Die zwei Welten. L.R. Bäuml

Die zwei Welten - L.R. Bäuml


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die ich beantworten kann. Zum anderen, weil ich denke, dass ich dir vertrauen kann.“

      Diese Antwort überraschte ihn und er meinte:

      „Ob du das Mädchen kanntest, ist eine Frage, die du nicht beantworten kannst, aber ob du dich an die Leiterin des Waisenhauses erinnerst schon?“

      Seine Verwirrung schien sie zu amüsieren, denn sie sagte lächelnd:

      „Wenn ich dich frage, ob du mich kennst, würdest du dann mit ja oder nein antworten? Kennt man jemanden, den man ab und zu gesehen hat, oder kennt man jemanden erst, wenn man alles über ihn weiß? Kann man wirklich alles über jemanden wissen? Ob man sich an jemanden erinnert hingegen ist sehr viel einfacher zu beantworten.“

      „Warum hast du denn dann nicht wenigstens das Gleiche gesagt, was du mir gerade eben gesagt hast?“, wollte er wissen.

      „Hätte das nicht wie ein Ablenkungsmanöver ausgesehen? So, als ob ich die Frage nicht beantworten wollen würde, weil ich mit der Antwort preisgeben würde, dass ich etwas getan habe, das ich nicht preisgeben möchte? Ich hielt es von daher für schlauer, gar nicht zu antworten.“, sagte sie nüchtern.

      Nach kurzem Überlegen musste er sich eingestehen, dass sie wohl Recht hatte. Auf der anderen Seite konnte er nicht ganz herausfinden, ob sie nun besonders schlau war, oder ein Spiel mit ihm spielte. Sie musste bestimmt wissen, was unter dem Wort ‚kennen‘ verstanden wird. Natürlich wollten sie nicht wissen, ob sie das Mädchen ‚kannte‘, sondern ob sie ihm schon einmal begegnet war und so weiter.

      Er formulierte die Frage von daher um:

      „Weißt du, dass das Mädchen Anna hieß?“

      „Nein.“, antwortete sie.

      „Hattest du sie zuvor schon einmal gesehen?“, fragte er.

      „Ja, auf den Gängen. Ihr Klassenzimmer muss wohl in der Nähe von einem gewesen sein, in dem ich Kurse hatte.“, antwortete sie.

      „Hattest du jemals mit ihr gesprochen?“, fragte er daraufhin.

      „Nicht, dass ich mich erinnern könnte“, antwortete sie.

      „Hast du irgendeinen Grund, sie nicht zu mögen?“, fragte er.

      „Nein.“, antwortete sie.

      „Ist dir bewusst, dass du die einzige Person warst, die sich mit ihr auf der Mädchentoilette befand, während sie starb?“, wagte er zu fragen.

      „Was genau verstehst du unter Person?“, fragte sie.

      Er sah sie etwas verdutzt an und sagte dann:

      „Ein menschliches Lebewesen?“

      „Dann ist mir bewusst, dass ich die einzige Person war.“, sagte sie.

      Mehrere Gedanken schossen ihm gleichzeitig durch den Kopf: Ist sie verrückt oder besonders clever? Spielt sie ein Spiel, um etwas zu verheimlichen? Vielleicht will sie ihn einfach nur aufs Korn nehmen? Sollte er nicht doch lieber seinen Kollegen mit einschalten? Sein Gefühl sagte ihm jedoch, dass er dran bleiben sollte; daher fuhr er mit dem erstbesten fort, das ihm einfiel:

      „War ein anderes Lebewesen, außer euch beiden, in dem Raum?“

      „Angenommen du verstehst unter Lebewesen jegliche Art von Leben, dann ist die Antwort wohl ja.“, sagte sie und hinterließ nur weitere Fragezeichen in seinem Kopf.

      „Du meinst es war ein Tier, das sie getötet hat?“, sprudelte es aus ihm heraus.

      „Nein, kein Tier.“, sagte sie.

      „Was für eine Lebensart war dann anwesend?“, fragte er während er sämtliche Science-Fiction-Filme, die er kannte, durchging. Aliens? Wohl kaum.

      „Ich weiß es nicht genau. Keine, die ich jemals zuvor gesehen beziehungsweise gespürt habe.“, antwortete sie.

      Diese Antwort machte ihn allmählich wütend. Er war sich mittlerweile sicher, dass sie ein Spiel mit ihm spielte. Oder wollte er nur einfach nicht wahrhaben, dass ihre Geschichte, so unglaubwürdig sie auch schien, doch stimmen konnte? Sie schien seinen inneren Kampf zu spüren und blickte ihn fragend und leicht traurig an. Anscheinend wollte sie, das er ihr glaubte und die Wahrheit, oder besser gesagt ihre Wahrheit, selber entdecken würde, indem er weitere Fragen stellte.

      Also gut, nur noch eine letzte Frage und dann würde er das hier beenden:

      „Hast du sie umgebracht?“

      „Wen? Die Lebensart, oder das Mädchen?“, fragte sie zurück.

      Ungeduldig und genervt konterte er:

      „Sowohl als auch!“

      Langsam antwortete sie:

      „Die Lebensart wohl leider nicht und das Mädchen…“, sie senkte ihren Blick und flüsterte „…indirekt schon.“

      Er war so erstaunt und erschrocken über ihre Antwort, dass sich zusammen mit der Wut und den eigentlich positiven Gefühlen ihr gegenüber ein Gefühlschaos in ihm breit machte. Er musste hier raus und ein weiteres Verhör musste ebenfalls stattfinden! Als er sich rasch zur Tür begab, räusperte sie sich hinter ihm, so dass er sich automatisch zu ihr umdrehte.

      Sie sah ihn mit ihren großen, braunen, traurigen Augen an und sagte:

      „Das mit den Drinks, wenn ich hier raus bin, ist für deine Karriere keine so gute Idee. Selbst wenn dir das egal wäre, hat sich das ja jetzt eh erledigt, da du mich für verrückt hältst.“

      Kapitel 3

      

      Der Anruf von seinem Kollegen kam kurz vor Mitternacht. Er sei in seiner Lieblingsbar und ob es Thomas nichts ausmache, vorbeizukommen, er würde gerne mit ihm reden. In der Bar angekommen fand er einen halbbetrunkenen Michael vor, der ihn dankbar umarmte.

      „Schon gut, schon gut“, sagte Thomas, dem das sichtlich unangenehm war,

      „Was gibt es denn so dringend zu besprechen?“

      Mit einem Schlag schien Michael nüchtern:

      „Hast du irgendjemandem erzählt, dass ich mit ihr auf einen Drink gehen will, wenn sie raus ist?“

      „Was ist das denn für eine Frage? Natürlich nicht!“, sagte er überrascht.

      „Auch ihr nicht?“, fragte Michael.

      „Ihr auch nicht. Geschweige denn, dass ich überhaupt mit ihr geredet hätte, ohne dass du dabei gewesen wärst“, antwortete er.

      Irgendwas war gewaltig faul, dachte Thomas. Sein Kollege hatte ihn noch nie privat angerufen. Sie waren, trotz eines guten Arbeitsverhältnisses, auch noch nie privat zusammen in einer Kneipe gewesen. Es musste irgendetwas passiert gewesen sein und da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen:

      „Was ist bei dem Gespräch mit ihr passiert? Hat sie überhaupt geredet?“

      Michael schaute ihn lange an, als wolle er abschätzen, wie viel er ihm sagen könne, bevor er meinte:

      „Sie sagte am Ende des Gesprächs zu mir, dass das mit den Drinks für meine Karriere keine so gute Idee sei.“

      Thomas konnte sich nicht mehr halten und brüllte los vor Lachen. Als er endlich wieder zu Atem kam, wischte er sich eine Träne aus den Augen und sagte:

      „Da hat sie wohl Recht!“

      Doch erst jetzt bemerkte er den Blick seines Kollegen. Eine Mischung aus Verärgerung, Zweifel und Furcht.

      „Also hast du es ihr doch erzählt, um mich zu verarschen!?“, schrie dieser ihn an.

      „Michael, ich habe es ihr nicht gesagt! Ich schwöre es!“, sagte Thomas.

      „Aber woher wusste sie es dann?“, meinte Michael.

      „Vielleicht


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