Die Pferdelords 08 - Das Volk der Lederschwingen. Michael Schenk
klang aus Showaas Kehle. »Ich hoffe, du hattest deinen Spaß,
Showaa«, sagte er leise. »Denn jetzt müssen wir uns auf unsere Arbeit
konzentrieren.«
Der Schwingenreiter schob das Visier seines Helms nach oben. Die
Klarsteinscheibe war an der Innenseite beschmutzt und verströmte einen
unangenehmen Geruch. Anschudar hatte sie nicht rechtzeitig öffnen können,
als er sich um seinen Mageninhalt erleichterte. Er würde den Helm gründlich
reinigen müssen und war froh, dass kein anderer Schwingenreiter von seinem
Missgeschick erfuhr. Aber Showaas Lebhaftigkeit hatte ihn wirklich
überrascht. Für eine so junge Schwinge war sie ungewöhnlich schnell.
Anschudar sah sich um und achtete dabei auf das Gelände, das sie
überflogen. Sie hielten sich am östlichen Rand des mächtigen Uma’Roll.
Rechts lag die riesige Ebene von Cantarim. Nahe dem Gebirge wirkte sie öde
und leer, aber Anschudar konnte weiter im Osten ausgedehnte Waldgebiete
erkennen. Das Land begann sich von den Kriegen zu erholen, die es einst
verstümmelt hatten. Nur in der Mitte der Ebene herrschte noch immer die
sengende Öde der Wüste. Doch die würden sie nicht zu Gesicht bekommen,
denn sie mussten sich an die Ausläufer der Berge halten. Nur in den unteren
Regionen oder tiefer gelegenen Bergtälern bestand die Möglichkeit,
ausgedehnte Gelbsteinvorkommen zu finden. Noch gab es Geländemarken,
die Anschudar vertraut waren. Die Zwillingsfelsen, die wie zwei Finger in
den Himmel ragten, der kleine Wasserfall des Gebirgsbaches oder auch jener
einsame Berggipfel, der seine typische Form erhalten hatte, als ein Teil von
ihm abgebrochen war. Aber schon bald würde Anschudar ein Gebiet
erreichen, in das schon sehr lange keine Lederschwinge mehr vorgestoßen
war. Der Pass von Merdoret würde die auffälligste Geländemarke sein und
jene Grenze markieren, die Anschudar und seine Showaa als erste Angehörige
ihres Volkes überqueren würden.
Er spürte, wie Showaa sich mit einem ihrer Beine am Hals kratzte. Sie
mochte die Halteriemen der Packtaschen nicht, die man ihr noch im Horst
umgeschnallt hatte. Aber irgendwie mussten sie ihren Proviant transportieren
und auch den Gelbstein, wenn sie denn welchen fanden. Showaas
Maultentakel hielten keinen der kostbaren Brocken. Der Geruch hätte ihre
Sinne beeinflusst. Feedanaa hatte die junge Schwinge an einem Gelbstein
riechen und lecken lassen, damit sie die Witterung aufnahm. Nun war es an
Showaa, den typischen Geruch des Gelbsteins aufzuspüren, der sie zu einem
Vorkommen führen würde. Aus dieser Höhe würde das allerdings nicht
möglich sein, und so entschloss sich Anschudar, seine Schwinge in den
Tiefflug gleiten zu lassen.
Eine erfahrene Lederschwinge beherrschte es, rasend schnell und in einer
Höhe von nur wenigen Längen über den Boden zu fliegen. Sie passte ihren
Flug dem Gelände an. Ein rasches Auf und Ab und eine tödliche
Überraschung für jeden Feind, der in Bodennähe nicht mit dem Angriff eines
solch gewaltigen Flugwesens rechnete. Showaa würde dies erst noch lernen
müssen. Um den Gelbstein zu wittern, war es ohnehin erforderlich, dass sie
langsam flog, damit ihr nichts entging.
»Tiefer, Showaa«, sang Anschudar aus. »Tiiiiefer, Showaa.« Sie glitt
gehorsam nach unten, bis sie nur eine Körperlänge vom Boden entfernt war.
»So ist es gut, Showaa, so ist es guuuut.«
Die Sonne stand fast senkrecht über ihnen, und Anschudar konnte ihren
Schatten sehen, der über die Felsen hinweghuschte. Von oben sah Showaa
aus, als hätte man ein kleineres Dreieck mit der Spitze an der stumpfen Seite
eines sehr viel größeren Dreiecks befestigt. Anschudar sah fasziniert, wie die
Schatten sich veränderten, wenn Showaa dem Relief des Geländes folgte.
Ein leises Bellen ertönte und ließ den Schwingenreiter aus seinen
Gedanken schrecken. Das Zucken der Maultentakel verriet ihm, dass Showaa
etwas gewittert hatte. »Such, Showaa, suuuch.«
Die junge Schwinge glitt herum und flog ein Stück zurück, langsam und
konzentriert, während ihre Tentakel nervös hin und her zuckten. Es musste
Gelbstein sein. Es konnte gar nichts anderes sein. Anschudar starrte
angestrengt auf den Boden. Vielleicht war es nur ein kleiner Tümpel, in dem
der Gelbstein noch flüssig war und bestialisch nach faulen Eiern stank. Er
hoffte jedoch, dass es sich um ein größeres Vorkommen handelte, das zu
Brocken oder gar Steinen getrocknet war. Aber selbst wenn es nicht fest war,
konnte man das Wasser vorsichtig verdampfen und so das wertvolle Mineral
gewinnen.
Anschudar schnupperte in die Luft, als Showaa langsam zu kreisen
begann. Ihre Schwingen berührten dabei fast den Boden. Ja, er konnte es nun
selbst riechen. Das war Gelbstein, wenn auch wohl in flüssiger Form. Es
konnte nicht viel sein, denn nirgends war ein Tümpel zu erkennen, eines
dieser dampfenden Steinbecken, in denen Gelbstein entstand. Dann bemerkte
er am Boden eine braungelbe Schwade, die sich rasch verflüchtigte.
»Gut gemacht, Showaa«, lobte er und tätschelte ihren Hals.
Showaa landete mit einem sanften Nachschwingen ihres Leibes, und
Anschudar löste die Füße aus den Steigbügeln und wartete, bis sein Reittier
den Hals an den Boden legte. Nachdem er abgestiegen war, richtete sich die
Schwinge wieder auf und hüpfte von einem Bein auf das andere. Sie war
unruhig, ihre Maultentakel streckten sich der dünnen Schwade entgegen, und
die beiden Schlitzpupillen waren geweitet.
»Keine Sorge, Showaa, du bekommst etwas davon«, versicherte ihr
Anschudar. Er näherte sich dem Ursprung der Schwade, wobei er die Füße
vorsichtig aufsetzte. Von dem Tümpel war nichts zu sehen, und doch musste
er da sein, wie ihm der gelbbraune Dunst verriet. Somit war die
Gelbsteinquelle unter dem Boden verborgen.