Pandemie des Todes III Teil. Hans Joachim Gorny

Pandemie des Todes III Teil - Hans Joachim Gorny


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Tisch. Bevor man die Vollversammlung mit der grausamen Wahrheit konfrontiert, muss der Rat aus der Misere einen Weg finden. Die Bürger erwarten das.

      „Sind wir überhaupt schon mal wegen einem so beschissenen Thema zusammengesessen?“ schimpft Sigsig, kaum dass er sitzt. Aus seiner Frage spricht die pure Hilflosigkeit.

      „Nicht schimpfen, denken“, fordert Michelle, die auch gerne Butterbrot isst, um gebratenen Schnecken drauf zu legen.

      Grissly versucht zu Beginn Optimismus zu verbreiten. „Wie ihr wisst, ist auf dem Gebiet der Gregorhöfe der Weich-und der Hartweizen ein Komplettausfall. Von dem bisschen Hirse wollen wir hier nicht reden. Aber wir haben so viel Weizen gelagert, dass er für zweieinhalb Jahre reicht, wir brauchen uns also keine Sorgen zu machen.“

      Carlina nickt und kommt zum Punkt. „Aber über uns schwebt die Frage: Wird nächstes Jahr der Schimmel weg sein, und, wo sollen wir den Weizen aussähen? Ich denke, wir werden ein wenig umstrukturieren müssen.“

      Fritzi nickt eifrig. „Auf unseren Feldern war es dieses Jahr einfach zu feucht und das Wetter war zu warm. Da müssen Pilze ja wachsen.“

      „Die Gräben haben wir alle umsonst ausgehoben“, mosert Buran, der mit seinen Leuten geholfen hat.

      Sie wehrt sich. „Die sind nicht umsonst ausgehoben. Die waren gedacht, um Starkregen und Hochwasser abzuleiten.“

      „Erzähl nicht. Der Insulaner-Schimmel war der Grund. Genutzt hat es auf jeden Fall nichts.“

      Fritzi ist eingeschnappt, verschränkt ihre Arme und lehnt sich zurück.

      „Und, bringt uns das weiter?“, murrt Klara. „Ich habe ja keine Ahnung von Ackerbau und Viehzucht. Aber wie mir scheint, könnte unser Weizen nächstes Jahr wieder verschimmeln. Und wenn er das übernächstes Jahr auch macht, ist es aus mit leckerem Brot und Nudeln.“

      Carlina verhindert immer, dass sich jemand in Rage reden kann und unterbricht. „Ich habe einen Vorschlag. Wir gehen nächstes Jahr auf Nummer sicher und sähen den Weizen nur auf den Terrassenfeldern der Hügel aus. Für die brachliegenden Felder der Ebene müssen wir uns etwas anderes ausdenken. Mehr Raps vielleicht, oder Soja. Auf jeden Fall Ackerfrüchte, die Feuchtigkeit und Wärme vertragen. Aber beim Mais bin ich überfragt.“

      „Das ist echt heftig“, sagt Grissly mit Trauerblick. „Wir mussten alle Maissorten vernichten, egal auf welchem Standort. Dabei war unsere Philosophie, jede Pflanze auf unterschiedlichen Lagen anzubauen. Auf trockenen, feuchten, hochgelegenen, tiefgelegenen, sonnigen und schattigen, damit es immer was zu ernten gibt. Das hat in diesem Fall überhaupt nicht geklappt.“

      Buran ergänzt: „Der Pilz auf dem Mais ist auch etwas dunkler. Ich glaube, der hat mit dem Getreidepilz überhaupt nichts zu tun.“ Alle schauen zur Pilzfachfrau.

      Carlina überlegt. „Das liegt vermutlich daran, weil der Schimmel auf Kolben üppiger wachsen kann. Wenn es nach mir ginge, würde ich nächstes Jahr nur wenig Mais anbauen und abwarten, was aus ihm wird. Das Saatgut eines Jahres würde ich nicht riskieren. In welchem Bereich wurde er nicht oder weniger befallen?“

      „Auf einer südlichen Lage“, weiß Grissly. „Wenn es nächstes Jahr wenig regnet, werden aber dort die Körner nix.“

      „Alternative?“ fragt Sigsig.

      Michelle meint: „Das Ganze hört sich ziemlich kompliziert an. Wenn für den Maisanbau nur eine Lage in Frage kommt, die aber von vornherein nicht viel verspricht, kann man es auch mit jeder anderen versuchen.“

      Grisslys Rechte trommelt mit den Fingern auf dem Tisch herum, Buran kratz sich mit der Linken in seinen Haaren. Es bleibt still. Bis Fritzi etwas weiß.

      „Ich fasse zusammen. Die Weizensorten säen wir nächstes Jahr nur auf den Hügeln aus. Mit dem Mais probieren wir es am Fuße eines Hügels, wo es eher feucht bleibt, aber auch der trockene Südwestwind hin findet, der den Pilzen zusetzen wird.“

      Jeder schaut jeden an, niemand weiß etwas Besseres.

      „Sehr gut Fritzi“, sagt Grissly dann, „so machen wir‘s. Vom Weizen säen wir so viel aus wie immer, den Mais nur auf einer Versuchsfläche.“

      Die folgende Vollversammlung ist zufrieden mit dem Vorschlag, freut sich außerdem über die großen Lagerbestände.

      Im Frühjahr darauf hat sich an der Strategie nichts geändert. Aber in der vielmals geflickten Lagerhalle ist ungewohnt viel Platz. Weizen und Mais wurden den Winter über verbraucht wie immer. Niemand musste auf seine gewohnten Nudeln, Brote, Brötchen, Kekse und Kuchen verzichten. Die Nichtlandwirte haben die Schimmelpilze verdrängt oder sogar vergessen. Die Insulaner haben sich kein einziges Mal blicken lassen, nicht einmal einen Patienten gebracht. Aber sie wissen, ihre Schuld ist nicht aufgehoben, nur aufgeschoben. Irgendwann müssen die geliehen Weizensäcke wieder mit Aufschlag zum Dorf gebracht werden, sonst erhalten sie als unzuverlässige Geschäftspartner nie mehr wieder irgendetwas.

      Der Winter war mild, das Wetter stimmt, die Inselbewohner säen zuerst. Hatten sie noch geheime Vorräte? Oder haben sie irgendwo neues Saatgut erbettelt? Genauso ausgesät wird auf Gregors Höfen, Burans Höfen und rund um den Weiler, der gerne als Weltstadt gesehen wird. Unruhig beobachten die Landwirte das Wachstum. Im Mai wird dann auf dem vorgesehenen Feld noch der Mais gesät. Viel sorgfältiger als sonst. Danach bleibt der Regen aus. Über Wochen. Nun hat man nicht nur die Sorge, ob das Getreide von Pilzen befallen wird. Mangelnde Feuchtigkeit verhindert das Wachstum, generiert kleine Körner, die schlecht zu verarbeiten sind und nicht viel Mehl hergeben.

      Mitte Juni endlich, ziehen die passenden Wolken übers Land, schütten sich aus und tränken die Erde mit dem ersehnten Nass. Eine Woche lang herrscht Regenwetter. Es regnet eine zweite und eine dritte Woche. Heumachen ist unmöglich. Nun gilt das Regenwetter auf einmal als schlecht, endet erst Anfang Juli. Da ist es zu spät. Auf allen Lagen schimmelt das Getreide. Der Weichweizen ebenso wie der Hartweizen. Dieses Mal aber auch der Roggen, der Dinkel und der Hafer. Nicht nur die Landwirte sind entsetzt, auch der letzte Agrarfremde begreift: sein täglich Brot ist gefährdet. Einzig das Feld mit Emmer, welches jemand als Hobby angelegt hat, ist schimmelfrei.

      Emmer

      Die Getreidefelder sehen schlimm aus. Auch das Maisfeld. Die größte aller gemeinsamen Mähaktionen startet, um die befallenen Pflanzen möglichst schnell zu beseitigen. Zwei Mähmaschinen sind von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang beschäftigt, die ziehenden Pferde müssen mehrmals am Tag gewechselt werden. Dann geht auch noch eine der beiden Maschinen kaputt. Die Männer greifen zu Handsensen. So mancher hat Tränen in den Augen. Die nun heiße Julisonne trocknet das Getreide innerhalb eines Tages. Danach wird es in aller Eile auf den Feldern verbrannt, damit es zumindest noch wertvollen Dünger liefert.

      Und die Angst geht um. Bitte nicht auch noch die Kartoffeln, denken viele. Jedem wird täglich bewusster, wie sehr seine Existenz auf Getreide und Kartoffeln basiert. So schnell wie möglich pflügt die Gemeinschaft die Äcker um. Fast schon panikartig wird nachgesät. Vielleicht schaffen es Linsen und Sojabohnen noch, bis Ende des Jahres zu reifen. Auch die Gärten werden erweitert, für Wintergemüse.

      Carlina hat jeden Sonntagmorgen eine volle Kirche. Sie versucht Trost zu spenden und Hoffnung zu verbreiten. Aber Getreide und Brot kann sie nicht herbeireden. Tagelang wird der Bevölkerung vorenthalten, dass nach der Vollversammlung, aus Vernunftgründen, die Lagerhalle geschlossen bleibt, kein Getreide mehr ausgegeben wird. Nachdem die Feldarbeiten abgeschlossen sind, muss Carlina blank ziehen. Es kommt zur längst fälligen Krisensitzung.

      Sie gibt einen Lagebericht, erklärt wie die Sporen entstehen, dass der Wind sie überall hin verbreitet. Und, dass es sich um einen unbekannten Schimmelpilz handelt, der in keinem Buch zu finden ist. Deshalb hätten sie auch keine Ahnung, wie er bekämpft werden kann. Dann spricht sie den entscheidenden Satz.

      „So leid es uns tut, aber wir können kein Getreide mehr ausgeben.“ Sofort wird die Vollversammlung unruhig. „Das was wir noch haben, muss für die Aussaat zweier Jahre


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