Herzkalt. Joachim Kath
Auch schon gar nicht deshalb, weil man mir wahrscheinlich anmerkte, dass ich ihnen grundsätzlich nicht vertraute.
Ich beschloss, zum Schein selbst zu dealen, selbstverständlich ohne zu liefern. Gut, damit würde ich ein nicht ganz kleines Risiko auf mich nehmen, von verdeckten Drogenfahndern gestellt zu werden. Doch im Falle eines Falles konnte ich denen meine Story und mein Motiv darstellen. Außerdem hatte ich keine Ware und folglich würden sie kein einziges Gramm bei mir finden können. Eine Nacht in Polizeigewahrsam wäre vermutlich der Höchstpreis.
Also machte ich mich an Leute in dem Restaurant heran, von denen ich annahm, sie könnten an Drogen Interesse haben und erzählte ihnen, aus der Türkei, genauer aus Kurdistan, sei eine reinrassige Sendung H4 angekommen. In irgendeinem Zeitungsbericht hatte ich davon gelesen und natürlich existierte der Stoff nur in meiner Phantasie.
Offenbar sprach sich die gestreute Botschaft in der Szene schneller herum als ich gedacht hatte. Denn als ich am nächsten Tag kaum meinen Stammplatz in dem Bistro wieder eingenommen hatte, meinte ich, von mehreren Seiten misstrauisch beäugt zu werden. Irgendwie spürte ich, dass Blicke auf mich gerichtet waren. Bald darauf setzten sich vermehrt junge Leute an meinen Tisch, obwohl noch woanders genügend Platz war und fingen harmlose Gespräche über das Wetter und Elvis an, um dann schließlich ziemlich übergangslos auf die Mohnfelder von Ostanatolien zu kommen. Meine gezielt verbreiteten Informationen verfehlten offenbar ihre Wirkung nicht.
Doch die Zeit drängte! Wenn ich diesen selbst gewählten Part glaubwürdig durchhalten wollte und die mir unbekannte Organisation, in deren Absatzrevier ich eingedrungen war, nicht über Gebühr reizen wollte, musste die Sache jetzt schnell über die Bühne. Möglichst noch bevor mein Angebot bis zu deren Entscheidungsstruktur vorgedrungen war und sie mir einen vermutlich für mich wenig erfreulichen Besuch abstatten ließen. Wer mag schon Drohungen, die gesundheitlich beeinträchtigend sind oder gar das Leben gefährden?
Inzwischen gab es eine ganze Reihe von Interessenten meines wohlfeilen Angebots. Nicht alle waren mir geheuer und passten in das Schema meiner Vorstellungen. Außerdem hatte ich einen Auswahlpunkt revidiert und ein Pärchen in die engere Wahl genommen. Sie nannten sich Lisa und Mike, angeblich beide Studenten, die mir noch am vertrauenswürdigsten erschienen. Lisa war klein und dunkelhaarig, Mike mehr als einen halben Kopf größer und strohblond. Eigentlich war mir das Paar fast zu auffällig und eine Einzelperson wäre mir lieber gewesen, aber sie wirkten nicht so heruntergekommen und verschlagen wie die anderen.
Aus verständlichen Gründen forcierte ich einen Ortswechsel, nachdem ich mich entschieden hatte, es mit den beiden zu versuchen, indem ich sagte: „Passt auf, damit mich keiner bei der Polente oder anderen Dealern anschwärzen kann, denn ich gebe wirklich unverdünntes, hochwertiges Zeug weit unter Kurs ab, tauche ich jetzt unter und wir treffen uns in einer Stunde am Time Square, direkt unter der Zeittafel!“
Sie sagten zu, weil sie natürlich davon ausgingen, billig an Stoff zu kommen, und waren tatsächlich zur vereinbarten Zeit da. Ich beobachtete sie erst einmal einige Minuten aus größerer Entfernung, konnte aber keinen verdächtigen Begleiter entdecken und wir gingen dann gemeinsam in ein Schnellrestaurant, nur ein paar Blocks weiter.
„Die Sache ist die“, eröffnete ich dann ziemlich direkt Lisa und Mike, „ihr bekommt von mir keine Drogen, sondern Geld. Was ihr damit anstellt, ist eure Sache. Für das Geld müsst ihr mir einen Gefallen tun.“
„Komm, Lisa!“ sagte Mike, „wir gehen!“
„Erst einmal hören, was das für ein Gefallen ist“, sagte Lisa.
„Kenne ich schon“, meinte Mike abfällig, „ es ist immer etwas Kriminelles. Einen Gefallen tun ist das Synonym dafür. Und wenn man außerdem noch Geld bekommt, sowieso. In diesem Geschäft gibt es nichts für nichts. Und alles muss teuer bezahlt werden.“
„In keinem Geschäft gibt es etwas für nichts!“ sagte ich.
„Nun sagen sie schon, was Sie von uns wollen!“ sagte Lisa.
„Es gibt da einen Mann, der mit Drogen dealt, für den ich mich interessiere. Ich gebe euch Geld, damit ihr bei ihm etwas kaufen könnt. Er darf nicht wissen, dass ihr mich kennt. Ich möchte weiter nichts als möglichst viele Informationen über diesen Mann.“
„Sie sind Drogenfahnder, stimmt es?“ sagte Mike triumphierend.
„Ich habe mit der Polizei nichts zu tun. Der Mann, um den es geht, kennt mich nicht. Aber ich kenne ihn. Und ich habe mit ihm voraussichtlich noch eine private Rechnung zu begleichen. Im Moment gehe ich davon aus, dass er mir etwas schuldet.“
„Geld natürlich“, sagte Mike, „ es geht immer um Geld dabei!“
„Eher um die Wahrheit!“ sagte ich.
„Ganz so übel wie ich dachte, klingt die Geschichte nicht“, sagte Lisa neugierig.
„Und wo ist der Pferdefuß“, fragte Mike und blickte skeptisch.
„Wenn ihr klug seid und schweigen könnt, gibt es keinen. Ich bezahle euch eure Tagesration H und ihr kauft den Stoff bei ihm. Dabei findet ihr heraus, was er für ein Mann ist, wer mit ihm zusammenlebt, wen er kennt.“
„Und wenn er uns fragt, weshalb wir auf ihn zugehen, woher wir wissen, dass er dealt?“
„Dann erfindet einfach etwas: Sagt beispielsweise, da sei so ein Typ gewesen, ihr wart gemeinsam auf einem Trip und da wolltet ihr natürlich wissen, woher er diesen phantastischen Stoff hat. Zuerst wollte er nicht mit der Sprache heraus, aber weil ihr den Nachnamen dieses Freundes sowieso nicht kanntet, was in der Drogenszene durchaus üblich ist, ging er ja selbst kein Risiko ein, wenn er seinen Dealer nennt.“
„Ziemlich dünnes Blech“, sagte Mike.
„Mach’ die Geschichte fetter und glaubhafter! Die eigentliche Frage ist doch: Macht ihr mit oder nicht?“ sagte ich.
„Okay, okay, verlockend ist der Job schon!“ sagte Lisa. „Na ja, so ein paar sichere Mäuse könnten wir schon gebrauchen, angesichts der Ebbe in unserem Portemonnaie“, stimmte auch Mike schließlich zu.
„Gut, wenn ihr meint, wir wären im Geschäft, dann setzen wir jetzt einen kurzen handschriftlichen Vertrag auf, in dem ihr euch verpflichtet, Stillschweigen zu bewahren über alles, was mit diesem Job zusammenhängt. Mir ist egal, wer von euch den Text schreibt, aber ihr müsst beide unterschreiben. Es ist zugegebenermaßen eine sehr einseitige Vereinbarung, in der ich nicht auftauche. Es ist weiter nichts als ein Versprechen, das ihr mir gegenüber abgebt. Wenn ihr dieses Versprechen brecht, werde ich euch finden und dieses Stück Papier präsentieren. Was dann außerdem noch passiert, hängt davon ab, wie sich die ganze Sache entwickelt hat.“
„Und wenn wir uns weigern, einen solchen Wisch zu verfassen?“ fragte Mike.
„Dann verabschiede ich mich!“ sagte ich.
Sie diskutierten noch ein bisschen, ob sie nun sollten oder nicht. Denn ich hätte sie ja mit einem solchen Papier in der Hand, weil ihnen die Schrift als ihre nachzuweisen wäre, und ich könnte sie wo ich wollte ans Messer liefern, bei den Dealern und bei der Polizei. Es sei unfair, ihre Situation auszunutzen und dergleichen.
„Jetzt will ich euch mal was sagen“, wurde es mir fast zu bunt. „Ihr seid süchtig, das wisst ihr. Kann man Süchtigen trauen? Nein, das kann man nicht. Warum nicht? Weil ihr euch noch nicht einmal wirklich selbst vertraut. Süchtige machen sich ständig etwas vor. Ich will euch nichts unterstellen, aber ihr wisst doch ganz genau, dass es für die meisten Süchtigen ganz schwer bis unmöglich ist, clean zu bleiben. Entweder ihr übernehmt jetzt ein Stück weit Verantwortung, damit ich euren guten Willen sehe, oder das Geschäft ist an euch vorbei gelaufen und ihr müsst wieder über Beschaffungskriminalität nachdenken.“
Nun, das wollten sie dann doch lieber nicht, weil es äußerst mühsam war und auch nicht ganz ungefährlich. Also verfassten sie das gewünschte Schreiben auf einem Blatt Papier, das ich ihnen gab und ich steckte es ein. Mir war schon klar, dass es keine juristische und formale Bedeutung hatte. Im Grunde hätte ich es auch lassen können, darauf zu bestehen, aber