Die beiden Sträflinge. Gerstäcker Friedrich
gebe Gott!" erwiderte, sein Glas dem gebotenen entgegenbringend, mit einem recht aus tiefster Brust geholten Seufzer der junge Mann, und leerte es auf einen hastigen Zug. Ein lautes „ku—ih!" von draußen, der gewöhnliche Zuruf der Schwarzen untereinander, den sich übrigens auch die Weißen im Innern des Landes angeeignet haben, tönte in diesem Augenblick herüber.
„Aha, da sind unsere schwarzen Gäste schon," lachte Mr. Powell; „das ließ sich denken, daß die nicht viel Zeit versäumen würden, von der erhaltenen Erlaubniß Gebrauch zu machen. Uebrigens thun sie höchstens beim Abziehen einigen Schaden, denn so lange sie an der Station lagern, hüten sie sich gar sehr, von irgend fremdem Eigenthum etwas anzurühren."
„Wenn sie das aber beim Abschied thun, so setzen sie sich /31/ doch stets, sollten sie den Platz einmal später wieder besuchen, einem rauhen und unfreundlichen Empfang aus," meinte Mac Donald.
„Daran denken sie nicht," erwiderte Mr. Powell. „Die Burschen haben untereinander übrigens irgend eine Art von moralischem Gesetzbuch - nach so luftigen Grundsätzen dieses auch entworfen sein mag - und irgend welche Bestimmungen und Ordnungen unter sich. Wir Weißen kennen überhaupt bis jetzt nur die alleräußerste Schale ihres politischen wie geistigen Lebens, und geben uns, aufrichtig gesagt, auch entsetzlich wenig Mühe, eine bessere Kenntniß von ihnen zu erlangen. Nach dem aber, was ich bis jetzt in meinen langjährigen Erfahrungen von ihnen gesehen und erlebt habe, scheint cs mir, daß hinsichtlich solcher und selbst anderer, schwererer Vergehungen eine Art Verjährungsrecht unter ihnen besteht, vermöge dessen nach einer gewissen Zahl von Monaten von irgend einer unangenehmen Sache nicht mehr gesprochen werden darf. So sind mir mehrere Fälle vorgekommen, daß Schwarze, nachdem sie einen Weißen erschlagen, plötzlich spurlos aus der Gegend verschwanden und von keinem nach ihnen Suchenden wieder aufgefunden werden konnten, bis sie plötzlich, gewöhnlich nach sechs Monaten, ganz ungenirt und von selbst wieder zum Vorschein kamen, und so unbefangen mitten in die Polizei hineinliefen, als ob sie mit der ganzen früheren Sache von Mord und Blut auch nicht das Mindeste zu thun gehabt hätten. Einige von ihnen haben sich auf diese Weise auch wirklich dem beleidigten Gesetz freiwillig oder vielmehr unbewußt in die Hände geliefert, und schienen bei dem ersten Verhör sehr entrüstet darüber zu sein, daß man jetzt noch einmal eine Geschichte aufrühre, die schon „sechs Monde alt wäre."
„Das allerdings gäbe auch mir den Schlüssel zu manchen von ihren Handlungen“, sagte Mac Donald – „aber wollen wir nicht einmal lieber zu ihnen hinausgehen? Aufrichtig gesagt, kam mir heute, als ich an dem Stamm vorbeiritt, der Gedanke, ob ich nicht einen oder zwei von diesen Burschen bewegen konnte, mit mir in den Busch zu gehen irgend einem Weidegrund zu suchen." /32/
„Ich würde Ihnen doch nicht rathen, sich mit ihnen einzulassen," sagte Mr. Powell.
„Trauen Sie ihnen um Gottes willen nicht," warnte ihn auch Mrs. Powell - „sie sind Alle falsch, selbst die besten unter ihnen, und sollten Sie sich einen der schwarzen Menschen noch so sehr zu Dankbarkeit verpflichtet haben, so dürfen Sie es doch nicht wagen, ihm, wenn Sie mit ihm allein sind, den Rücken zuzukehren. Hat er seine Keule in der Hand, so kann er der Versuchung nicht widerstehen, Sie zu Boden zu schlagen."
„Darin liegt allerdings viel Wahres" versicherte Mr. Powell. „Im Sidney-District, in dem ich doch eigentlich meine Schafzucht begann, hatte ich in der damals noch ziemlich wilden Gegend einen Nachbar - einen Schotten - der sich der Schwarzen ungemein annahm und einen jungen Burschen von sechzehn Jahren, dem er als Kind einmal das Leben gerettet, stets mit sich herumführte. Der junge Bursche war ihm auch wirklich ergebener, als ich es je von einem Schwarzen gesehen hatte. Einmal aber sind sie zusammen draußen im Wald, um einen Baum umzuhauen; auf einmal kommt der Schwarze mit einer blutigen Axt allein und heulend und schreiend zur Station gelaufen, und klagt sich mit den aufrichtigsten Zeichen der Reue und des Schmerzes selber an, seinen Herrn ermordet zu haben. Seiner eigenen Aussage nach hatte er, mit der Axt in der Hand, neben ihm gestanden und der Versuchung, als er ihm einmal den Rücken zukehrte, nicht widerstehen können, nach ihm zu schlagen. Der Schlag hatte den Tod des Unglücklichen zur Folge, und der Schwarze war im Anfang außer sich, seinen Wohlthäter getödtet zu haben. Als sie ihn aber dieser That wegen einsperren wollten, fand er Gelegenheit zu entspringen und hat sich nie wieder in der dortigen Gegend sehen lassen."
„Das sind einzelne Fälle," sagte Mac Donald; „ich kenne dagegen andere Beispiele, nach denen sich Schwarze treu und ehrlich bewiesen haben, allerdings immer nur während eines sehr kurzen Zeitraums, denn daß ihnen auf die Länge zu trauen wäre, möchte ich selbst nicht behaupten. Aber sorgen Sie sich nicht um mich. Wenn ich wirklich einen Schwarzen /33/ mit mir in den Busch nehme, wähle ich mir auch meinen Mann heraus und bin dann vorsichtig genug, mich mit ihm auf solch' einen Fuß zu stellen, daß er nur dann seinen Vortheil findet, sobald er sich mir eben treu zeigt, in keinem andern Fall aber einen Nutzen von mir hat."
„Sobald Sie das können, sind Sie geborgen," lachte Mr. Powell, indem er seinen Strohhut aufsetzte, „und nun wollen wir, wenn es Ihnen recht ist, einmal hinüber zu den Schwarzen gehen, die dort schon, wenn ich nicht sehr irre, ihre Gunyos herstellen und ihre Feuer anzünden. - Zum Mittagsbrod sind wir wieder zurück." Den Arm seines Gastes nehmend, der sich den Damen freundlich empfahl, schritt er gleich darauf mit diesem über den Vorplatz, der vor dem Stationsgebäude lag, hinweg und dem nächsten, sich den Häusern anschließenden Dickicht zu, von welcher Richtung her das Hacken der Tomahawks, aufsteigender Rauch und wildes Hundegekläss die Nähe der Schwarzen verkündeten.
3.
Die Schwarzen.
Kaum vierhundert Schritt von Mr. Powell’s Stationsgebäude entfernt begann der „Busch" – das heißt, einzelne starke Gumbäume standen dort parkähnlich zerstreut auf einer ziemlich zerstampften, wenigstens nicht mehr mit Gras bedeckten Uferfläche des Murray, während ein niederes Unterholz von starren, Gott weiß weshalb so genannten Theebüschen und besenartigem Gesträuch hier und da in kleinen Gruppen oder Dickichten zusammen wuchs. Die Hohe der Bäume zeigte aber hier die Nähe des Flusses an, hätte auch wirklich nicht der merkwürdige kleine Glockenvogel7, der zuverlässigste Wasseranzeiger Australiens, von Zeit zu Zeit in den /34/ Zweigen sein lustiges, fast metallisch klingendes ting-ling hören lassen.
Dicht von dem hier ziemlich schmalen Waldstreifen und vom Flusse ab, den Malleyhügeln zugekehrt, lief ein kleiner sandiger, fast kahler Hügelrücken hinauf, der zugleich die westliche Grenze der Station bildete, und dicht unter diesem, noch im Schutze der Gumbäume, war der oben beschriebene Stamm eifrig beschäftigt, die dickstämmigen Gums abzuschälen und ein leicht errichtetes Lager mit der Rinde derselben für sich herzustellen.
Die beiden Männer hatten noch etwa ein Drittheil des Wegs zurückzulegen, als ihnen aus dem Gebüsch heraus mit wüthendem Gebell eine ganze Meute lebendiger Hundeskelette entgegenstürzte und den Wald mit ihrem wolfsähnlichen Geheul erfüllte. Es waren die Hunde der Schwarzen, und eine buntere Mischung nichtswürdiger, eben nur noch in den Knochen hängender räudiger und halb verhungerter Köter war wohl noch nie in einem andern Theile der Welt versammelt gewesen. Und wovon lebten sie überhaupt? - Die Schwarzen fanden kaum für sich selber Nahrung genug, um im Walde ihr Leben, so wie das der Ihrigen zu fristen. Kängurus fingen ebenfalls schon an, in diesem Theile des Busches zu einer sehr seltenen Jagdbeute zu werden, und wenn die ganze Meute nicht dann und wann vielleicht einmal einen Dingo oder wilden Hund überraschte und mit Haut und Haar auffraß, blieb ihr wahrlich nichts weiter übrig, als was ihre Herren ebenfalls in Zeit der Noth mit ihnen thaten, nämlich einen unter ihrer eigenen Meute herauszusuchen, niederzuwürgen und zu verschlingen.
Die Hunde sind den Schwarzen insofern nützlich, als sie ihnen besonders das Opossum, das Walloby und manchmal auch ein Känguru jagen helfen, von denen sie dann vielleicht die Eingeweide zu fressen bekommen. Sonst müssen sic sich oft genug ihr Futter ebenso wie ihre Herren in Würmern oder Engerlingen aus der Erde graben, oder - sie leben von der Luft.
Die beiden Männer blieben stehen, einen etwaigen Angriff der Bestien mit einem rasch aufgegriffenen Holz abzuwehren, /35/ und Mr. Powell sah sich nach seinen eigenen Hunden um. Diese hatte aber Georg, der noch einmal den Fluß hinabgesprengt war, mit fortgenommen. Die Schwarzen selber bemerkten indessen rasch die nahenden Weißen; den