Pandemie des Todes III Teil. Hans Joachim Gorny
Lösung“, jubelt Grissly. „Dann müssen sie zwar ordentlich sparen, aber es soll ihnen auch nicht zu gut gehen.“ Und so wird es auch beschlossen.
„Euch leuchtet jetzt aber ein, wie wichtig Entwässerungsgräben sind?“ fragt Fritzi in die Runde.
Am nächsten Abend kommt Mani mit ihrem Mann. Carlina teilt den beiden den Beschluss des Rats mit und legt eine schriftliche Zusage über so und so viele Säcke Korn vor sie hin. Die zwei Insulaner wissen genau, dass ihr Saatgut nicht die benötigte Menge an Brot ergibt. Schlucken kräftig und nehmen an, ihre Nachbarn wollen verhindern, dass es der ungeliebten Sekte nicht zu gut geht.
Die Gemeinschaft ist nun von der Notwendigkeit Gräben auszuheben überzeugt. Mit Elan werden die Äcker der Rheinebene trocken gelegt.
Im Frühjahr bekommen die Insulaner ihre Säcke und unterschreiben auf dem Schuldschein, dass sie zehn Prozent mehr zurückbringen müssen.
Im Mai stürzt Fritzi in Grisslys Kantine. „Unser Weizen ist verpilzt“, behauptet sie mit weit aufgerissenen Augen.
Nun tritt das ein, was die Landwirte in schlechten Träumen verfolgt, was sie in mieser Stimmung beschäftigt und worüber sie nie reden.
Brot
Brot ist des Menschen Vorname. Zumindest in Europa. Brot ist einfach eine tolle Sache. Man kann am Laib abbeißen und es mit etwas Flüssigem oder einem Apfel essen. Oder Stücke abreißen und in die Milch, die Suppe oder den Eintopf tunken. Zu Brotstücken eine Wurst oder einen Handkäs essen. Man kann den Brotlaib in Scheiben schneiden und die Scheiben mit Butter oder Margarine beschmieren. Darauf Salz oder Zucker streuen. Je nachdem was der Haushalt hergibt kann man eine Brotscheibe auch belegen. Mit Käse, Wurst, Fleisch, Insekten, Kräutern, Gemüse, Obst. Man kann die Scheibe auch mit Marmelade, Honig und Remoulade bestreichen, was die Kinder gerne tun. Viele würzen die Brotstücke und Brotscheiben und braten sie in der Pfanne. Ein Leben ohne Brot ist für Menschen eine traurige Angelegenheit.
Das ist aber nur das halbe Unglück. Wenn es kein Brot gibt heißt das, dass Mehl fehlt, die Körner fehlen, es kein Getreide gibt. Ohne Mehl gibt es auch keinen Kuchen, keine Kekse, keine Plätzchen. Und keine Nudeln. Das ist hart. Nudeln aus Linsen sind ein schwacher Trost. Doch genau das erwartet nun die Insulaner bis zur nächsten Ernte und Zoratoms Mitgefühl hält sich in Grenzen. Noch bevor die Insulaner ihr Saatgut abholten, war ihr Körnervorrat schon aufgegessen.
Als Fritzi den Pilz auf dem eigenen Getreide entdeckte, wurde sie von einem abscheulichen Gefühl überwältigt. Sie wirkte wie ein angezählter Boxer. Schon aus einiger Entfernung schimmerte ihr der Weichweizen weißlich entgegen. Ausgerechnet der Weichweizen, der das Mehl für das Brot liefert. Nach großer Aufregung und heißer Diskussion auf ihrem Hof, sattelte sie ein Pferd und galoppierte zu Grissly.
Dort schlägt die Nachricht natürlich wie eine Bombe ein. Sprachlos und fassungslos, manche auch zweifelnd, nehmen die Anwesenden ihre Mitteilung auf. Kurz darauf setzt sich eine Prozession in Bewegung, um sich von dem Pilzbefall zu überzeugen. Richard der Bücherwurm bleibt zurück, geht sofort zum Regal, in dem die landwirtschaftlichen Ratgeber stehen, beginnt zu recherchieren. Die Gruppe um den alten Grissly durchreitet derweil Fritzis Getreidefelder. Jeder rupft Halme aus, untersucht sie, ob es sich überhaupt um Pilzbefall handelt, hofft auf eine andere Krankheit.
Zurück in der Kantine, weiß Richard schon mehr. Grissly legt ihm eine Handvoll grüne Weizenpflanzen auf den Tisch. Jedoch, Richard findet die dazugehörige Krankheit nicht.
„Ich brauche noch mehr Bücher“, fordert er. „Ich weiß, dass Buran auf seinem Hof eine Menge Ratgeber hat. Über alles Mögliche.“
„Was hast du bislang herausgefunden?“ will Grissly dennoch wissen.
„Falls es sich tatsächlich um einen Pilz handelt, müssen wir das Getreide sofort mähen und verbrennen.“
„Kann man es nicht verfüttern“, ist jemand skeptisch. „Einfach nutzlos vernichten ist schon öde.“
Die anwesenden Landwirte schauen sich an. Mähen, trocknen und dann verbrennen, finden sie doof. „Wir sollten es an einer Ziege testen“, schlägt ein anderer vor.
„Das ist eine verdammt gute Idee“, lobt Grissly. „Dann wissen wir gewiss, ob es sich um einen schädlichen Pilz handelt. Fritzi soll das probieren und Richard soll weiter forschen. Ich reite zu Carlina hinüber und zapfe ihr Pilzwissen an.“ Schnappt sich die Halme vom Tisch und geht zu seinem Pferd, das noch gesattelt im Hof steht.
„Oh Scheiße“, entfährt es Carlina, als sie das Weißliche auf dem Grün untersucht.
Grissly wird es ganz anders, einen so heftigen Ausdruck hat er von ihr noch nie vernommen. „Es ist also ein Pilz?“
Sie nickt. „Du weißt doch, es gibt essbare, ungenießbare und giftige Pilze. Das sieht nach einem Schimmelpilz aus. Schimmelpilze sind in Masse immer giftig. Die Idee mit der Ziege ist sehr gut. Wenn es ein gefährlicher Pilz ist, wird sie sofort Durchfall bekommen.“
„Und wenn sie Durchfall bekommt? Was heißt das für uns? Müssen wir tatsächlich das Getreide vernichten?“
„Alles andere wäre leichtsinnig.“
Grissly will das so nicht hinnehmen. „Es könnte doch sein, dass man die Körner trotzdem verwenden kann. Was an den Halmen schädlich ist, muss ja nicht an den Körnern schädlich sein. Außerdem könnten wir die Körner waschen, trocknen und dann zu Mehl verarbeiten.“
Carlina schüttelt energisch ihren Kopf. „So wie ich Pilze kenne, werden sie den Weizen aussaugen. Das bedeutet, die Pflanzen haben keine Kraft mehr um Körner zu bilden. Es wird nichts zu ernten geben. Ihr müsst sofort alles vernichten, damit die Schimmelpilze keine Sporen abgeben können“, erklärt sie in aller Ruhe.
„Aber nur wenn die Ziege krank wird.“
„Es wäre so oder so sehr ratsam den Weizen komplett niederzumähen. Sobald Sporen entstanden sind, werden sie vom Wind großflächig verteilt. Pilzsporen sind überaus leicht, sie finden überall hin. Wenn du Pech hast, finden sie auch über den Hügel auf deine Felder.“
Er verzieht sein bärtiges und faltiges Gesicht. „Du machst mir vielleicht Hoffnung.“
„Da wäre noch etwas.“ Mit leiserer Stimme: „Jemand muss die Felder der Insulaner inspizieren. Wenn deren Getreide ebenfalls befallen ist, muss es genauso vernichtet werden, sonst werden weit und breit alle Weizenfelder infiziert. Dann ist eine Katastrophe unvermeidbar.“
Nach dem entmutigenden Gespräch mit Carlina reitet er langsam zurück. Hofft, dass Richard etwas Positives gefunden hat. Doch Richard ist zum selben Ergebnis gekommen. Das Vernünftigste wäre, jeglichen befallenen Weizen sofort zu vernichten. Noch während sich die anwesenden Landwirte uneins sind, platzt Fritzi wieder in die Kantine. Die Ziege hätte sich schon nach wenigen Minuten erbrochen und Durchfall bekommen. Damit war alles klar. Das weißliche Zeug, egal ob Schimmel oder sonst was, ist giftig und muss weg. Dann wäre da noch die Sache mit den Insulanern.
In der Morgendämmerung steigt Fritzi in die Erdspalte und schwimmt zur Insel hinüber. Dort kontrolliert sie das Getreide. Es sieht schlimm aus. Schimmel wohin sie schaut. Der gewährte Kredit ist hinüber. Die Insulaner werden nicht ernten, ergo kein Getreide zurückerstatten können und nochmals betteln kommen. Sie müssen schnellst möglich alles niedermähen und verbrennen. Und das muss man ihnen beibringen, muss es von ihnen fordern. Fritzi wäre so mutig, sofort hinüber zu laufen und es ihnen zu sagen. Doch sie hört bellende Hunde die verrücktspielen. Da die Insulaner auf ihrem Territorium keine Fremden dulden und bestimmt die Wachhunde losschicken, gibt sie Fersengeld und stürzt sich wieder ins Wasser. Getrocknet und umgezogen erscheint sie nach dem Frühstück bei Grissly und erstattet Bericht.
„Dann wissen wir ja was wir heute zu tun haben“, meint er wenig erfreut. „Wir nehmen aber Carlina mit, sie kennt manche von denen.“
Auf dem Ritt zur Brücke