Himmelsvolk. Waldemar Bonsels
und beweglicher waren als die
Blumen, die voll Schüchternheit und geduldig auf ihr Geschick harrten. Der Elf beugte sich tief über
ihre Kelche, deren Licht und Farbe sich in seinem zarten Gesicht widerspiegelten, er sog ihre Frische
ein, ihren Duft, und als er vernahm, was ihre heimlichen Wünsche waren, rief er die Bienen zu ihnen.
Zwei kleine Käfer stiegen miteinander in den goldstrahlenden Kelch einer Blume hinab, beinahe
betäubt von dem warmen Duft und ganz in das Blütenlicht eingehüllt. Die Blume zitterte leise und
atmete schwer und tief.
»Elf, lieber Elf,« flüsterte sie, »was geschieht mir? Ich bin so glücklich.«
Der Elf nickte ihr mit glänzenden Augen zu.
»Der Frühling,« antwortete er, »der Frühling! Er durchdringt dein Wesen durch und durch. Halt still,
Liebe.«
Die Düfte, die der Waldwind heranschaukelte, wechselten ohne Aufhören, und dem Elfen war, als
trüge ihn die eine Sehnsucht unvermerkt in das Wunderreich der anderen. Eine selige Welt
vertauscht sich gegen die andere, dachte er, ich schließe meine Augen und bevölkere sie aus meinem
Herzen.
Dieser Wechsel verzauberte sein Gemüt immer wieder aufs neue, und er träumte fort in Farben,
Licht und Düften, unter den Liedern der Vögel. Wenn der Wind den Geruch der wilden Rosen aus
dem Gesträuch zu mir trägt, und ich lausche dem Gesang des Rotkehlchens, dachte er, so ist das Herz
auf ganz andere Art im Lieblichen geborgen, als wenn ich den kühlen Hauch des Flieders spüre und
höre die Amsel flöten. »Trag mich von Freude zu Freude, du warmer Frühling,« sagte er, »aber
behüte mein Herz, damit es nicht vor Glück zerspringt.«
Das Summen der Insekten über den Blumen klang hinter den lichtroten Vorhängen seiner
geschlossenen Augenlider wie fernes Orgelbrausen, in das aus noch größerer Ferne das Meer zu
rauschen schien. Es vermischte sich mit dem Flüstern der Blätter, den kaum vernehmbaren Stimmen
der Gräser und dem Läuten der Blumen, das so fein erklingt, daß ein menschliches Ohr es nur nach
langem, tiefem Warten erlauschen lernt.
Die Güte und der Reichtum der Natur überwältigten das Elfenkind. »Seid gesegnet, meine Sinne,«
rief es, »meine Augen, mein Gehör und du mein Herz, du Quelle und Pfand meines irdischen Wohls.
In den Augen wohnt der rasche Blick, der zu entflammen und froh zu ruhen vermag, der das Licht bis
tief in die Kammern des Herzens führt. Ich fühle die Berührung des Lebens mit allen Gliedern, wie das
Wasser den Windhauch spürt, der seine Oberfläche bewegt, jeder Sinn hat sein seliges Amt, aber du
hast das herrlichste, mein Herz, in dir wohnt das Heimweh.«
***
Die Fülle nahm nun von Tag zu Tag zu, das Blühen wollte kein Ende finden, immer wieder kamen
neue Tiere auf der Waldwiese an, verweilten für kurz oder lange oder blieben auch für immer. Eines
Morgens fand sich ein Wildtaubenpaar ein, man hatte sie schon von weitem lachen und plaudern
hören, die zwei, sie machten einen sehr glücklichen Eindruck. Die Linde, überhaupt der ganze Platz
schien ihnen ausnehmend zu gefallen, sie flogen innen im Baum von Ast zu Ast, untersuchten die
alten, dürren Stümpfe der abgebrochenen Zweige und prüften jedes Baumloch im Stamm. Als sie
aber merkten, daß eine Eule im Baum wohnte, wurden sie nachdenklich.
»Schon wegen des Bachs, wegen der Nähe des Wassers hätte ich hier gern gewohnt,« meinte die
junge Frau betrübt, »man hat es so bequem morgens mit dem Bad, und dann auch an der einen Seite
die Weite der Felder, an der anderen den dichten Wald; der Ort hat viel für sich. Sieh unten das Moos
im Sonnenlicht!«
»Ich lebe nicht mit einer Eule zusammen,« antwortete ihr Mann, »aus solcher Nachbarschaft
entsteht nichts Gutes. Ich habe nichts gegen die Eulen, ich verfolge sie nicht, aber sie sind mir
unheimlich.«
Und sie flogen mit lautem Flügelschlagen, das man noch lange in der Waldstille hörte, über die
Bäume hin, davon.
In der Frühe sah man bisweilen den Bussard zwischen den Stämmen jagen. Er flog lautlos und
geheimnisvoll, seine scharfen, farbigen Augen suchten am Boden, und seine graubraunen Schwingen
bewegten sich groß, feierlich und kraftvoll. Es war ein herrlicher Anblick, den mächtigen Vogel zu
beobachten, der allein lebte, vom Raub, in seiner Waldfreiheit.
Eines Tages kam eine Katze, o Gott! Sie setzte sich mitten auf die Wiese in die Blumen, blinzelte und
putzte sich sorgfältig und so arglos, als gäbe es in der Welt für sie keine Gefahr, und als habe sie
niemals einen bösen Gedanken gehabt. Es wurde eine Weile auffallend still auf der Waldwiese, nur
der Bach kümmerte sich nicht um das Tier, er rauschte fort, die kleineren Geschöpfe aber bekamen
zum größten Teil Herzklopfen. Wer ein sicheres Versteck hatte, beobachtete die Katze mit Spannung.
Es läßt sich auch in der Tat kaum etwas Schöneres denken, das zugleich mit so viel Schrecknis
verbunden ist, als eine Katze. Natürlich, wer sich gegen sie wehren kann, wer stärker oder
geschwinder als sie ist, der sieht und nimmt nur ihre anmutigen Seiten, deren sie viele hat, und
begreift nicht so rasch das Entsetzen, das sie kleineren Geschöpfen einflößt. Aber wenn man in
Betracht zieht, daß manche Tiere, denen sie nachstellt, kaum größer sind als eine ihrer Pfoten, so
begreift man eher, welchen Schrecken die Katze verbreiten kann.
Ganz besonders über diese Katze wäre vieles zu erzählen; es ist schade, daß es hier nicht angeht. Sie
war ursprünglich unter Menschen gewesen und ist auch in ihrer Gemeinschaft geboren und
aufgezogen worden. Aber dann wechselte der Besitzer des Hofes, auf dem sie lebte, und da Katzen
meistens eher an dem Ort hängen, an welchen sie gewöhnt sind, als an Menschen, so war auch diese
Katze geblieben; aber sie traf es schlecht mit den Nachfolgern der ausgewanderten Bauersleute und
entschloß sich deshalb eines Tages kurzerhand, ihr Heil in der Freiheit zu suchen. Sie hatte einen sehr
schweren Winter hinter sich und war oft drauf und dran gewesen, zurückzukehren, aber nun, mit
dem eingekehrten Frühling, schien ihr Los ihr beneidenswert.