Angriff der Keshani. Lina-Marie Lang
ausreichen. Nadira versuchte es, sie griff nach dem Ashara und sandte es von sich weg. Es klappte.
Jemand berührte ihre Hand, versuchte ihre Finger aufzubiegen. Nadira griff nach dem Ashara und schickte es gegen die Wache. Ein Schrei zeigte ihr, dass sie getroffen hatte, die Hand verschwand. Schritte eilten auf sie zu. Sie sah die zweite Wache vor sich. Ehe der Mann etwas unternehmen konnte, fegte sie ihm mit dem Ashara aus ihrem Fokusstein von den Beinen.
Als Nächstes sprengte sie den Pranger. Nur durch Glück verletzte sich dabei nicht selbst. Während Nadira vom Pranger weg stolperte, versuchte sie sich mit dem Ashara zu heilen, aber es klappte nicht. Die Energie wurde weggezogen, ehe sie ihr helfen konnte. Halb blind in der Dunkelheit, verwirrt vom Verlust all ihrer Kraft und mit schmerzenden Muskeln, stolperte Nadira davon. Plötzlich war kein Boden mehr da und sie stürzte. Hart schlug sie auf dem steinernen Boden des Platzes auf. Der Fokusstein fiel ihr aus der Hand, prallte mit einem singenden Laut auf den Boden und rollte weg. Von einem Augenblick auf den anderen war auch dieser winzige Punkt Stabilität im Sog des Halsrings verschwunden. Das Chaos stürzte über Nadiras Geist herein und für einige Augenblicke wusste sie nicht, wo sie war, nicht einmal wer sie war.
Hatte sie die Wachen ausgeschaltet, oder nur kurzzeitig aus dem Weg geschafft? Nadira stemmte sich auf alle Viere und suchte nach dem Stein. Er war nicht da. Schritte näherten sich. Panik stieg in Nadira auf, wo war dieser verdammte Stein?
Ein Schrei erklang und ein dumpfer Stoß. Schritte in ihrer unmittelbaren Nähe. Hände packten sie an den Hüften, zogen sie nach oben. Nadira schrie und versuchte sich zu wehren.
„Ich bin es, Callanor", rief eine Stimme. Nadira hörte die Worte aber verstand sie nicht. Eine Hand schlug ihr auf die Wange. Nadira hob den Blick und sah ein vertrautes Gesicht vor sich.
„Callanor", hauchte sie.
„Ja. Ich bin es. Und wir müssen weg hier."
„Der Fokusstein", keuchte Nadira.
„Ich hab ihn", rief jemand.
„Tinju hat ihn. Schnell jetzt." Callanor trug Nadira mehr, als dass sie selbst ging. Sie konnte immer noch kaum einen klaren Gedanken fassen, aber immerhin wusste sie eines: Sie war frei.
***
Nadira wusste nicht, wohin sie sie gebracht hatten. Aber sie wusste, dass der Weg ziemlich weit gewesen war. Wahrscheinlich wollten sie sie so weit wie möglich von dem Pranger wegbringen. Allerdings durften sie nicht riskieren die Stadt zu verlassen. Draußen lauerten wahrscheinlich noch immer die Wölfe.
Sie befand sich in einem kleinen Raum, der sich unter der Erde zu befinden schien. An den Wänden schien immer wieder die blanke Erde durch. Zwar waren Wände und Boden mit Steinen verstärkt, aber die Erbauer schienen keine talentierten Handwerker gewesen zu sein. Da sie unter der Erde waren, vermutete Nadira, dass sie sich in irgendeinem Keller befanden.
Nadira setzte sich auf. Sie hatte sich viel zu abrupt bewegt und die ganze Welt drehte sich plötzlich um sie. Nur mit Mühe konnte sie verhindern, wieder umzufallen. Sie krallte sich an irgendein Ding aus Holz, das ganz in ihrer Nähe stand.
„Geht es wieder?"
Nadira öffnete die Augen aber schloss sie sofort wieder, da die Welt sich immer noch drehte. Nach einer Weile versuchte sie es noch einmal. Jetzt war es etwas besser, die Welt hatte gebremst. Vor sich erkannte sie ein verschwommenes Gesicht, in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Aber trotzdem schaffte sie es. Es war Tinju.
„Geht es wieder?", fragte er noch einmal.
Nadira nickte, und bereute es sofort wieder, als die Welt sich wieder schneller zu drehen begann. „Nimm mir das Ding ab", sagte sie.
„Kann ich das so einfach?" Tinju schien von dem Halsring etwas abgeschreckt zu sein. Nadira konnte es ihm nicht verübeln. Eigentlich wusste sie nicht einmal, was passierte, wenn man es einfach abnahm. Aber es konnte nicht schlimmer werden, als es jetzt schon war.
„Nimm es einfach ab", sagte sie.
Tinju streckte die Hand nach dem Halsring aus, aber zögerte erst. Dann stahl sich ein Ausdruck von Entschlossenheit auf sein Gesicht und er griff zu. Er untersuchte den Ring genauer, aber schnell zeichnete sich Verwirrung auf seinem Gesicht ab.
„Was ist los?", fragte Nadira. „Nimm es ab."
„Ich … es hat kein Schloss. Es scheint einfach ein komplett geschlossener Ring aus Metall zu sein. Ich finde keinen Anfang und kein Ende."
Wahrscheinlich war es einfach zu dunkel hier, um das Scharnier und das Schloss zu sehen. Immerhin war sich ziemlich sicher, dass Brancus es ihr einfach umgelegt hatte und dass er keinen Schlüssel hatte, mit dem er es abschließen konnte. Hoffentlich schloss es sich nicht von selbst ab und ließ sich nur mit dem Schlüssel öffnen, dann würde Nadira das Ding nie mehr loskriegen.
Tinju drehte den Ring langsam an Nadiras Hals und schien ihn dabei mit den Fingerspitzen abzutasten. „Ich finde einfach nichts. Das ist alles total glatt."
„Wo ist Callanor?", fragte Nadira um das Thema zu wechseln. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was es bedeutete, wenn man das Ding wirklich nicht mehr entfernen konnte.
„Er schläft dort hinten", sagte Tinju und deutete auf einen dunklen Umriss auf der anderen Seite des Raumes. Nadira hatte nicht erkannt, dass es sich dabei um einen Menschen handelte.
„Ich fürchte, ohne genug Licht, kann ich Euch nicht helfen", sagte Tinju. „Ich finde einfach das Schloss nicht."
Nadira seufzte. „Schon gut. Ich werde versuchen ein wenig zu schlafen." Sie war sich ziemlich sicher, dass das nicht wirklich klappen würde, aber das musste Tinju nicht wissen. Und vielleicht reichte die Erschöpfung ja doch, um sie einschlafen zu lassen. War es ihr in Miragar auch so schwer gefallen, sich an den Halsring anzupassen? Sie hatte den Eindruck, dass es damals nicht so schlimm gewesen war.
„Könnt Ihr nicht den Fokusstein nutzen, um das Ding irgendwie … aufzubrechen?"
Die Idee hatte was. Aber sie hatte auch einen Schwachpunkt. „Der Stein hat nur begrenzte Energie und ich weiß nicht genau, was ich versuchen sollte. Außerdem glaube ich, dass er Ring das Ashara einfach absorbieren würde."
„Oh", machte Tinju.
„Versuchen wir zu schlafen", sagte Nadira und legte sich hin. Wie erwartet klappte das Einschlafen nicht. Zwar wollte ihre Erschöpfung sie immer wieder in den Schlaf ziehen. Aber der Sog in ihrem Geist und das dadurch entstehende Chaos waren zu groß, als dass sie sich hätte entspannen können.
Irgendwann musste sie dann doch noch eingeschlafen sein, denn das Nächste, woran sie sich erinnern konnte, war Callanor, der sie weckte. Es war nicht mehr ganz so dunkel hier drin und Nadira konnte endlich mehr erkennen, als nur schattenhafte Umrisse.
Sie waren tatsächlich in einem Keller, und wie Nadira schon vermutet hatte, bestand er aus Erde und Lehm, die mit einigen Steinen verstärkt worden waren. Sie waren nicht in einem reichen Haus. Das hölzerne Ding, an dem sie sich festgehalten hatte, war ein Fass. Es standen noch mehrere solche Fässer hier unten. Was sich darin befand war nicht zu erkennen.
„Gut geschlafen?", fragte Callanor.
Nadira schüttelte den Kopf. Zu ihrem Erstaunen wurde ihr davon nicht schwindelig. Sie schien sich doch ein wenig erholt zu haben. Sie fühlte sich auch mehr ganz so schlapp und hatte mehr Kontrolle über ihre Gedanken. Trotzdem fühlte sie noch immer den Sog. Ein tiefes Loch in ihrem Inneren, das alle Energie aufsog. Es war ein grauenhaftes Gefühl. Wer auch immer diese Dinger geschaffen hatte, war grausam gewesen. Allerdings konnte sie auch verstehen, dass solche Dinger erschaffen worden waren. Es gab sonst kaum eine Möglichkeit, einen Ashari unter Kontrolle zu halten.
„Kannst du mir dieses Ding abnehmen?", fragte Nadira und griff dabei an den Halsring.
„Ich kann es versuchen", sagte Callanor. Wie auch bei Tinju stahl sich schnell Verwirrung auf sein Gesicht. „Es ist ein geschlossener Metallring", sagte er. „Ich finde nichts, womit man ihn öffnen kann."
Wie