Himmelsvolk. Waldemar Bonsels

Himmelsvolk - Waldemar Bonsels


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die kleinsten Pflanzen

       erschauerten bis tief in ihre Seelen vor dieser reinen Lichtgestalt, die wie ein kleiner Engel unter sie

       trat.

       Nun wußten wohl manche der erfahrenen Geschöpfe, daß dies nur ein Blumenelf sein konnte, aber

       ihre Verwunderung wurde darüber nicht geringer, denn die Blumenelfen leben nur des Nachts, für

       wenig Stunden, in denen der Mond sie weckt, und wer wüßte nicht, daß sie mit der heraufsteigenden

       Sonne sterben müssen und im Morgentau zerfließen, damit die Blumen sie wieder in ihre Kelche

       nehmen können? Es war nie gehört worden, soweit die ältesten Tiere zurückdenken konnten, daß

       am Tage, im Sonnenlicht, ein Blumenelf erblickt worden wäre, und selbst die Linde, die schon viele

       hundert Jahre lang die Erde kannte, rauschte geheimnisvoll auf, und es erklang über alle die

       betroffenen Seelchen hin aus ihrer Höhe:

       »Ein Wunder geschieht, ihr Lieben, ein Wunder!«

       Die Geschöpfe des Waldes standen ratlos da, ohne daß eines von ihnen gewagt hätte ein Wort zu

       sagen. Andere kamen aus ihren Schlupfwinkeln hervor und starrten fassungslos hinüber, alle Furcht

       voreinander vergessend, es dachte aber auch wirklich jetzt niemand daran, einem anderen ein Leid

       zuzufügen.

       Da sagte das kleine Menschenwesen zu den Tieren:

       »Erschreckt euch nicht, ich bin nur ein Blumenelf. Ich habe mich verflogen und kann nicht mehr in

       meine Heimat zurück. Erlaubt mir, daß ich bei euch bleibe.«

       Die Bewegung unter den Waldwiesenleuten war unbeschreiblich. Sie hatten alles eher erwartet, als

       diese einfache und bescheidene Bitte, und waren ratlos vor lauter Verlangen, dem Elfen ihr

       Entgegenkommen und ihr Wohlwollen zu zeigen. Da ließ sich aus einem Lindenast, dicht am Stamm

       im Schatten, die Stimme der alten Eule Uku vernehmen, die durch dieses Ereignis trotz der

       Tageshelle aus ihrer Baumhöhle getreten war.

       »Preist euch glücklich,« rief sie laut, »ein Elf will bei euch wohnen! Glaubt mir, daß mit ihm nur

       Freude bei uns einkehren wird, und seid liebreich zu ihm.« Hierauf wandte sie sich an den Elfen

       selbst und fuhr fort. »Sei uns willkommen und wohne bei uns auf der Waldwiese, wo du willst und

       solange du magst. Es wird keiner unter uns sein, der dir nicht gerne gefällig ist, wir sind sehr erfreut,

       daß du Wohnung bei uns nehmen willst, und es ist auch recht schön hier, das kann man ohne

       Übertreibung wohl sagen.«

       Die alte Uku galt als sehr weise und genoß hohes Ansehen auf der Waldwiese. Aber es hätte ihrer

       Fürsprache kaum bedurft, denn alle Tiere waren sich darüber einig, daß dem lieblichen Lichtwesen,

       das unter sie getreten war, ein herzlicher Empfang bereitet werden müßte. Nach Ukus Worten war

       die Befangenheit der Überraschten ein wenig gewichen, sie drängten sich herzu, jeder mit einem

       Vorschlag oder mit einem Angebot, und die Wiesenblumen begannen ihr feines Läuten im

       Windhauch, kurz, es war niemand da, der nicht in freudiger Erregung in Ukus Meinung einstimmte.

       Der Elf nahm diese Freundlichkeiten mit einem Dankeslächeln auf, das alle aufs tiefste rührte, denn

       sie wußten, daß ein Elf nicht zu bitten braucht, wer kannte nicht die Macht der Blumenelfen?! Wohl

       erschien es ihnen, als habe er das Reich seiner Macht, die ungewisse Nacht, aufgegeben, aber wer

       konnte wissen, welches Vorhaben ihn bewogen hatte, den hellen Tag und das Bereich der Sonne

       aufzusuchen? Jedoch ihre Neugierde und ihre Zweifel sollten bald gestillt werden, und sie erhielten

       Gewißheit über die Fragen, die sie beschäftigten, denn der Elf erzählte ihnen seine Geschichte,

       nachdem er ihnen von Herzen Dank gesagt hatte.

       »Ich muß auf der Erde verharren,« begann er mit heller, trauriger Stimme, »ich kann nicht in das freie

       Reich der Elfen zurückkehren wie meine Gefährten, denn ich habe das Licht der Sonne erblickt, die

       kein Elf sehen darf. Als ich in einer klaren Nacht der Lilie entstieg, die mich geboren hat, wuchsen mir

       meine Flügel, die wir Elfen erhalten, sobald wir den Willen haben, unsere Blume zu verlassen, um

       einem anderen Wesen Glück zu bringen. Aber wir können dann nicht in die Blume zurückkehren,

       sondern im Morgengrauen verwandelt das erste Licht uns in Tau, und die Pflanzen nehmen uns auf,

       und unsere Seele kehrt ins Elfenreich zurück. Aber das werdet ihr wissen, ihr Lieben.

       In jener Nacht nun, in welcher ich erwachte, kam ein kleines geflügeltes Tier zu mir, es war eine

       Biene, die Maja hieß, und die ihren heimatlichen Stock verlassen hatte, um die Welt kennenzulernen.

       Sie hatte den Wunsch, die Menschen zu sehen, wie sie am schönsten und glücklichsten sind, und ihr

       wißt, daß wir Elfen Macht haben, den liebsten Wunsch des ersten Wesens zu erfüllen, das uns in

       unserer Lebensnacht begegnet. So flogen wir miteinander durch die helle Nacht bis an einen Ort am

       Waldrand, wo in einer Laube, unter blühenden Zweigen, zwei Menschen weilten. Es waren ein

       Mädchen und ein Jüngling. Sie hatte ihren Kopf an seine Schulter gelehnt, und sein Arm hielt sie

       umschlungen, als ob er sie schützen wollte. Sie saßen still da und schauten mit ihren großen Augen in

       die Nacht.

       Dort nun, ihr Lieben, geschah meinem Herzen das Wunder, um dessentwillen ich heute unter euch

       erscheine, denn ich konnte meine Augen nicht mehr von den Angesichtern der beiden Menschen

       abwenden. Im Himmelsschein der stillen Nacht strahlte es von ihren Stirnen und aus ihren Augen,

       kein irdischer Mund vermag das selige Heil zu nennen, in dem sie zu glühen schienen. Ich erzitterte

       heiß, bis tief in die Gründe meiner Seele hinab, ich versuchte diesen Glanz zu fassen, diese Wohltat

       und die Freude dieser Gemeinschaft zu verstehen, aber mein Herz vermochte es nicht. Ich fühlte, wie

       es sich dieser hellen Kraft des Irdischen zu öffnen trachtete, aber zugleich empfand ich in

       unbeschreiblicher Traurigkeit, daß dieses Erdenwunder des Glücks nicht mein Teil werden konnte.

       Und mehr und mehr erschien es mir, als ginge von der Seligkeit der beiden Menschen eine immer

       größere Helligkeit und Wärme aus, ein Glanz, der mich taumeln machte, und mich in eine

       schmerzhafte Verzückung brachte, in der ich fast meine Sinne schwinden fühlte, und die doch wie ein

       barmherziges Wunder in meine Seele einzog. Was geschieht mir nur, dachte ich, was soll ich

       erleben?! Was gibt es noch auf


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