Angriff der Keshani. Lina-Marie Lang
wollen wir nicht", ging Nadira dazwischen. „Es waren sogar mehrere Warge."
„Mehrere?", fiel Callanor ihr ins Wort.
„Der Warg, der Lledar getötet hat, war nicht der, der auf dem Hügel stand", erklärte Nadira. „Er war kleiner, wahrscheinlich jünger.
„Und wer seid Ihr?", fragte die Wache nun.
„Ich bin Dyna Nadira."
„Eine Dyna? Uns wurde nichts von der bevorstehenden Ankunft einer Dynari mitgeteilt."
„Niemand wusste, dass wir kommen würden", sagte Nadira. Sie war erschöpft und wollte ihre Zeit und Energie nicht mit einer Wache verschwenden. „Wir müssen so schnell wie möglich zum Haus der Dynari und mit Dyna Sirdyna sprechen."
„Ich kann Euch nicht so einfach ins Haus der Dynari bringen. Ihr habt nichts, was euch als Dynari ausweist."
„Mein Diadem wurde zerstört", sagte Nadira.
Die Wache machte eine Geste zu seinen Kollegen und mehrere von ihnen lösen sich von der Menschenmenge und kamen auf sie zu. Würden sie sie zum Haus der Dynari begleiten?
Ehe die Wachen bei ihnen ankamen, drang ein Ruf von den versammelten Menschen hinüber. „Die waren es! Sie haben diese Bestien hergeführt."
Die Wachen zogen die Waffen und bildeten einen Kreis um Nadira und ihre Gefährten. Darec legte die Hand an den Griff seines Schwertes, Tinju tat dasselbe, aber Nadira hielt sie zurück.
„Das ist nicht wahr. Wir waren das nicht."
„Sie hat den Wald angezündet", rief jemand aus der Menschenmenge.
„Sie sind schuld, dass mein Mann tot ist", rief eine Frau.
Plötzlich riefen die Menschen wild durcheinander. Die einzelnen Rufe waren nicht mehr zu verstehen, aber es war deutlich, dass es Rufe des Zorns waren.
Brancus griff in die Satteltasche, seines Pferdes und zog sein Diadem hervor. Er setzte es auf und sande eine kleine Menge Ashara in den Kristall, um ihn zu leuchten zu bringen. Der Beweis dafür, dass er ein Dynari war. Die Menge verstummte nicht ganz, aber wurde zumindest ruhiger.
Die Wachen verneigten sich.
„Ich bin Dyn Brancus aus Seraint und verlange sofort zum Haus der Dynari gebracht zu werden. Ich bringe wichtige Nachrichten für Giagan und ganz Alluria", sagte er mit fester Stimme. Endlich war diese Diskussion zu Ende. Die Wache erkannte natürlich das Diadem und die Echtheit des Fokussteins, und würde sie zu den Dynari bringen.
„Wie ihr wünscht, Dyn", sagte die Wache. „Was ist mit den anderen?"
Brancus sah seine Gefährten einen nach dem anderen an. Nadira konnte in seinem Gesicht nicht ablesen, was in ihm vor sich ging. Er löste sich von seinem Pferd und kam auf Nadira zu.
Was dann passierte, kam so überraschend und schnell, dass Nadira keine Chance hatte zu reagieren. Er machte plötzlich einen Satz nach vorne, etwas metallenes blitze auf, berührte Nadira am Hals, ein Metallring schnappte zu. Darec, Aurel, Callanor und Tinju riefen erschrocken auf.
Nadiras Ashara entwich so plötzlich, dass ihr schwindelig wurde. Sie verlor die Kontrolle über ihren Körper und stürzte zu Boden. Darec sprang nach vorne und wollte sich zwischen Brancus und sie schieben, aber erst hielt Brancus ihn zurück, dann wurde er von mehreren Wachen gepackt und weggezogen.
Brancus beugte sich über Nadira, er sagte etwas, was Nadira aber nicht verstand. Dann spürte sie einen Ruck an ihrem Hals. Als Brancus sich wieder aufrichtete, hatte er ihren Fokusstein in seiner Hand.
Nadira kämpfe das Schwindelgefühl herunter, nur mit Mühe war sie in der Lage sich auf das zu konzentrieren, was um sie herum passierte. „Diese Frau ist eine Verräterin", rief Brancus. „Sie ist mit dem Feind im Bunde und sie ist gefährlich."
„Bist du verrückt geworden?", rief Darec.
„Sie ist eine Ashari", fuhr Brancus unbeirrt fort. „Dieser Mann ist mein Hüter und diese Frau meine Dienerin, aber die Verräterin hat sie mit Ashara kontrolliert."
„Wir können eine Ashari nicht gefangen halten", sagte die Wache. „Wir müssen sie sofort zu den Dynari bringen."
Brancus winkte ab. „Ihr werdet mich zu den Dynari bringen. Die Verräterin ist nicht mehr gefährlich. Der Ring um ihren Hals raubt ihr das Ashara. Sie ist jetzt nicht gefährlicher als eine Dienstmagd."
„Seid Ihr Euch sicher?" Natürlich hatte die Wache noch nie zuvor von diesen Halsbändern gehört. Auch Nadira hatte sie erst vor wenigen Wochen kennengelernt, auf die harte Tour.
Noch mehr Wachen tauchten auf und bildeten einen Ring um die Gruppe. Nadira wurde von zwei Männern in die Höhe gezogen, auch Darec wurde von zwei Männern in Schach gehalten, für Aurel reichte einer. So zog die Gruppe durch die Stadt. Am Rande konnte Nadira noch die Rufe der Menschen hören, voller Wut und Hass.
An einem großen Platz hielten sie an. Brancus unterhielt sich mit der Wache, doch Nadira konnte nicht verstehen, was sie sagten. Darec und Aurel konnten es offensichtlich, denn es machte sie wütend und ein Streit brach aus. Darec wurde von zwei Männern weggezerrt.
Schließlich führten die beiden Wachen, die Nadira eigentlich eher trugen als führten, sie nach vorne. Jetzt erkannte auch sie, was Darec und Aurel so wütend gemacht hatte. Mitten auf dem Platz stand ein hölzernes Podest und auf dem Podest ein Pranger. Brancus würde doch nicht … aber die Wachen schleppten sie genau dorthin.
„Der Pranger ist eine Strafe", protestierte die Wache. „Ich kann nicht einfach jemand ohne Urteil in den Pranger stecken."
„Wollt Ihr Euch meinen Befehlen widersetzen?", schrie Brancus die Wache an.
„Ich will Euch nur auf das Gesetz hinweisen."
„Ich kenne die Gesetze. Diese Frau ist schuld an einem Krieg, der gerade ausbricht. Sie hat es verdient."
„Ein Krieg?" Die Wache sah zu Nadira. Jede Spur von Widerstand gegen Brancus Befehle war aus seinem Gesicht gewichen. „Packt sie in den Pranger."
Nadira konnte nicht glauben, was sie da hörte. Aus den Augenwinkeln sah sie Brancus, der mit einem gehässigen Lächeln zusah, wie sie auf den Pranger zu geführt wurde.
Die Wachen klappten den oberen Teil auf und legten Nadiras Arme und ihren Kopf in dafür vorgesehenen Löcher, dann klappten sie den oberen Teil wieder herunter und setzten sie so fest. Die Höhe des Prangers war so gewähnt, dass Nadira sich nach vorne beugen musste. Eine extrem unbequeme Position.
„Lasst zwei Wachen hier, damit ihr niemand etwas antut", sagte Brancus. Wenigsten soviel Anstand besaß er noch. Wie befohlen blieben zwei Wachen bei Nadira zurück, die anderen zerrten Darec und Aurel fort.
Um das Podest herum versammelte sich langsam eine Menschenmenge. Nadira hatte keine Illusion, dass die beiden Wachen die Menschen davon abhalten könnten, sie zu lynchen, wenn die Menge das versuchte. Aber zumindest jetzt war es noch nicht soweit.
Die Menschen bildeten ein Kreis um das Podest und immer wieder erklangen Rufe wie, „Hängt sie", „Bringt das Miststück um" und ähnliche Nettigkeiten.
Wie schon in Miragar verlor Nadira bald das Zeitgefühl. Der ständige Entzug von Ashara schwächte sie so sehr, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte. Sie fühlte sich benommen und konnte sich nur mit viel Mühe konzentrieren. In dieser Situation war sie darüber aber nicht unglücklich, so wurden ihr die Schmerzen durch die unbequeme Position im Pranger erspart.
Irgendwann traf sie etwas am Kopf. Es tat weh und traf sie nur wenige Zentimeter neben ihrem Auge. Ein Stückchen weiter links, und sie hätte vielleicht ihr Auge verloren. Weitere Geschosse schlugen neben ihrem Kopf ein. Ein paar Mal wurde sie auch getroffen, aber diese Treffer waren weniger hart. Es dauerte eine Weile, bis Nadira realisierte, was sie da traf: fauliges Obst. Die Leute bewarfen sie mit fauligem Obst! Die beiden Wachen, die auf sie aufpassen sollten, machte keinerlei Anstalten, die Menschen davon abzuhalten.