Die Pferdelords 08 - Das Volk der Lederschwingen. Michael Schenk
Anschudar wusste, dass dies in diesem Falle
täuschte. Es gab darunter einen Hohlraum, in dem es vor Hitze brodelte, und
es wäre fatal für ihn gewesen, wäre er dort hineingestürzt. Doch wie weit
erstreckte sich der Hohlraum? Wie weit konnte Anschudar gehen, bevor der
Boden unter ihm nachgab?
Er versuchte sich an die zahllosen Ratschläge der anderen Schwingenreiter
zu erinnern. Es hatte wenig Sinn, nach einem Stock zu suchen, mit dem er
hätte tasten können. In der Nähe wuchs nicht einmal einer jener
verkümmerten Bäume, die gelegentlich in den höheren Gebirgslagen zu
finden waren. Steine und Felsbrocken gab es reichlich. Doch erstere waren zu
klein, um die Belastbarkeit des Untergrundes durch einen Wurf zu prüfen,
und letztere zu schwer, um sie überhaupt zu bewegen. Halt. Der
Gelbsteintümpel war heiß. Der Boden müsste erwärmt sein. Zumindest dort
wo die Gesteinsdecke über dem Tümpel nur dünn und somit für ihn
gefährlich war.
Anschudar ging in die Hocke und prüfte mit der Handfläche die Wärme
des Bodens, bewegte sich ein Stück vorwärts und legte die Hand erneut flach
auf den Grund. Nachdem er auf diese Weise wenige Längen in seltsam
watschelnder Gangart zurückgelegt hatte, seufzte er entsagungsvoll und
streckte sich flach hin. Obwohl nun die Steine gegen seinen Körper drückten,
war diese kriechende Fortbewegung doch weit bequemer. Langsam robbte er
auf die aufsteigende Gelbsteinschwade zu und nahm erleichtert zur Kenntnis,
dass der Boden unter ihm wärmer wurde. Na also, auf diese Weise ging es.
Doch wie weit konnte er sich vorwagen, und wie brach er den Boden auf, um
an die Flüssigkeit zu gelangen?
Showaa schnupperte erregt mit den Maultentakeln. Anschudar
konzentrierte sich auf den Untergrund und achtete nicht auf die junge
Lederschwinge, die immer unruhiger wurde. Schließlich stieß sie ein heiseres
Maunzen aus und machte einen Satz, der sie an die Seite ihres Reiters brachte.
Obwohl Showaa nicht sonderlich schwer war, gab ihr zusätzliches Gewicht
den Ausschlag. Anschudar hörte ein bedrohliches Knacken, dann brach der
Boden unter ihm weg.
Während er einen entsetzten Schrei ausstieß und verzweifelt versuchte,
sich herumzuwerfen, ließ Showaa ein empörtes Zischen hören und schaffte
es, sich mit der Kraft ihrer Schwingen in die Luft zu erheben. Eine von ihnen
streifte dabei unabsichtlich Anschudar. Vielleicht war dies sein Glück, denn
der Stoß, so unsanft er auch war, schleuderte den Reiter ein Stück nach oben.
Gerade weit genug, dass er sich mit den Händen am Rand des Felsbruchs
festhalten konnte. Panisch klammerte er sich fest und spürte dabei die Hitze,
die aus dem freigelegten Gelbsteintümpel aufstieg. Fauliger Gestank breitete
sich aus und raubte ihm fast die Sinne. Schweiß drang aus seinen Poren, und
er fürchtete den Dampf, der ihn verbrühen könnte, noch bevor er den Halt
verlor. Seine Finger krallten sich in den felsigen Grund.
Anschudar war in einer misslichen Lage. Seine Kräfte reichten nicht aus,
sich weiter hinaufzuziehen, und bald würden sie nachlassen. Dann würde er
rücklings in den heißen Brodem des flüssigen Gelbsteins stürzen und bei
lebendigem Leib gekocht werden. Diese Aussicht spornte den
Schwingenreiter zu einer letzten Kraftanstrengung an, aber es gelang ihm
dennoch nicht, sich zu retten. Den Tod vor Augen, suchte er fieberhaft nach
einer Lösung. Er versuchte sich auf Showaa zu konzentrieren, fühlte und rief
ihren Namen mit Mund und Gedanken. Aber immer wieder drängte sich ihm
das Bild auf, wie er hilflos in die kochende Flüssigkeit hinabstürzte.
Dann, als er schon glaubte, den Halt endgültig zu verlieren, schob sich
unvermutet Showaa in sein Gesichtsfeld. Die Schlitzpupillen ihres Auges
fixierten ihn, und die junge Schwinge legte den Kopf ein wenig schief, als
müsste sie angestrengt überlegen, warum ihr Reiter da so zappelte und schrie.
»Hierher, Showaa«, ächzte Anschudar. »Komm hierher.«
Eher unschlüssig pendelten die Pupillen zwischen ihm und dem für
Showaa so verlockenden Gelbsteintümpel hin und her. Schließlich kam die
Schwinge zögernd näher und senkte den Schädel. Die beiden Tentakel unter
ihrem Maul streckten sich dem jungen Mann entgegen und zogen sich dann
wieder zurück.
Anschudar blieb keine Wahl. Als einer der Tentakel erneut in seine Nähe
kam, setzte er alles auf einen Wurf und packte beherzt zu. Showaa zischte
wütend. Obwohl die Tentakel muskulös waren und großer Hitze
widerstanden, waren sie doch zugleich empfindlich. Instinktiv versuchte die
junge Schwinge dem unangenehmen Druck des Griffes zu entkommen,
während ihr Reiter sich krampfhaft weiter am Tentakel festhielt. Anschudar
spürte den Schmerz, als er von der Bewegung nach oben gezogen wurde und
sein Bauch über die Felskante schrammte. Zugleich empfand er unendliche
Erleichterung, denn Showaa hatte ihn gerettet.
Er blieb auf dem Bauch liegen und schnappte keuchend nach Luft, doch
seine Augen verrieten die Dankbarkeit, die er Showaa gegenüber empfand.
Diese aber hatte sich ein Stück zurückgezogen und sah ihn nun sichtlich
beleidigt an.
»Du bist eine gute Schwinge, Showaa«, sagte Anschudar beschwichtigend
und erhob sich, um zu ihr hinüberzugehen. »Du hast mich gerettet, das werde
ich dir nicht vergessen.«
Sie zog die Tentakel ein und wich ein Stück zurück, aber dann fasste sie
wieder Zutrauen zum weichen Klang der Stimme. Schließlich begann sie leise
zu zischen und reckte ihren Hals voller Wohlbehagen, als Anschudar sie sacht
streichelte. Durch die Berührung gelang nun auch wieder die geistige
Verbindung, die so wichtig für eine Schwinge und ihren Reiter war.
Es war an der Zeit, sich anzusehen, was sie beide da entdeckt hatten. Ohne
Zweifel