machen Sie es sich bequem. Sie sind zu Hause."

      „Herzlichen Dank, Mr. Powell," rief der Fremde, des Angeredeten Hand ergreifend und von Herzen schüttelnd - „aber habe ich mich denn wirklich so sehr verändert? entstellt mich der große Bart so gewaltig, daß Sie, daß Mrs. Powell, daß mich die jungen Damen nicht wiedererkennen? - und wie die Kinder indeß herangeschossen sind!"

      „Heiliger Gott!" rief Sarah, während die Eltern den Fremden erstaunt und unschlüssig betrachteten, und die jüngeren Geschwister sich neugierig hinzudrängten - „ist das nicht- ist das nicht Mr. Mac Donald?" und während sie den Namen aussprach, fühlte sie, wie sich tiefes Roth ihr über Stirne und Schläfe goß.

      „Es freut mich doch, daß Sie wenigstens den Fremden nicht vergessen haben," sagte mit herzlichem Tone Mac Donald, indem er ihr die Hand, in die sie schüchtern die ihre legte, zum Gruß hinüberreichte.

      „Mac Donald, so wahr ich hoffe selig zu werden!" rief aber auch jetzt Mr. Powell, seine linke Hand fassend und herzlich schüttelnd, und Alle drängten sich jetzt um ihn her, den früheren liebgewonnenen Gast zu begrüßen.

      „Und ob wir nicht in diesem nämlichen Augenblick von Ihnen gesprochen und uns den Kopf zerbrochen haben, was aus Ihnen geworden sein könnte," rief Mrs. Powell.

      „Wenn man den Wolf nennt, kommt er gerennt, ist ein altes gutes Sprüchwort," lächelte Mac Donald - „aber hatte ich nicht Miß Sarah die Bücher versprochen, und mußte ich ihr die nicht bringen?“

      „Seht Ihr, ich hatte Recht!" rief Lisbeth jetzt lachend aus – er hat sie in Melbourne nicht bekommen, und ist eine Straße weiter gegangen, nach London vielleicht, sie dort zu holen.“

      „Doch nicht ganz so weit," lautete die freundliche Antwort des jungen Mannes, „aber - Mühe hat es allerdings gekostet. Dies indeß erzähl' ich Ihnen vielleicht ein anderes /20/ Mal; hier sind sie jedenfalls, und mag Miß Sarah wenigstens die Freude darin finden, die sie erwartet."

      Bei diesen Worten öffnete er seine Satteltasche und nahm ein halbes Dutzend in Wachsleinen gut eingepackte und verwahrte Bücher heraus, die er vor dem erröthenden, aber dankend zu ihm aufblickenden Mädchen auf den Tisch legte. „Ich hoffe, sie sind nicht naß geworden," setzte er dann hinzu, „denn ich mußte den Murray mehrere Male kreuzen, dreimal sogar mit dem Pferde schwimmen, habe sie jedoch immer auf das Sorgfältigste in Acht genommen."

      „Da ist ein Loch drin," sagte Ned, der zwölfjährige Knabe, der neugierig mit zum Tisch getreten war, und die Pakete ziemlich ungenirt in die Hand nahm und betrachtete.

      „Das sieht gerade so aus, als ob eine Kugel hineingeschlagen wäre," rief Georg, der die Stelle in dem Paket ebenfalls beschaute und sie dann seinem Vater reichte.

      „Und es sieht nicht allein so aus," lachte der Fremde, „sondern ist auch wirklich der Fall gewesen. Das Buch hat mir, wenn nicht das Leben gerettet, doch mich jedenfalls vor einer vielleicht ebenfalls tödtlichen Schußwunde in das Bein verwahrt. Das Pistol ging mir in der Holster los, und die Satteltasche, die ich gerade vor mir auf's Pferd gehoben, um einige Provisionen herauszunehmen, fing zu meinem Heil den Schuß auf. Hoffentlich ist Ihnen das Buch nicht sehr beschädigt worden, denn der dicke Einband und das festgepreßte Papier haben die Kugel wohl nicht weit hineingelassen. Ich hatte noch nicht einmal Zeit danach zu sehen."

      „Und Sie waren vielleicht nicht einmal im Bereich menschlicher Hülfe?" frug die Mutter, besorgt die Hände faltend.

      „Weite, weite Strecken von irgend einer menschlichen Wohnung, von menschlichem Mitleiden entfernt," sagte der junge Mann ernst; „tief im Busche drin, selbst ohne Wasser und von einem Schwarm von Schwarzen bedroht, die der unglückselige Schuß sogar auf meine Spur brachte. Wäre ich nur einigermaßen schwer verwundet worden, so hätte ich ihnen unbedingt in die Hände fallen müssen. Nur Miß Sarah's Bücher haben mich geschützt." /21/

      „Das getroffene Buch soll mir da immer ein liebes Andenken daran sein," sagte Sarah bewegt - „aber mußten Sie sich denn solcher Gefahr aussetzen?"

      „Solcher Gefahr?" lachte der junge Mann, „fragen Sie einmal Ihren Vater, Ihre Brüder, ob sie nicht ähnlichen Zufällen fast in jeder Woche ihres Lebens hier im Busche ausgesetzt sind? Ein Pferd kann beim wilden, halsbrechenden Ritt mit ihnen stürzen; ein gereizter Stier sich auf sie werfen und sie verstümmeln oder tödten; ein Schwarm von Schwarzen einmal plötzlich den einzelnen Reiter im Busche überfallen -"

      „Oder ein Buschrähndscher uns hinter einem Gum eine Kugel durch's Hirn jagen," bestätigte lächelnd Mr. Powell - „vor solchen Sachen sind wir allerdings nicht sicher."

      „Vor Buschrähndschern doch wohl," meinte lächelnd der Gast, „denn so viel ich weiß, hat man von solchen lange nichts gehört."

      „Lange nichts gehört?" rief Georg - „da in der neuesten Zeitung steht eine große Geschichte von Einem, der entwischt ist, und aus dessen Einbringung oder Kopf die Regierung hundert Guineen gesetzt hat."

      „Hundert Guineen?" wiederholte erstaunt Mac Donald, „aber wie ist das möglich? Ich komme jetzt direct von Melbourne, und müßte doch von einem solchen ganz außergewöhnlichen Falle ebenfalls etwas gehört haben. Hundert Guineen - ich erinnere mich allerdings eines solchen Falles, aber - von welchem Datum ist denn Ihre Zeitung?"

      „Von welchem Datum? ich habe wahrhaftig noch nicht einmal nachgesehen," erwiderte John, die fragliche Nummer dabei wieder unter den übrigen heraussuchend - „doch wohl gewesen – nun freilich, die Karren sind eine ganze Weile unterwegs gewesen.“

      „Die Ochsenkarren haben die Neuigkeit mitgebracht?“ lachte Mac Donald, „das ist nicht übel."

      „Ach hier ist das Blatt. Vom 15. - ja freilich, das ist etwas spät - vom 15. December vorigen -Jahres."

      „Und jetzt haben wir April," sagte der Gast — „ja, dann kann Ihre Zeitung


Скачать книгу