Todesritter. Anna-Lina Köhler

Todesritter - Anna-Lina Köhler


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      „Ich meine, ob es wohl vorherbestimmt war, dass beide Todesritter sterben und ich dann einen ihrer Plätze einnehme?“

      „Nichts geschieht einfach so“, erklärte Keira. „Jeder von uns hat ein Schicksal, einen Weg, der seit Beginn unserer Zeit für jeden von uns vorherbestimmt wird. Vielleicht hast du nun deinen richtigen Pfad gefunden.“ Der junge Mann seufzte.

      „Die ersten beiden Todesritter haben im Kampf gegen den Schatten ihr Leben gelassen. Ich besitze nun eines der schwarzen Schwerter, ich bin der dritte Todesritter.“ Enago brach abrupt ab und sah der Seherin mit ernster Miene entgegen.

      „Was willst du damit sagen?“, fragte sie leise.

      „Ich will sagen, dass ich, indem ich vom Schattendiener zum Todesritter wurde, mein Schicksal nicht erneut besiegelt habe. Als Diener der dunklen Kreatur lebte ich in ständiger Angst. Mein Leben lag in der Hand meines ehemaligen Herrn. Er entschied, wer wann den Weg in die Hölle beschreitet. Ich wäre auch gestorben, das ist gewiss, wenn Lia nicht gewesen wäre.“

      „Ja!“ Keira nickte. „Aber nun ist es anders. Nun bist du bei uns. Du hast dich und dein Leben verändert. Du bist nicht mehr länger einem anderen ausgeliefert, der über die Dauer deines Lebens entscheidet.“

      Ein mattes Lachen entfuhr der Kehle des jungen Mannes.

      „Verstehst du nicht, Keira? Verstehst du nicht, was ich dir zu erklären versuche?“ Er holte kurz Luft.

      „Es war bisher die Bestimmung der Todesritter, für ihre Aufgabe zu sterben. Lucio und Ragon waren brillante Schwertkämpfer und besaßen sogar eine magische Begabung, dennoch fanden sie letztlich den Tod. Warum sollte das bei mir nun anders sein? Als Schattendiener war es mein Schicksal zu sterben und als Todesritter wird das nicht anders sein!“

      Eine bedrückende Stille breitete sich im Raum aus. Keira öffnete kurz den Mund, wollte etwas sagen, doch es drang kein Laut heraus. Schließlich schloss sie ihn wieder und starrte ebenfalls an die schwarze Decke.

      Enago hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Als sie in die Höhle gegangen waren, war es Abend gewesen. Die Sonne war langsam hinter den Bergen verschwunden und der Mond hatte sich blass am Himmel gezeigt. In der Orbis-Höhle waren die einzige Lichtquelle die Fackeln, deren blauer Schein Schatten an die Wände warf und sie tanzen ließ. Das schimmernde Licht ließ die ohnehin schon bedrückende Stimmung endgültig erfrieren. Ob es schon mitten in der Nacht war oder schon der nächste Morgen? Enago war nicht begierig, es herauszufinden. Er war müde, sein Gesicht war gezeichnet vom Kampf. Jetzt, da es vorbei war, konnte er sich erholen. Doch wie lange war das noch möglich? Vielleicht würde er bald seine ewige Ruhe finden.

      „Du irrst dich“, wandte Keira plötzlich ein.

      „Wie bitte?“

      „Ich sagte, du irrst dich!“ Sie wandte den Blick von der dunklen Decke ab und sah ihm tief in die Augen.

      „Du wirst nicht sterben, nur weil du das schwarze Schwert angenommen hast. Du bist nun Herr deines Willens.“

      „Wie kannst du dir da nur so sicher sein?“

      Die Seherin zuckte lediglich mit den Schultern. „Ich weiß es einfach. Ich weiß, dass du es schaffen wirst. Du bist stark, Enago. Es ist nicht das Schicksal der Todesritter, zu sterben. Lucios Tod war tragisch und sinnlos. Aber Ragon hat ihn nicht gefürchtet. Ich glaube, er hat es gewusst.“

      Enago runzelte die Stirn. „Wie konnte er es gewusst haben?“

      „Erinnerst du dich noch, als das Orakel mit ihm gesprochen hat?“

      Der junge Mann nickte. Kurz bevor sie aufgebrochen waren, den Schatten in einem einzigen, endgültigen Kampf zu besiegen, hatte das Orakel mit Lia, dann mit ihm und schließlich mit Ragon in einem kleinen Raum neben der Haupthalle der Höhle gesprochen.

      „Wie ist es möglich, dass Lysia seinen Tod voraussah? Sie ist doch keine Zeitseherin.“

      „Ich weiß es nicht. Aber ich kann mir vorstellen, dass sie durch die Göttin Kräfte erlangt hat. Vielleicht hat sie sie im Traum besucht, ihr von dem tragischen Ereignis berichtet. Surah triff manchmal rätselhafte Entscheidungen, aber sie trifft sie immer mit Bedacht.“

      Enago schlug die Augen nieder, ließ sich ihre Worte eine Weile lang durch den Kopf gehen.

      „Aber wie konnte er das alles so leicht hinnehmen? Warum hat er nicht mit Lia geredet und sich von ihr verabschiedet?“

      Keira biss sich auf die Unterlippe. „Er wollte sie gewiss nicht damit belasten. Sie hätte sich von ihrer Aufgabe abgewandt und versucht, ihn zu schützen. Außerdem bin ich mir sicher, dass es für ihn so leichter war, von uns zu gehen.“

      „Wie kann es leicht sein, zu sterben? In meiner gesamten Zeit als Schattendiener habe ich mich nie damit abgefunden, zu sterben! Jeden Tag sah ich Menschen sterben. Täglich sind sie verreckt und das manchmal auch durch mein Zutun. Und dennoch blieb der Funke der Furcht an mir haften, selbst einmal gehen zu müssen.“

      Die Seherin lächelte belustigt. Enago hatte schon immer viel gefragt. Seine Neugier gefiel ihr, seine Augen verrieten seine Gefühle, seine Gedanken, wenn er die Antwort erfuhr.

      „Lucio war für Ragon wie ein Bruder gewesen, er hat sich mit seinem Tod nicht abfinden können und deshalb fiel es ihm leichter, zu sterben.“ Sie seufzte. „Aber ich denke, dass er sich vor seinem Tod Vorwürfe gemacht hat. Schließlich musste er Lia alleine zurücklassen!“ Sie verstummte, ihr Blick wanderte zu ihren Stiefeln.

      Enago merkte, dass sie ihre Gefühle versteckte und nur äußerlich ruhig blieb. In ihrem Inneren musste es anders aussehen. Er war sich sicher, denn auch sein Innerstes glich einem einzigen Chaos. Es fiel ihnen schwer, über dieses Thema zu reden, denn keiner von ihnen wollte die Ehre des zweiten Todesritters verletzen und dabei spielte es keine Rolle, dass er tot war. Sie hatten einen guten Freund verloren und obwohl der Schatten besiegt und für immer weggesperrt worden war, schien alles nicht wirklich. Sie müssten glücklich sein, erleichtert und froh, das Böse besiegt zu haben. Aber genau das Gegenteil war der Fall. Enago konnte nicht sagen warum, aber er war sich sicher, dass ihr Kampf noch nicht vorbei war.

      Der kleine Handspiegel reflektierte sie. Wie lange sie schon in ihn hineinstarrte, vermochte sie nicht zu sagen. Vielleicht waren es Minuten, vielleicht aber auch Stunden. Es war seltsam, sich selbst im Spiegel zu erblicken und dennoch eine Fremde zu sehen. Das Mädchen, das immer an das Gute in den Menschen geglaubt, das der Dunkelheit mit einem Lächeln entgegengeblickt hatte, war verschwunden. Die Gestalt, die sie mit einem grimmigen Blick ansah, war sie es wirklich? Das Mädchen besaß eine bleiche, weiße Haut. Unter ihren Augen zeichneten sich tiefe Ringe ab, doch sie wirkte nicht einmal erschöpft. Es war das Leid, das aus ihr sprach. Sie hatte gewusst, dass der Kampf sie zeichnen würde, aber sie war überrascht gewesen, als sie sich selbst in die Augen geblickt hatte. Früher waren sie dunkel gewesen, fast schwarz, sodass man ihre Pupille nicht mehr hatte sehen können. Nun waren sie rot. Rot wie Blut, starrten sie sie aus dem kleinen silbernen Handspiegel an. Sie neigte den Kopf leicht zur Seite, so als ob sie noch immer daran zweifelten würde, dass sie es wirklich war. Doch es gab keinen Zweifel an ihrem Wandel. Sie hatte sich verändert und das nicht nur äußerlich. Lia erinnerte sich.

      Als sie vor Ragons Grab gekniet hatte, war etwas mit ihr geschehen. Der Schmerz über seinen Verlust war so unendlich groß gewesen, hatte sie so viele Tränen gekostet. Sie war an seinem Grab eingeschlafen und der Regen hatte für sie weiter geweint. Als sie aufgewacht war, war der Schmerz verschwunden. Sie wusste nicht wohin oder wer ihn genommen hatte, aber sie war sich sicher gewesen, dass sie diese Gefühle nicht noch einmal erleben wollte. Die Frage nach dem Warum hatte sie sich zu oft gestellt. Sie hatte es hingenommen, dass er nicht mehr zurückkommen würde Aber das Wie hatte sie tief erschreckt. Es waren eine Gleichgültigkeit und eine Kälte in ihrem Inneren aufgetreten, so wie sie es zuvor noch nie verspürt hatte. Dieses Gefühl war nicht verschwunden, es war geblieben und nun war es ein Teil von ihr. Sie würdigte der Gestalt im Spiegel noch einen letzten Blick, dann legte sie ihn auf den Tisch neben sich und ließ sich auf einen der Stühle fallen. Ihr Blick


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