Schattenreich. Azura Schattensang

Schattenreich - Azura Schattensang


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bleischwer an. Gehetzt sah sie sich nach einem Versteck um. Dann sah sie eine Gruppe von niedrigen, moosbewachsenen Felsen. Erleichterung durchströmte sie.

      Mit letzter Kraft fand sie eine kleine, höhlenartige Vertiefung zwischen den Felsen. Nicht, dass es das perfekte Versteck gewesen wäre, aber so musste man schon genauer hinsehen, um sie zu entdecken.

      Sie ließ sich mit dem Rücken gegen den Felsen sinken und zog ihren Mantel eng um sich. Ihr Körper war ein einziger Schmerz. Vorsichtig betastete sie den Riss an ihrem linken Oberschenkel. Blut benetzte ihre Finger. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich. Ihre Magie war nur noch ein kleiner Funke. Trotzdem nahm sie einen winzigen Teil und regte das Gewebe um die Wunde herum zur Regeneration an. Es war nicht viel, nur gerade soweit, dass die Blutung aufhörte. Ihr Kopf sackte kraftlos zurück. Sie konnte nicht einmal mehr die Augen öffnen. Dann verlor sie das Bewusstsein.

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      Vögel zwitscherten und Sonnenlicht fiel durch das dichte Blätterdach. Blinzelnd öffnete Aurelia die Augen. Sie saß noch immer in der schmalen Vertiefung zwischen den Felsen. Scheinbar hatten die Männer des Königs sie nicht gefunden. Noch nicht. Sie dachte an die vergangene Nacht.

      Dem Nekromanten dürfte es nicht viel besser gehen als ihr. Auch er hatte sehr viel magische Kraft verbraucht, als er den Aranpyones beschworen hatte. Sie wusste nicht, wie groß sein magisches Potential war, aber sie konnte sich kaum vorstellen, dass er in der Lage war, zwei solcher Monster in kurzer Zeit zu rufen.

      Langsam streckte sie ihre Glieder. Jeder Muskel schmerzte. Die Wunde an ihrem Oberschenkel sah im Tageslicht schlimmer aus, als sie befürchtet hatte. Die Wundränder waren rot und geschwollen. Da ihr linkes Hosenbein eh in Fetzen hing, riss sie es vollständig ab, trennte einen halbwegs sauberen Streifen heraus und legte einen provisorischen Verband über die Wunde. Mühsam krabbelte sie aus ihrem Versteck und sah sich um.

      Sie war mitten im Wald. Die Bäume standen so dicht, dass sie nur wenige Schritte weit sehen konnte. Sie versuchte sich daran zu erinnern, aus welcher Richtung sie gekommen war, doch die Erinnerungen waren ziemlich verschwommen und ihr Kopf begann zu schmerzen. Das machte sie darauf aufmerksam, wie ausgedörrt ihre Kehle war. Wenn sie den Tag überstehen wollte, sollte sie sich als Erstes nach etwas Wasser umsehen.

      Suchend ließ sie den Blick über den Waldboden schweifen. Für ihren geplanten Marsch würde sie einen Ast als Gehstütze benötigen. Zum Glück ließ etwas Passendes nicht lange auf sich warten und sie machte sich auf den Weg durch den Wald.

      Schnell fand sie einen Wildwechsel und folgte ihm.

      Sie warf einen Blick nach oben. Das Blätterdach war so dicht, dass sie den Stand der Sonne nicht bestimmen konnte. Sie hoffte einfach darauf, dass die Richtung einigermaßen stimmte.

      Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte sie ein leises Plätschern. Der Wildwechsel hatte sie tatsächlich an einen kleinen Bach geführt. Sie kniete an seinem Rand nieder und tauchte das Gesicht in das kalte Wasser. Gierig trank sie in tiefen Zügen.

      Ein plötzliches Geräusch ließ sie jäh auffahren.

      Mit angehaltenem Atem beobachtete sie die gegenüberliegende Seite. Holz knackte, Büsche bewegten sich, dann tauchte ein brauner Kopf auf, gefolgt von einem ebenso braunen Körper. Aurelia lachte auf. Es war ein Pferd.

      Dem Sattelzeug, das es trug, nach zu urteilen, gehörte es einem der Männer, die sie verfolgten. Es musste sich hierher verlaufen haben, nachdem sie die Pferde in der Nacht so verängstigt hatte. Vorsichtig näherte es sich dem Bach. Seine Ohren spielten nervös hin und her. Der Sattel saß schief auf seinem Rücken und die Zügel schliffen über den Boden. Dass es sich damit noch nicht verheddert hatte, wunderte sie. Langsam senkte das Pferd den Kopf und begann zu trinken.

      Der Bach war nicht sehr breit und auch nicht sehr tief, also zog Aurelia ihre Stiefel aus und stieg hinein. Das Wasser reichte ihr bis zu den Knien. Langsam watete sie durch das kalte Nass. Da sie das Tier nicht erschrecken wollte, bewegte sie sich so vorsichtig wie möglich.

      Am anderen Ufer angekommen, näherte sie sich behutsam dem Pferd. Sie streckte eine Hand aus und lockte es leise. Neugierig stellte es die Ohren auf. Mit einem Schnauben kam es näher und ließ sich von ihr streicheln. Lächelnd fuhr sie ihm mit der Hand über Maul und Nüstern. Sein Atem war angenehm warm auf ihrer Haut. Prüfend fuhr sie mit den Händen die Beine entlang und untersuchte Hals und Bauch auf Wunden, fand jedoch keine. Mit einem erleichterten Seufzen löste sie den Sattelgurt und begann das Pferd neu zu satteln. Danach stöberte sie in den Satteltaschen nach etwas Brauchbarem.

      Erfreut stellte sie fest, dass sich darin etwas Brot und Trockenfleisch befand. Sie schob sich einen Streifen Fleisch zwischen die Zähne und stöberte weiter. Zu ihrem Glück befand sich auch ein Beutel mit Heilkräutern und frischen Bandagen im Gepäck.

      „Hin und wieder ist uns das Glück doch einmal gewogen, nicht wahr, mein hübsches Pferd?“

      Das Pferd sah sie aufmerksam aus seinen tiefbraunen Augen an. Dann schüttelte es den Kopf und begann an einigen Ästen zu knabbern.

      „Na, wenn du es anders siehst?“ Seufzend entfernte sie den provisorischen Verband und ersetzte ihn durch einen neuen. Die Kräuter hinterließen einen scharfen Geruch und brannten in der Wunde, aber nach einiger Zeit verschwand das Brennen und eine angenehme Taubheit setzte ein.

      In der Satteltasche auf der anderen Seite fand sie außerdem einen Unterarm langen Dolch. Es war nicht viel, aber immerhin ein Anfang. Sie zog ihre Stiefel an und machte sich wieder auf den Weg. Zum Reiten war das Gelände zu unwegsam, also führte Aurelia da Pferd an der Hand. Zusammen setzten sie ihren Weg durch den Wald fort. Irgendwann erreichten sie eine Lichtung. Der Himmel hatte ein dunkles Blau und gemessen am Stand der Sonne war es bereits Nachmittag. Plötzlich hielt das Pferd inne und blieb stocksteif stehen. Seine Ohren spielten nervös und es begann aufgeregt zu schnauben.

      „Oh mein Kleines. Alles ist gut.“ Sie legte dem Tier beruhigend eine Hand auf den Hals und wollte es zum Weitergehen ermutigen. Doch das Pferd dachte nicht daran.

      Mit einem gewaltigen Satz sprang es herum und starrte in den Wald. Seine Flanken zitterten. Mit einem wilden Schnauben, das fast wie ein Fauchen klang, stieg es in die Höhe und warf sich herum. Aurelia musste den Kopf einziehen, um nicht von den Hufen getroffen zu werden und ließ die Zügel los. Dreckbrocken flogen umher, als es im vollen Galopp davonjagte und im Wald verschwand. Enttäuscht sah sie dem Tier hinterher, bis das unheimliche Heulen an ihre Ohren drang und es ihr kalt den Rücken hinunterlief.

      Langsam drehte sie sich in die Richtung, aus der das Heulen kam. Aus den Schatten der Bäume trat etwas hervor, dass aussah wie ein Hund. Aus dem Maul des riesigen, schwarzen Hundes ragten lange, spitze Fangzähne und seine Augen leuchteten rot. Witternd sog er die Luft ein und heulte erneut. In einiger Entfernung blieb er stehen und beobachtete sie. Es wirkte, als würde er auf etwas warten und im nächsten Moment wurde Aurelia klar auf was, oder besser gesagt, auf wen.

      Der Nekromant erschien auf der Lichtung und tätschelte dem Hund den Kopf.

      „Das hast du gut gemacht. Braver Junge.“ Ein schmieriges Lächeln legte sich auf seine Lippen. „So trifft man sich wieder. Ist heute nicht ein herrlicher Tag, um zu sterben?“

      „Sterben? Ich dachte der König wollte mich lebend?“

      „Oh, das. Leider sind wir alleine und du hast mir keine andere Wahl gelassen, als dich zu töten. Es war ein schrecklicher Unfall.“ Er hob theatralisch die Arme. „Und was ich danach mit deinem Körper mache, bleibt unser kleines Geheimnis.“ Er zwinkerte ihr zu.

      Aurelia wurde schlecht. „Na, dann komm und hol mich doch.“

      „Liebend gern.“ Er nahm die Hand vom Kopf des Hundes. „Los. Fass!“

      Wie ein von der Sehne gelassener Pfeil, schoss das Untier auf sie zu. Sie wehrte seinen Angriff mit der flachen Seite des Dolches ab und schlug mit der Faust gegen seinen Schädel. Jaulend wich das Hundewesen einige Schritte zurück, nur um erneut auf sie zu zuspringen.


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