Pandemie des Todes III Teil. Hans Joachim Gorny
sich hin. Einzeln führen sie ihre Pferde über das wacklige Floß, das eine Brücke sein soll.
Als erstes, nach dem Überqueren der Brücke, erschießt Grissly einen Hund, der nach den Beinen seines Pferdes schnappt.
„Damit stehen alle Zeichen auf Konfrontation“, sagt Carlina locker.
„Ich finde das praktisch“, brummt Grissly. „Wir wissen ja gar nicht wo wir die Leute suchen sollen. Jetzt kommen sie uns bestimmt entgegen.“
Auf einem Kiesweg reiten sie gemächlich den Ruinen von Grafenhausen entgegen. Es gibt auch intakte Häuser. Niemand weiß genau wieviel Personen dort eigentlich leben. Sechs Familien vielleicht, oder auch zehn. Entgegenreiten wird ihnen niemand, den Insulanern fehlt die Zeit ihre Pferde zu satteln. Die Blicke der Eindringlinge wandern über Wiesen und Felder. Die Äcker sind vielfältig bestellt. Verhungern werden die Insulaner jedenfalls nicht. Die grünen Getreidepflanzen schimmern weißlich. Nach den neusten Erkenntnissen besteht dringender Handlungsbedarf. Einzelne Kinder kommen aus Häusern, verschwinden wieder. Kurz darauf erscheinen Männer mit Gewehren, gehen aber in die Häuser zurück und kommen ohne wieder heraus. Legen bellende Hunde an die Kette.
„Die sind vernünftig“, denkt Carlina und schöpft Hoffnung, dass alles ohne Streit abgeht.
Aus verschiedenen Richtungen strömen nun Männer, Frauen und Kinder auf Grisslys Gruppe zu. Stellen sich ihr in den Weg.
Grissly hebt die rechte Hand. „Hallo. Wir haben erfahren, dass euer Getreide wieder von Schimmel befallen ist. Das tut uns sehr leid. Wir wollen euch helfen, es zu vernichten.“
„Ist der verrückt“, sagt im Hintergrund einer der Insulaner.
Carlina entdeckt Manni und ihren Mann. „Hallo Manni“, grüßt sie freundlich.
„Hallo Große“, grüßt diese grimmig zurück.
Grissly startet einen neuen Versuch. „Euer Pilzbefall hat inzwischen die Felder der Nachbarhöfe angesteckt. Der Schimmel kennt keine Grenzen. Bevor er Sporen entlässt und noch mehr Getreidefelder befällt, muss alles gemäht und verbrannt werden.“
Einer der Männer tritt vor. „Wir wollen abwarten, ob der Weizen doch noch gedeiht.“
„Ich sage euch was passiert. Die Körner werden sich erst gar nicht entwickeln. Wenn ihr abwartet, ist es für unsere Felder schon zu spät.“
Der Mann beißt die Zähne zusammen, dass sich seine Backen verbreitern. Dann: „Auch wenn ihr euch noch so mächtig fühlt, lassen wir uns nichts befehlen. Wann gemäht wird bestimmen wir.“
Grissly bewahrt seine Beherrschung. „Versteht doch. Von euch geht eine Gefahr aus. Wenn sich Pilzsporen entwickeln, werden die mit dem Wind weit fortgetragen und immer wieder neue Felder befallen.“
„Angenommen“, kommt es langgedehnt, „wir vernichten unseren Weizen. Werdet ihr uns neues Saatgut geben?“
Alle Berittenen aus Zoratom schauen nun auf Grissly. Nach Sekunden sagt er: „Da wir dank euch schon Ernteausfälle haben, brauchen wir unsere Körner selber.“
„Wir sollen also ohne Brot leben“, schnaubt es.
„Das müsst ihr durch anderes ersetzen“, meint Grissly, der inzwischen nervös auf dem Sattel hin und her rutscht, schnippisch. „Verhungern werdet ihr nicht. Dazu geben eure Felder und die Natur zu viel her.“
„Ich glaube, ihr seid nicht recht bei Trost“, wird der Mann nun lauter.
Carlina entdeckt nun die Braunhaarige mit den drei Durchfallkindern. „Sind alle Kinder gesund?“
Die Angesprochene bringt vor lauter Schreck nur ein „Ja“ heraus.
„Ich sage dir nun was passieren wird“, sagt sie in langsamen überdeutlichen Worten. „Ich sage es aber nur dir.“ Sie schaut die Frau fest an, spricht zu ihr, als wären sie allein auf weiter Flur. „Der Schimmel auf dem grünen Weizen hier, wird weiter wachsen und winzige Samen bilden. Diese Samen, Sporen genannt, sind giftig. Der Wind wird die Sporen in Wolken über das Land blasen und die Gesundheit der Menschen gefährden. Die Sporen werden sich in die Atemwege und Lungen setzen und vor allem die Kinder krank machen. Schwache und Kranke Menschen können davon sterben.“
Den Leuten auf den Pferden läuft es genauso kalt über den Rücken wie den Stehenden.
„Sag das deinen Leuten. Und sag ihnen auch, wenn sie den Weizen nicht vernichten, sind wir zum Wohle aller Menschen verpflichtet es selber zu tun.“
„Damit ist alles gesagt“, meint Grissly. „Wir können gehen.“ Die Gruppe wendet die Pferde und reitet los. Nach zehn Metern dreht Grissly wieder um und geht auf den Mann zu. „Ich wollte mich noch wegen dem Hund entschuldigen. Wenn ihr einen neuen braucht, bekommt ihr einen von uns.“ Dann beugt er sich hinunter und flüstert: „Und wenn ihr uns zu Leide lebt, kommen wir und brennen alles nieder, so wahr ich Grissly heiße.“ Dann gibt er seinem Pferd die Sporen.
Carlina hat auf ihn gewartet. „Hätte ich auch gesagt“, meint sie.
„Das mit dem Hund?“
„Das mit dem Niederbrennen.“
„Sag bloß, du hast das gehört?“
„Ich höre sehr gut, du aber schlecht. Deshalb sprichst du so laut.“
„Ich werde in Zukunft aufpassen. Aber schön, dass wir einer Meinung sind.“
„Wenn es ums Existenzielle geht, muss man rabiat sein.“ Das Wort Existenziell kennt Grissly nicht, aber den Ausdruck rabiat. Damit ist für ihn die Sache erledigt.
Am nächsten Tag lauern auf dem Hügel mehrere Ferngläser. Während Fritzi mit vielen anderen ihre Weizenfelder niedermäht, geschieht nebenan auf der Insel nichts. Es zerrt an den Nerven. Ist es zu viel verlangt von einer Sekte, dass sie Einsicht zeigt? Vielleicht brauchen sie nur Bedenkzeit. Doch am Tag darauf mähen die Insulaner mit Handsensen tatsächlich ihr Getreide um. Grissly hätte ihnen gerne mit seiner von zwei Pferden gezogenen Mähmaschine geholfen. In zwei Stunden wären sie fertig gewesen. Wagt aber nach seiner Drohung nicht mehr dort zu erscheinen. Fritzi lässt ihr Mähgut trockenen und anschließend verbrennen. Man geht davon aus, dass es ihre Nachbarn genauso handhaben. Doch die laden alles auf Wagen, kippen es ins nächstgelegene Fließgewässer und weg ist es. War das nun clever oder eine Dummheit? Selbst Carlina bleibt die Antwort schuldig.
Der Hartweizen gedeiht, der Roggen gedeiht, der Dinkel, der Hafer und zur rechten Zeit auch der Mais. Die Gemüter beruhigen sich. Bis Ende Juni Fritzi wieder auf Grisslys Hof galoppiert und in das üppige Frühstück platzt. Der alte Bär liest sofort aus ihrem Gesicht eine unangenehme Botschaft. Will von Schimmel nichts hören, wird aber nicht verschont. Auf den Gregor-Höfen sind die Körner des Hartweizens von Schimmel befallen. Des Nudelweizens. Sofort reiten die Landwirte los, inspizieren auf den Terrassen der Vorbergzone ihre eigenen Getreidefelder aufs Genauste und erklären sie danach für gesund. Tags darauf wird in der Ebene wieder Weizen niedergemäht. Auch das einzige Hirsefeld, das zwischen zwei Weizenfeldern liegt und ebenfalls verpilzt ist. Ein Landwirt lebt ja immer mit der Hoffnung, bei Schädlingsbefall auf andere Getreidearten ausweichen zu können. Dass nun auch die Hirse anfällig ist, belebt die Unruhe.
Doch damit nicht genug. Im September ereilt die Gemeinschaft eine weitere Hiobsbotschaft. Nun sind die Maiskolben befallen. Der Pilz frisst die Kolben samt Körner regelrecht auf. Beziehungsweise zersetzt er sie. Und nicht nur beim Flachlandmais. Schockierender Weise sind auch die Felder Zoratoms betroffen, bis hinüber zum Waldrand, wo Burans Futtermais steht. Jahrzehntelang haben die Landwirte den Maiswurzelbohrer erfolgreich ausgetrickst, in dem jährlich die Felder gewechselt wurden. Haben auch anderen Schädlingen getrotzt, weil der Mais in Streifen zwischen Gemüse, Hülsenfrüchten und Kartoffeln angebaut wird. Viele Bürger Zoratoms essen auch gerne mal ein Maisbrot oder eine Polenta. Manche verfüttern die Maiskörner achtlos an Tiere. Aber auch dieses Korn müssen sie nun durch anderes ersetzen. Was ausfällt, muss auf die eine oder andere Art kompensiert werden.
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