Angriff der Keshani. Lina-Marie Lang
aus Angst erkannt zu werden - war das zu erkennen.
„Es sieht nicht aus, als bereite sich die Stadt auf einen Angriff vor", sagte Tinju.
„Nein. Tut es nicht", bestätigte Nadira.
„Was geht hier vor?", fragte Tinju.
Es gab nicht viele Möglichkeiten, was der Grund dafür sein könnte. Entweder hatte Brancus die Dynari noch nicht gewarnt oder die Dynari glaubten ihm nicht.
„Denkt Ihr, Brancus würde die Stadt gefährden, um seinen Arsch zu retten?", fragte Callanor.
„Ich weiß es nicht", sagte Nadira. „Bis gestern hätte ich es nicht einmal ihm zugetraut so etwas zu tun."
***
Gegen Mittag war Darecs Geduld endgültig erschöpft. Er hämmerte unablässig gegen die Türe. Zu Anfang wurde er ignoriert. Sie gingen wahrscheinlich davon aus, dass er dem schnell überdrüssig werden würde, aber diesen Gefallen tat er ihnen nicht.
Sie ließen sich fast eine halbe Stunde Zeit. Eine halbe Stunde gegen eine Türe hämmern war anstrengend, und Darec war schon kurz davor aufzugeben. Aber schließlich flog die Türe plötzlich auf. Darec musste sich mit einem Sprung in Sicherheit bringen, um nicht von der Türe getroffen zu werden.
„Es reicht", schrie ein Wächter ihn an. „Hör sofort auf dem Lärm."
„Beantworte mir nur eine Frage", sagte Darec.
Der Wächter zögerte kurz. „Was willst du wissen?"
„Hat Dyna Sirdyna die anderen Städte schon informiert?"
Der Wächter sah Darec an, als hätte dieser den Verstand verloren. „Worüber sollte sie die anderen Städte informieren?"
„Ihr wisst es immer noch nicht?" Jetzt war es an Darec zu starren, aber vor Ungläubigkeit. Konnte es wirklich sein, dass Brancus sie noch nicht gewarnt hatte? Sie waren nun bereits seit einem Tag in der Stadt. Sie hatten keine Zeit zu verlieren.
„Was sollen wir wissen?", fragte der Wächter, seine Stimme hatte einen lauernden Unterton. War es möglich, dass die Dynari nur die Wächter noch nicht informiert hatten? Aber das war sehr unwahrscheinlich. Die Wache musste sich auf die Verteidigung der Stadt vorbereiten. Sie hatten keine Zeit für Verschwiegenheit.
„Der bevorstehende Krieg?", fragte Darec.
Der Wächter lachte. „Krieg? Mach dich nicht lächerlich. Es gibt keinen Krieg." Der Wächter drehte sich um, um das Zimmer wieder zu verlassen. „Was hat diese Verräterin nur mit dem armen Kerl gemacht?", murmelte er. Dabei machte er einen großen Fehler. Er wandte Darec den Rücken zu.
Für eine Sekunde zögerte Darec. Es missfiel ihm, einem Kameraden in den Rücken zu fallen. Aber ging hier um wichtigere Dinge als Respekt innerhalb der Wache, es ging um die ganze Stadt, vielleicht um ganz Alluria. Mit einem schnellen Schritt sprang Darec nach vorne. Er riss beide Arme nach oben, legte die Fäuste ineinander und ließ sie dann mit aller Kraft in den Nacken des Wächters krachen. Der fiel um wie ein Getreidesack, der von einem Wagen geworfen wurde.
Darec nahm dem Wächter das Schwert und den Dolch ab. Er hoffte, dass er keine der beiden Waffen einsetzen musste, aber falls doch, wollte er vorbereitet sein. Es blieb keine Zeit auch die Rüstung des Mannes anzuziehen. Er musste verschwinden, ehe er bemerkt wurde.
Das größte Problem vor dem Darec stand, war, dass er das Gebäude nicht kannte. Er wusste nicht, wo er war, wo Aurel und Brancus sich befanden, und auch nicht, wo der Dyna Sirdyna finden würde.
Darec eilte durch die Gänge und rannte dabei fast in eine Gruppe Diener. Anstatt wie erwartet um Hilfe zu rufen, machten sie nur Witze darüber, dass er aufpassen sollte, wen er umrannte. Offenbar wussten die Menschen hier nicht, dass er ein Gefangener war. Oder sie gingen davon aus, dass man ihn wieder freigelassen hatte und er somit keine Gefahr darstellte.
Das Haus der Dynari in Giagan war ganz anders als das in Seraint. Während das Haus von Dyn Arthos eine Anlage war, die aus mehreren Gebäuden bestand, schien das Haus der Dynari in Giagan ein einziges, großes Gebäude zu sein. Darec hatte bei der Ankunft in der Stadt ein riesiges Gebäude gesehen, einen Turm, der sich weit über die anderen Gebäude erhoben hatte. War er in diesem Turm?
Es dauerte nicht lange, bis er auf die nächste Gruppe von Dienern stieß. „Entschuldigt bitte", sagte er. „Wisst ihr, wo ich Dyna Sirdyna finden kann? Ich habe eine wichtige Nachricht für sie."
„Sie ist im Audienzzimmer", sagte einer der Diener.
„Wo finde ich das?", fragte Darec.
Die Diener schmunzelten. „Du bist neu hier, oder?"
Darec nickte.
„Am Anfang kann man sich hier leicht verirren", sagte einer der Diener. „Ich zeige dir den Weg."
„Das wäre sehr nett", sagte Darec.
Sie verließen die anderen und Darec folgte seinem Führer durch die verwirrenden Gänge des Hauses. Es ging über mehrere Treppen nach oben. „Was für eine Nachricht hast du für die Dyna, wenn es nicht geheim ist?", fragte der Diener schließlich.
„Ihr werdet es sowieso bald erfahren", sagte Darec. „Alluria steht ein Krieg bevor."
Der Diener blieb stehen. „Ein Krieg?", fragte er. Sein Gesicht zeigte eine Mischung aus Überraschung und Schrecken, zu denen sich bald auch noch Misstrauen gesellte.
„Ja. Deshalb muss ich so schnell wie möglich mit der Dyna sprechen", sagte Darec.
Der Diener zögerte noch eine Sekunde. Er wusste nicht, was er von diesem fremden Krieger halten sollte, aber er wusste auch, dass die Dyna in der Lage war, sich zu schützen, sollte der Mann ein Attentäter sein. Außerdem war die Dyna nie alleine. Also führte er Darec bis vor den Audienzsaal. „Hier ist es. Warte, bis man dich hereinholt."
Aber Darec wollte nicht warten. Sie hatten schon einen ganzen Tag hier verbracht, einen ganzen Tag verloren. Hoffentlich war es nicht schon zu spät. Er trat an die Türe und stieß sie einfach auf. Der Diener stieß ein schockiertes Keuchen aus und rief Darec etwas nach, was dieser aber ignorierte.
Hinter der Türe lag ein langer Saal, gegenüber der Türe stand eine Art Thron und daneben ein Tisch mit mehreren Stühlen, von denen einer ein kleinerer Thron war. Auf diesem kleineren Thron saß seine Frau in mittleren Jahren. Sie unterhielt sich gerade mit einem Mann, der in feine Klamotten gekleidet war. Als Darec die Türe aufstieß, sah sie auf und wandte sich ihm zu.
Außer den beiden vorne am Thron, die Frau musste Dyna Sirdyna sein, befanden sich noch mehrere andere Leute hier, die in kleinen Gruppen im Raum verteilt standen, außerdem gut ein Dutzend Wachen. Zwei davon traten nun in Darecs Weg und hielten ihn auf.
„Du wurdest nicht hereingebeten", sagte eine der Wachen.
„Ich habe eine äußerste wichtige Nachricht für Dyna Sirdyna und ganz Alluria", sagte Darec. „Sie kann nicht warten."
„Das sagen alle", sagte die Wache.
Als Darec ihm erklären wollte, was auf dem Spiel stand, flog hinter ihm plötzlich wieder die Türe auf. Ein wütender Brancus stampfte in den Saal. „Ihr da", rief er den Wachen zu. „Nehmt den Mann fest. Er ist ein entlaufener Gefangener."
Die Wachen gingen sofort in Kampfhaltung und sahen Darec grimmig an. „Keine Dummheiten", sagte einer zu Darec.
Darec drehte sich langsam zu Brancus um. „Du Verrückter hast sie nicht gewarnt."
„Hüte dich, in diesem Ton mit mir zu sprechen", sagte Brancus. „Ich bin ein Dynari, du bist nur mein Hüter."
„Ich bin Nadiras Hüter", schrie Darec.
„Ihr seht, er steht noch immer unter Einfluss der Verräterin", sagte Brancus. „Nehmt ihn endlich fest und sperrt ihn weg."
„Was ist hier los?" Alle drehten sich gleichzeitig um. Direkt hinter den Wachen stand Dyna Sirdyna.
„Nur