Todesritter. Anna-Lina Köhler
ein leises Wiehern aus, das jedoch seltsamerweise eher an das Brüllen eines Löwen statt an den rufenden Laut eines Pferdes erinnerte. Der Hengst spitzte die Ohren, wartete auf weitere Befehle seines Herrn, während der Reiter davonritt.
Mit ihm verschwand der Nebel. Mit ihm verschwand die Kälte.
Wandel
Enago saß neben Keira, lehnte mit dem Rücken gegen die harte Höhlenwand. Der Griff des schwarzen Schwertes lag auf seinem Schoß. Er konnte die Augen nicht davon abwenden, sie waren daran gefesselt. Das Silber glänzte im Licht der Fackeln und obwohl der Griff aus Metall gefertigt worden war, wog er im Kampf nicht mehr als ein großer Ast. Enago nahm ihn in die Hand und hielt ihn leicht schräg von sich gestreckt. Seine Augen wanderten an ihm entlang, so als ob er etwas an ihm entdecken wollte.
Keiras kleine Hand nahm ihm den Griff schließlich ab. Als ihre Finger das kalte Metall berührten, zuckte sie kurz zusammen. Doch es war nicht die Kälte, es war die Ehrfurcht, den Griff des schwarzen Schwertes zu berühren, weshalb sie eine Gänsehaut bekam. Es war eines von vieren, eines von vier schwarzen Schwertern. Sie waren vollkommen und mit sonderbaren Kräften ausgestattet worden. In der Hand ihres ehrwürdigen Besitzers glichen sie seine Schwächen aus und unterstützen seine Stärken im Kampfe.
Zwei der Waffen wurden damals den Todesrittern ausgehändigt, zwei weitere, noch sonderbarer und rätselhafter als ihre Vorgänger, der Todes Tochter. Als der erste Todesritter starb, wurde sein Schwert mit ihm begraben, es sollte für alle Zeit mit ihm unter der Erde ruhen, die Verantwortung seiner Macht nie mehr in andere Hände übergeben werden. Mit Hilfe von Rufus und Viridis besiegte die Todes Tochter den Schatten und sperrte ihn für die Ewigkeit in den schwarzen Stein, nachdem sie herausgefunden hatte, dass das angeblich so mächtige Artefakt seine Kraft schon lange an sie weitergegeben hatte.
Von dem Schwert des zweiten Todesritters jedoch war nur noch der silberne Griff übrig. Im letzten Kampf gegen die Höllenkreatur war auch der letzte Todesritter gefallen, durchbohrt von einem Schattendiener. Als er zu Boden gegangen war, hatte er sein Schwert fallen gelassen. Seine schwarze Schneide war in tausend Stücke zersprungen, nur der Griff war übriggeblieben und diesen Rest hielt Enago nun in der Hand.
„Warum hat er ihn dir gegeben?“ Keira blickte Enago fragend aus ihren großen blauen Augen an.
Der junge Mann seufzte. „Ich weiß es nicht genau, es ging alles so schnell.“
Sie gab ihm den Griff wieder und Enago legte ihn vorsichtig neben sich auf den Boden.
„Er hat gesagt, dass Lia immer einen Todesritter an ihrer Seite haben muss, dass sie einen Beschützer braucht. Sie sei noch so jung und unerfahren. Ich muss sie weiterhin beschützen.“
Keira stieß einen leisen Pfiff aus. „Soll das etwa heißen …?“
Enago nickte. „Ich bin der dritte Todesritter“, vollendete er ihren Satz und dabei lagen weder Stolz noch Fröhlichkeit in seinem Blick, sondern Trauer und Zweifel.
Die junge Frau stieß ein kurzes Lachen aus, doch auch ihre Seele war verletzt von dem Verlust Ragons und den Schmerzen, die dies mit sich trug. „Du weißt, dass das eine bedeutende Aufgabe darstellt. Du bist dir hoffentlich darüber im Klaren, was du mit diesem Schwert erhalten hast!“
Wieder nickte Enago. „Ich habe eine Aufgabe erhalten.“
„Eine Aufgabe und eine Verantwortung, die wohl kaum größer sein könnten!“
Aus Keiras Worten hörte Enago, dass sie sich um ihn sorgte. Er wusste, dass sie befürchtete, er könnte scheitern.
„Ja, ich bin mir der Verantwortung durchaus bewusst“, murmelte er leise.
Plötzlich überzog ein trauriges Grinsen seine Lippen.
„Welch eine Ironie“, flüsterte er. „Vor ein paar Monaten noch war ich der festen Überzeugung, meine Aufgabe wäre es, dem Schatten zu dienen, zusammen mit ihm die Todes Tochter zu vernichten. Und jetzt stehe ich auf der anderen Seite, mit dem Wissen, dass meine Aufgabe zwar mit der Todes Tochter in Verbindung steht, jedoch anders, als ich es mir je erträumt hätte!“
Keira legte ihm ihre warme Hand auf den Arm und sah ihn mit ihren wunderschönen blauen Augen an.
„Und das ist auch gut so!“
Enagos Blick wanderte zu ihrem Gesicht, zu ihren Lippen. Schon seit Anbeginn ihrer Reise, seit er sie das erste Mal gesehen hatte, fühlte er sich zu ihr hingezogen. Es waren nicht nur ihr bildschönes Äußeres, ihre wasserblauen Augen, ihr langes blondes Haar und ihre makellose Haut. Es war vielmehr ihr gesamtes Erscheinungsbild. Ihr Auftreten war respekteinflößend, ihre Art liebevoll und mitfühlend. Wenn sie ihn anlächelte, vertrieb sie die Dunkelheit in seiner Seele, brachte ihn mit einem kurzen Zwinkern dahin, seine Sorgen zu vergessen. Doch so bezaubernd sie auch sein konnte, in ihr steckte ebenfalls eine unerbittliche Kämpferin.
Keira hielt einen kleinen Dolch in ihrem rechten Ärmel versteckt und verstand sich nur allzu gut darauf, mit ihm Kehlen aufzuschlitzen. Doch selbst ihr Kampf war die Anmut selbst, wirkte eher wie ein unschuldiger Tanz als ein blutiges Morden. Für einen kurzen Augenblick verlor sich Enago in ihren wasserblauen Augen. Doch bevor er in ihnen zu ertrinken drohte, wandte er seinen Blick von ihr ab und starrte auf die gegenüberliegende Höhlenwand. Zu gerne würde er ihr seine Gefühle beichten, ihr sagen, wie sehr er sie bewunderte, doch dafür fehlten ihm der Mut und der richtige Augenblick.
„Enago …?“ Keiras Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er blickte sie kurz überrascht an. Sie deutete mit dem Kopf wieder auf den Schwertgriff in seiner Hand.
„Die Klinge zerbrach, als der Todesritter starb.“ Enago musste schlucken. Er ahnte, was sie als nächstes fragen würde.
„Wie willst du mit einem Schwert kämpfen, das niemanden mit seiner Schneide verletzen kann?“
„Ich …“ Der junge Mann biss sich auf die Unterlippe. „Als ich mit Ragon sprach, sagte er mir, dass sich die Schneide neu bilden werde. Sie werde sich genau dann wieder bilden, wenn ich etwas Selbstloses getan und mich damit als würdig erwiesen habe.“
„Aber hast du das nicht bereits?“, fragte die Seherin. Enago seufzte.
„Ja, das dachte Ragon auch. Er sagte mir, dass meine Tat selbstlos gewesen sei und das Schwert sie mit Sicherheit anerkennen werde.“
Der junge Mann brach kurz ab. Er erinnerte sich nur zu gut an den Tag des Kampfes. An diesem Tag hatte sich das Schicksal der Todes Tochter erfüllt, sie hatte den Schatten gefangen und somit der Welt ewiges Leid erspart. Davor jedoch hatte der Schatten ihn als Verräter enttarnt. Es war seine Aufgabe gewesen, die Todes Tochter zu fangen, damit sein ehemaliger Meister sie töten konnte. Doch während seiner Reise hatte er sich geändert. Er hatte den menschlichen Schattendiener Margoi getötet und seinen Gefährten somit seine Treue bewiesen – er war kein Schattendiener mehr.
„Diese Tat war wohl nicht selbstlos genug“, mutmaßte er. „Auf jeden Fall hat sich die Klinge bis jetzt noch nicht neu gebildet und ich befürchtete, dass sie das auch nicht tun wird!“
„Das darfst du nicht sagen.“ Keira schüttelte mit ernster Miene den Kopf. „Die schwarzen Schwerter wurden mit Magie erschaffen und Magie kann manchmal sehr eigenwillig sein. Du wirst schon sehen, du wirst die Waffe bald vollständig in deinen Händen halten.“
„Aber was ist, wenn ich ihrer nicht würdig bin? Ragon vertraute mir, er hat mir sein Schwert überlassen, um Lia zu beschützen. Ich würde ihn enttäuschen, nachdem er mir so viel Ehre im Moment seines Todes erwiesen hat. Er hat sich entschieden, mir für meine Taten zu vergeben. Ich will nicht, dass er es bereuen muss!“
„Er wird es nicht bereuen!“ Keiras Stimme klang ernst und doch sprang von ihr ein Fünkchen Hoffnung in Enagos Seele über.
„Ob alles von Anfang an vorherbestimmt war?“
Enago legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die