Himmelsvolk. Waldemar Bonsels
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Waldemar Bonsels
Himmelsvolk
Ein Buch von Blumen, Tieren und Gott
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Inhaltsverzeichnis
Zweites Kapitel ‐ Die Ankunft des Elfen
Drittes Kapitel ‐ Die Frühlingsnacht
Fünftes Kapitel ‐ Der Tod der Eiche
Sechstes Kapitel ‐ Von den Engeln
Siebentes Kapitel ‐ Hassans Kampf mit Ala
Zehntes Kapitel ‐ Assap und Jen
Elftes Kapitel ‐ Ukus Nacht mit dem Elfen
Dreizehntes Kapitel ‐ Der Maikäfer
Vierzehntes Kapitel ‐ Das sterbende Kind
Fuenfzehntes Kapitel ‐ Der Fuchs
Sechzehntes Kapitel ‐ Die Elfennacht
Siebzehntes Kapitel ‐ Das Reich
xxx
Erstes Kapitel ‐Die Waldwiese
Bei der Waldwiese, auf der alten Linde, die sich noch kaum belaubt hatte, saß Kuno, der Star, vor
Sonnenaufgang und putzte sich im Frühlicht. Seine Brust glänzte schwarz und golden, er war ein
prächtiger Vogel.
Unten am Traulenbach, der unter der Linde dahinfloß, lief Onna, die Bachstelze, im Sand am Wasser
dahin zwischen den jungen Trieben des Schilfs.
»Hallo!« rief Kuno, »hören Sie auf zu wippen, Madame, ich bin angekommen, verstehen Sie? Es wird
Frühling!«
Die Bachstelze machte halt und sah hinauf.
»Ach so, ein Star,« sagte sie, »Stare gibt’s genug.«
»Aber wenige, wie ich einer bin! Übrigens bin ich erst kürzlich angekommen, eigentlich zu früh,
verstehen Sie?«
»Ich versteh schon«, gab Onna zurück. »Sie wollen doch nicht etwa hier nisten?«
»Hier? Wo denn? In der Linde? Zwischen Krähen, Eulen und Eichhörnchen, oder gar in Ihrer Nähe?
Sie haben eine Ahnung, Madame. Aber ich habe mir gleich gedacht, daß Sie nichts verstehen. So
sitzen Sie doch wenigstens still. Mein Gott, ist das ein Tag!«
»Sie sind einfach unverschämt«, sagte Onna ärgerlich.
»Ach, denken Sie sich,« rief Kuno erstaunt, »das haben verschiedene Leute schon oft behauptet, ich
kann mir gar nicht recht ausmalen, wie solch ein Gerücht hat aufkommen können. Die Leute sind
heutzutage geradezu auf böse Nachrichten aus. Merkwürdig. Aber ein Tag ist das heute, nicht
wahr?«
»Meinetwegen«, meinte Onna und wollte weiter.
»Warten Sie,« rief der Star, »und reden Sie nicht immer; dabei kommt ja kein Wesen zu vernünftigen
Worten. Was haben Sie da eben gegen den Frühling gesagt? Es ist sonderbar, wie geschwätzig ihr
Waldvögel werdet, wenn kaum einmal etwas Frühlingssonne durch die Wolken gesehen hat. Da traf
ich eben im Schlehdorn einen Mistfinken, und der Kerl sagte zu mir, er sei ein Goldspatz. Wissen Sie,
ich könnte mich totlachen über solche Leute. Er meinte, seine ganze Familie sollte ihren Namen
ändern, und dann flog er auf den Misthaufen zurück, der Goldspatz, verstehen Sie?«
»Soll er Sie etwa um Erlaubnis fragen?«
»Der Schlehdorn blüht schon,« sagte der Star nachdenklich, »haben Sie einmal mitten in diesem
reinen Blütenlicht gesessen, so recht mitten darin, womöglich bei Sonnenschein? Ich sage Ihnen,
Madame... aber Sie da unten in Ihrem Morast sind ja eigentlich nur dem Namen nach ein Vogel. Doch
jetzt halten Sie mich nicht länger auf, ich muß fort.«
Und er machte einen kleinen Sprung und segelte schnurgerade über die Saatfelder dahin, auf die
Wohnungen der Menschen zu. Ein kleiner dürrer Ast brach ab und fiel nieder ins Moos, mitten
zwischen die Anemonen, die noch nicht erwacht waren.
Die Bachstelze wollte sich zuerst noch längere Zeit ärgern, aber dann dachte sie: Es hat nicht den
geringsten Wert. Erstens ist dieser Narr doch jetzt fort, und zweitens beginnt ein geradezu
fabelhafter Frühlingstag. Sie atmete die kühle Luft ein, die von den Bäumen her über die Waldwiese
zog. »Erdgeruch, Veilchen und Tau,« sagte sie, »und dabei eine Frische, die man nicht glauben
würde, wenn man sie nicht durch den ganzen Körper bis in die Flügelspitzen spürte.«
Und sie wippte wiederholt auf ihre ungemein zierliche Art und eilte bachaufwärts davon, durch die
jungen Sprossen des Schilfs und der Primeln.