Himmelsvolk. Waldemar Bonsels
nieder. Die grünlichen Augen
waren wie zwei harte, glänzende Metallplättchen, alles an der Katze, auch das prächtig gestreifte
Fell, war auf das sauberste gehalten und so wohlbestellt, gesund und anmutig, daß es ein Entzücken
war. Uku sah, wie die Pfote am Gesicht entlang glitt und wie die kleine rosa Zunge die weichen
Härchen des Fells glättete. Nachdenklich sah der weise Vogel auf die Katze nieder. Wer würde
vermuten, dachte er, daß dies zärtliche Tier vom Wipfel eines Baumes oder vom Giebel eines Daches
niederspringen kann, ohne Schaden zu nehmen, wer ahnt hinter dieser kindlichen Gebärde die
Wildheit, die sie verbirgt, die geschmeidige Kraft und die unbeugsame zähe Eigenart der Katze? Ist es
so bestellt, daß sich mit der größten Kraft und Wildheit solch arglose Gebärde des Spiels und der
Harmlosigkeit vereinen kann, mit diesem Lächeln die furchtbarste Blutgier und mit soviel Anmut die
Falschheit?
Uku konnte nicht aufhören, die Katze zu betrachten, und sie dachte lange und sehr scharf über sie
nach, wie es so Art der Eulen ist. Sie weiß die größten und bissigsten Hunde in Respekt zu halten,
dachte sie, ja in manchen Fällen selbst den Menschen, und sieht doch aus wie ein schüchternes Kind.
Wie sie den Schein der Sonne genießt! Es ist wirklich sehr schwer zu sagen, was gut oder was böse ist
in der Natur, ich glaube, man kann es nur für sich selbst und sein eigenes Handeln wissen.
Wie ungebrochen sind diese harten Augen, wild und rein, fuhr sie fort zu sinnen, sie werden eines
Tages brechen, wie ein edler Stein unter einem Hammer, aber sie werden sich nicht trüben. Man
muß sagen, Uku kam geradezu in Begeisterung, und da eine Katze alles andere eher ist als die
Freundin der Eulen, so war diese Anerkennung des Vogels um so erstaunlicher. Aber Uku hatte
Grund, über die Katzen nachzudenken, sie hatte vor Jahren einmal zur Nachtzeit eine Katze sterben
sehen, die, von der Kugel eines Bauernsohns getroffen, auf dem Hof ihr Leben lassen mußte, auf dem
damals auch Uku viel verkehrte. Es war Mondschein gewesen, der junge Mensch stellte den Katzen
nach, weil sie seinem kleineren Federvieh Schaden taten. Seine Kugel ging der Katze durch die Brust,
schlug durch und öffnete sie an zwei Stellen. Das Tier war auf einen Baum geflüchtet, und anfänglich
hätte man glauben können, sie sei nicht verwundet, aber dann löste sich langsam, man möchte sagen
Kralle für Kralle, ihr schöner gefleckter Leib von dem Ast, den sie umklammert hielt. Es kam kein Laut
über ihre Lippen, erst am Fallen sah man, daß sie keine Gewalt mehr über ihren zähen, wohlgeübten
Körper hatte. Am Boden, im schrägen Mondlicht kreiste sie im Gras, und nun, wie mit ihrem letzten
Atem, kam ein Geschrei aus ihrem Mund, das Ukus Herz erstarren ließ, und der junge Mensch, der
herzugeeilt war, sprang betroffen zurück, als dieser Todeston sein Ohr traf. Es war ihre erste und
zugleich ihre letzte Klage, es war, als habe sie zu Lebzeiten das Klagen nicht gelernt. Dreimal
hintereinander stieß sie diesen langgezogenen Schrei aus, der keine leiblichen Schmerzen zu verraten
schien, sondern den wilden Wehelaut um ihr schönes, starkes Leben.
Die Natur umher lauschte wie in einer jähen Ahnung ihres Geschicks auf. Es ist furchtbar, die
Mächtigen im Tode schreien zu hören. Und doch hatten diese Töne nichts Jämmerliches, es lag kein
Hilferuf darin, kein Flehen um Erbarmen, sondern viel eher war es das metallische Verklingen der
gebrochenen Kraft; unbeschreiblich einsam durchdrang es die Mondnacht.
Voll Grauen war Uku damals auf und davon geflogen, tief bewegt von diesem Erlebnis und doch nicht
einzig entsetzt, sondern zugleich wunderbar erhoben. Sie hatte wieder und wieder denken müssen:
Wie gewaltig ist das Leben, das sich auch in mir offenbart, wie gewaltig ist der unvermeidliche Tod.
Man wird nun viel besser verstehen, weshalb sie so lange und nachdenklich auf die Katze schauen
mußte, die auf die Waldwiese gekommen war. Sie blieb übrigens nur für kurze Zeit und, soviel ich
weiß, ist sie nicht wiedergekommen.
Fünftes Kapitel ‐ Der Tod der Eiche
Ein wenig von der Waldwiese entfernt stand am Rand des Tals die Eiche, sie war der älteste Baum im
Land; in diesem Frühling ist sie gestorben.
Man wußte es überall, weit im Umkreis. Ihre letzten Worte aus dem vergangenen Herbst rauschten
in den Büschen und Bäumen des Landes als Erinnerung wieder, und nun im Frühling nahm sie
Abschied.
Um ihre mächtige Gestalt umher sproßte und blühte es, ihre großen dunklen Glieder reckten sich
gewaltig über den wirren, grünen Lebenstrubel der neuen Jugend dahin, in den Himmel empor, ihre
Klage erfüllte das Land, alle Herzen. Viele hundert und wieder hundert Jahre des Lebens beschlossen
sich nach einem unbegreiflichen Ratschluß, der alle in heiliger Scheu erbeben ließ. Die langen Nächte
hindurch, in der Frühe und am verständlichen Tag wehte es aus der kahlen Höhe ihrer Krone klagend
im Wind über das Land, durch den Vogelgesang dahin, durch das selige Seufzen der vom Frühling
begnadeten Geschöpfe und durch das strahlende Tageslicht, das seine Macht über die Lebensgeister
des alten Baums verloren hatte.
Eines Tages vernahm der Elf die Klage der sterbenden Eiche im Wind und konnte sie nicht vergessen.
Nun ward er gewahr, daß alle sie wußten, und seit jener Stunde zwang es ihn plötzlich, im Schreiten
innezuhalten, wenn er durch den Wald ging, um zu lauschen, ob durch die Lebensmelodien der
lebendigen Bäume wieder diese Klage dränge, die den ganzen Wald erfüllt hatte. Und er vernahm die
Töne und erschauerte. Sie erklangen so heimlich, daß sein Gemüt in der Erkenntnis erzitterte, daß
diese bescheidenen Wehelaute eine so stille Wildheit zu bergen vermochten, und daß Geduld so
schmerzhaft sein könne.
Da ging er der Stimme nach, um den sterbenden Baum zu finden. Wie es zum Herzen griff! Er sah
eine Blume, die zu blühen anfing, den Tau trinken; in der Erwartung ihrer Sonne sangen alle Vögel, da
warf er sich ins Moos und lauschte. Seit jener Stunde trieb es ihn wieder und wieder herzu, am Tag,
in der Nacht, immer wieder zog es ihn an diesen Waldort ohne Schatten, wo die große Eiche stand.
Rings der Himmel über ihm war wie mit Sterben angefüllt, und die Seele des Elfen füllte sich mit
dieser Schwermut des Scheidens vom Leben, wie ein Becher mit