Die zwei Welten. L.R. Bäuml

Die zwei Welten - L.R. Bäuml


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Wolken angestaut hatte. Blitze zuckten durch die Luft und erhellten die pechschwarze Nacht für wenige Sekunden. Doch sie saß noch immer ruhig auf ihrem Stuhl und dachte nach. Wenn sie wenigstens gewusst hätte, was sie zu tun hatte, dann hätte sie das Mädchen retten können. Die Regentropfen begleiteten ihre finsteren Gedanken mit der passenden Melodie. Wütend peitschten sie gegen das Fenster. Der Donner, der die Hütte zum Zittern brachte, drückte ihre Wut auf sie selbst aus.

      Nach außen hin blieb sie jedoch regungslos; ihre leeren Augen auf die gegenüber liegende Tür gerichtet. Dass sie letztendlich als Tatverdächtige dastand überraschte sie nicht. Menschen sahen nicht das, was sie sah. Sie verstanden nicht das, was sie verstand, und wenn es nach ihr ginge, dann hatte sie die mehr oder weniger zwei Tage Haft auch verdient. Schließlich hatte sie Teilschuld an dem Tod des Mädchens, auch wenn in einer etwas anderen Form, als die, die man wohl normalerweise kennt. Der Regen wurde stärker und trommelte immer fester gegen die Scheibe. Langsam fuhr die Kälte in ihren Körper, doch sie unterdrückte das Zittern. Egal ob sie versucht hätte, den zwei Polizisten zu erklären, dass es in der Welt Dinge gab, von denen sie nichts wussten, oder nicht, wäre sie dennoch entlassen worden. Warum sie es dennoch getan hatte, wusste sie nicht so wirklich. Vermutlich wollte sie wenigstens einmal in ihrem Leben von jemandem verstanden werden. Ob sie den jüngeren der beiden Polizisten wohl jemals wieder sehen würde? Die Kälte kroch allmählich in ihre Brust und umschloss ihr Herz. Wohl kaum.

      Ein Donner folgte auf den nächsten. Das Gewitter schien direkt über der Hütte zu sein. Doch sie saß nach wie vor regungslos da. Erneut zuckte ein Blitz durch die Nacht, der das kleine Zimmer erhellte. Ein Schatten fiel hinter ihr auf die Wand.

      Er war da.

      Sein Gesicht war von der Kapuze seines schwarzen Mantels verdeckt. Er war groß. So groß, dass er seinen Kopf einziehen musste, um durch die Tür gehen zu können.

      Ihre Hoffnung, dass sie sofort Antworten auf ihre Fragen bekommen würde, war vergebens. Er sprach nicht und wie sie herausfinden würde, sprach er nie, zumindest nicht mit Worten. Sie spürte, dass er wollte, dass sie ihm folgte. Also stand sie auf und ging nach ihm aus der Hütte. Der Wind hatte sich etwas gelegt, das Gewitter, jedoch, war noch immer in vollem Gange. Sie zog ihre Kapuze über ihren Kopf und versuchte sich etwas in ihren Mantel einzukuscheln, damit es wärmer wurde, doch der Regen, der allmählich durch alle Schichten Stoff, die sie am Körper trug, zog, machte es ihr nicht gerade leicht. Sie stapften durch die nasse Wiese in Richtung des kleinen Kiesweges, der an der Hütte vorbeiführte, doch kurz bevor sie dort ankamen, drehte er nach links ab. Es war schwierig, ihm in der Dunkelheit zu folgen. Nur die gelegentlichen Blitze halfen ihr dabei, ihn ab und zu zu erblicken. Sie musste sich mehr und mehr darauf verlassen, ihn zu ‚erspüren‘. Er hatte ein etwas eigenartiges Gefühl an sich. Menschen waren normalerweise recht klar strukturiert. Es war leicht, sie zu erfassen, doch er war, als sei er keine feste Materie, sondern eher wie ein Gewirr aus Nebel, das manchmal fester und manchmal zerrissener wirkte. Obwohl sie sich sicher war, dass sie so etwas noch nie zuvor gespürt hatte, kam es ihr dennoch bekannt vor. Aber woher?

      Es kam ihr vor, als seien sie seit Stunden unterwegs. Schon lange hatte sie aufgegeben zu versuchen festzustellen, wo sie sich genau befanden, oder wohin der Weg führen sollte. Sie kannte die Gegend um die Hütte herum eigentlich recht gut, hatte sie doch viele Stunden, Tage, Monate dort verbracht. Dennoch war es ihr mittlerweile nicht mehr möglich herauszufinden in welche Richtung sie eigentlich gegangen waren. Die Dunkelheit der Nacht tat ihr Übriges, um es ihr noch schwerer zu machen. Mittlerweile war sie zudem komplett durchweicht und konnte nicht anders, als heftig zu zittern. Es ging trotzdem noch weiter. Über Stock und Stein. Bergauf, bergab.

      Der Mann vor ihr schien nicht an Kräften zu verlieren. Sie hingegen war komplett erschöpft. Gerade, als sie sich zum hundertsten Mal die Frage stellen wollte, warum um alles in der Welt sie das hier eigentlich mitmachte, blieb er plötzlich stehen. Sie waren an einem kleinen Eingang zu einer Höhle angekommen. Sie versuchte mehr zu erkennen, sah aber mit ihren Augen nicht viel.

      Ihr fiel nur ein seltsames Schimmern auf, das sich über den gesamten Eingangsbereich legte, wie als sei ein flüssiges gläsernes Tor davor gespannt. Ein befremdliches Flüstern schien von dem Tor auszugehen. Ein Rauschen, das bei genauerem Hinhören, wie viele entfernte Stimmen klang. Sie verspürte eine komische Energie. Kühl, kraftvoll, aber dennoch sanft. Immer und immer mehr wurde sie in ihren Bann gezogen und als der schwarzgekleidete Mann ihr zu verstehen gab, dass sie dort hinein steigen sollte, war sie mehr als bereit, dies zu tun.

      Zunächst streckte sie ihre Hand hinein, denn sie wollte wissen, wie es sich anfühlte. Ihre Hand bemerkte keinen Unterschied zu der Luft um sie herum, doch das Schimmern verdichtete sich nun um die Form ihrer Hand herum. Fasziniert von dem magischen Schauspiel, das sich ihr bot, tat sie vorsichtig einen Schritt hinein und als sie ganz drinnen stand, verstand sie auf einmal, was dieser Eingang war:

      Ein Portal.

      Kapitel 5

      

      Michael drehte und wälzte sich. Träume von magischen Wesen durchzogen seinen Schlaf. Böse Wesen, die ihm an den Kragen wollten. Gute Wesen, die ihn beschützen wollten, und Nele, die ihn mit ihrem geheimnisvollen Lächeln aus der Ferne anblickte, um ihm Mut zu geben. Nele, von ihr wollte er träumen. Von ihren glänzenden braunen Haaren, die ihr weiches Gesicht sanft umrahmten und ihren sanften haselnussbraunen Augen. Von ihrem hübschen Mund, der sich langsam in ihr charmantes Lächeln bog. Wie sich ihr Kopf Stück für Stück seinem näherte und wie sie ihre Lippen an sein Ohr brachte, damit sie ihm sanft zuflüstern konnte… Ding Dong! Ding Dong!

      Die Klingel an seiner Wohnungstür riss ihn sofort aus seinem Traum. Er brauchte ein wenig, um zu begreifen, dass jemand tatsächlich an seiner Tür stand und ungeduldig wartete, bis er die Tür aufmachte. Neles Angesicht schwebte noch vor seinen Augen, doch als es allmählich verblasste, schüttelte er seinen Kopf, um vollkommen wach zu werden. Er griff nach einer Hose, die auf dem Boden neben seinem Bett lag, und einem T-Shirt, das daneben war, und zog sich stolpernd auf dem Weg zur Tür an.

      Kaum hatte er diese geöffnet, trat auch schon sein Kollege Thomas ein:

      „Wird aber auch mal Zeit, dass du aufmachst!“

      Nach kurzem Betrachten seines Kollegen fügte er hinzu:

      „Wie siehst du denn aus? Hast du etwa noch geschlafen? Es ist zehn Uhr und wir haben seit zwei Stunden Rufdienst!“

      „Was? Wie?“, brachte Michael nur heraus, während er von Thomas in Richtung Badezimmer geschoben wurde.

      Er schloss die Tür hinter sich und hörte, während er versuchte, seine verstrubbelten Haare zu bändigen, wie sein Kollege ihm berichtete, dass sie zu einem Tatort gerufen worden waren. Ein junger Mann war, nicht weit von einer Diskothek entfernt, mit Schädelverletzungen tot aufgefunden worden.

      Seit einem halben Jahr arbeiteten sie nun als Kollegen zusammen. Das Verhältnis zwischen ihnen war immer gut gewesen, doch nach Neles Verhaftung waren sie gute Freunde geworden. Der Fall hatte sie zusammengeschweißt und seitdem vertrauten sie einander alles an, was in ihren Köpfen vor sich ging. Von daher war es auch nicht verwunderlich, dass sich Thomas nach seinen Albträumen erkundigte, als er schließlich aus dem Bad kam.

      „Seit zwei Monaten hast du sie jede Nacht. Sie rauben dir den Schlaf und die Kraft. Das ist doch nicht mehr normal! Es ist ja nicht so, dass mir das Ganze nicht auch keine Ruhe mehr lässt. Bei jedem neuen Fall suche ich nach Anzeichen, die auf, nun ja, sagen wir außergewöhnliche Umstände hinweisen, aber das, das macht dich doch noch irgendwann kaputt!“, sagte Thomas besorgt.

      „Was kann ich denn tun? Es ist ja nicht so, als könne man sich seine Träume aussuchen!“, konterte Michael.

      „Vielleicht würde ja eine Therapie helfen? Die Polizei hat doch zum Beispiel, jemanden, der uns psychologisch betreut. Willst du nicht dort einmal vorbeischauen?“, schlug Thomas vor.

      Michael lies ein sarkastisches Lachen verlauten:

      „Und der dann erzählen, dass ich ein Mädchen


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